Der Mann als Verdächtiger per default

Ein Mann albert voller Lebensfreude auf einem Spielplatz herum, umringt von fröhlichen Kindern. Die Realität sieht anders aus.

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Es ist ein Stück heile Welt, das die Werbung für einen Joghurt präsentiert. Ein Mann, offensichtlich gut gelaunt, verlässt seinen Arbeitsplatz, um in der Pause einen Joghurt zu genießen. Dieser muss jedoch vorher noch entweder geschüttelt oder gerührt werden, weshalb der Herr im grauen Anzug sich erst salopp an einem anderen Herrn vorbeischlängelt, um sich dann ebenso salopp auf einen Kinderspielplatz zu begeben. Außer einer im Auto vorbeifahrenden Frau sind keine weiteren Erwachsenen zu sehen. Der Anzugträger hüpft auf ein Karussell, albert mit den dortigen Kindern herum und setzt sich schließlich auf eine Bank innerhalb des Spielplatzgeländes, um seinen nun genug durchgeschüttelten/gerührten Joghurt zu essen.

Nun stellt Werbung selbstverständlich nur selten die Realität dar, doch diese Darstellung eines unbefangen auf einem Kinderspielplatz mit fremden Kindern spielenden Mannes ist nicht nur realitätsfern, sie zeigt auch auf, wie eine Realität sein könnte, würden heutzutage nicht alleinstehende Männer oft genug schon allein dadurch, dass sie ein fremdes Kind anlächeln, verdächtig erscheinen.

Während es bei Frauen im allgemeinen als fast schon "Standardgebaren" angesehen wird, dass sie sich über fremde Kinderwagen beugen, mit diversen Kinderlauten (gutti gutti ...) eine Kommunikation beginnen oder aber sich zum Aussehen der fremden Kinder äußern (ist die Kleine niedlich), wird dies bei Männern eher als Verdachtsmoment gewertet. Auch die Motivationen der Menschen z. B. für einen Aufenthalt auf einem Kinderspielplatz, ohne dass ein eigenes Kind oder mehrere eigene Kinder mit vor Ort sind, werden je nach Geschlecht unterschiedlich beurteilt. Bei weiblichen Besuchern wird eher angenommen, dass sie entweder unfreiwillig kinderlos sind oder ihre Kinder verloren haben. Anders bei männlichen Besuchern: Hier wird eher davon ausgegangen, dass ein Aufenthalt auf einem Kinderspielplatz, ohne ein Kind zu beaufsichtigen, dafür spricht, dass der Mann unlautere Absichten hegt.

Der Fremde beim Flug

Ähnliche Denkweisen bei (vornehmlich) Frauen führen bei diversen Fluglinien dazu, dass allein reisende Männer nicht neben allein reisenden Kindern sitzen sollen. Da sich dies nicht während der Buchung erledigen lässt, bedeutet das für den Herrn, dass er vom Flugpersonal aufgefordert/gebeten wird, sich doch bitte auf einen anderen Platz zu setzen, sofern noch Plätze frei sind, andernfalls soll mit alleinreisenden Damen getauscht werden, die sich dann neben das alleinreisende Kind setzen dürfen. Eine solche Policy, so heißt es z. B. seitens der australischen Fluglinie Virgin Airlines, sei ausdrücklich auf Wunsch der Passagiere etabliert worden und keine Idee des Managements gewesen. Wie auch die FAZ in ihrem Artikel Der Mann als Gefahrgut schreibt, ist dies ein Zeichen dafür, wie sich eine zunehmende Angst vor der Konstellation Mann/junger Mensch auf die gesellschaftliche Entwicklung an sich auswirkt.

Die "kein alleinreisender Mann neben einem alleinreisenden Kind"-Policy wurde bereit 2010 kontrovers diskutiert, als British Airways ähnliche Richtlinien anwandte, die von einem Betroffenen juristisch angefochten wurden. Der Mann reichte eine Klage wegen Diskriminierung ein und gewann. British Airways musste seine Richtlinien abändern.

Für die betroffenen Männer ist es letztendlich immer unangenehm, wenn sie als Gefahr für das Kind per se angesehen werden. Sie fühlen sich wie "Kinderschänder", beklagen sie. Interessant hierbei ist, dass die Gefährlichkeit eines Menschen (sollte sie tatsächlich gegeben sein) während eines Fluges verhältnismäßig gering sein dürfte. In Bezug auf sexuelle Gewalt kann innerhalb des Fluges schwerlich ein so großes Vertrauens- und/oder Abhängigkeitsverhältnis entstehen, dass das fremde Kind sich nicht gegen Übergriffe wehren kann. Zum anderen sind Flugbegleiter stets dazu angehalten, auf Kinder zu achten und einzuschreiten, sollte es zu einem Vorfall kommen. Zwar könnte hier eingewendet werden, dass Vorsicht besser als Nachsicht ist - doch letztendlich bedeutet dies eine Zustimmung zur Ansicht, dass Männern quasi naturgegeben ein Hang zu Übergriffen gegenüber Kindern innewohnt. Dies lässt sich jedoch keineswegs nachweisen, weshalb die "Prävention" hier eine Vorverurteilung ist, die sich zudem auch auf die Reputation des Einzelnen auswirken kann.

Besser unterlassene Hilfeleistung als Kinderschändervorwurf

Eine Folge dieser "Männer sind per se gefährlich"-Ideologie ist, dass Kinder, die in Gefahr geraten, weniger Chancen haben, von Männern gerettet zu werden. So berichtete die Sunshine Coast Daily erst vor Kurzem, dass Männer, die ein Kind in Gefahr sehen, zunehmend nicht mehr spontan zu Hilfe eilen. "I have heard that male teachers are scared to even touch a male student on the shoulder and say, 'Well, done mate', to offer encouragement, because it can be seen as an inappropriate gesture," gab ein Vater zu Protokoll, was zeigt, dass die Angst vor Männern, die Kindern und Jugendlichen (sexuelle) Gewalt antun, zu einer zunehmenden Angst bei Männern, wie auch bei Frauen geführt hat. Während Frauen in den Männern per se eine Gefahr sehen, haben die Männer Angst, sich durch noch so harmlose Verhaltensweisen automatisch der Gefahr des Kinderschändervorwurfes auszusetzen und somit gesellschaftlich ausgegrenzt zu werden.

Während die Männer, die die Sunshine Coast Daily zitiert, die "Pädophilen" als diejenigen sehen, die diese Entwicklung vorangetrieben haben, ist die Rolle der Medien und der Politik hier weitgehend ausgeklammert. Dies ist bedauerlich, da hier ein wesentlicher Faktor für die Furcht vor dem "unbekannten Pädophilen" zu finden ist. Während ein Großteil der sexuellen Gewalt sich in Familien und Bekanntenkreisen abspielt, werden die Fälle, in denen der fremde "Pädophile", der oftmals (wie beispielsweise im Fall Dutroux) nicht einmal ein Pädophiler war/ist, medial ausgeschlachtet.

Wie Katja Seefeld bereits 2004 in Das Böse ist immer und überall ausführte, ist das Resultat dieser Aufbereitung u.a. auch von Einzelfällen, nicht nur im Bereich Sexualstraftaten, eine Fehleinschätzung der tatsächlichen Gefahr seitens der Bevölkerung. So brachten Befragungen, die ausgehend von der Polizeilichen Kriminalstatistik 1993 Menschen um ihre Einschätzung hinsichtlich der Entwicklung der Kriminalität baten, weitreichende Fehleinschätzungen mit sich. "Je gravierender und emotionalisierender die Tat, um so höher lag die Fehleinschätzung: Beim Wohnungseinbruch betrug sie das Zweieinhalbfache, beim Mord das Doppelte und beim vollendeten Sexualmord sogar das Sechsfache" fasste Katja Seefeld die Ergebnisse zusammen, während sie in ihrem noch immer aktuellen Artikel auch auf die Problematik der sich immer stärker mit Kriminalität befassenden Serien eingeht, die für Klischees sorgen und dabei den Anschein des "Wissenschaftlichen" erwecken.

Männlich, keine Freundin, bei der Mutter lebend, IT-affin ...

Gerade auch die sich stetig erhöhende Menge der sogenannten Profilerserien trägt dazu bei, dass der Mann per se als Gefahrenquelle angesehen wird, insbesondere im Bereich der sexuellen Gewalt. Ob die diversen Pathologen in Body of Proof, Crossing Jordan oder Navy CIS, die Profiler in Criminal Minds oder Vermisst - stets sind die, die die Statistiken und "Erfahrungswerte" zur modernen Wissenschaft erklären, auch jene, die insofern moderne Spökenkiekerei betreiben. Nur selten werden diese Klischees durchbrochen. Gerade im Bereich Sexualdelikte kommen Frauen nur als Randfiguren vor, meist als Co-Täterinnen, niemals jedoch als die treibende Kraft.

Hinzu kommt, dass sich durch die mediale und fiktionale Zementierung der Klischees des "typischen Kindervergewaltigers" der Blick zunehmend auf den männlichen Einzelgänger richtet, der womöglich noch bei seiner Mutter lebt, keine feste Freundin hat und ggf. noch IT-affin ist. Dadurch, dass zunehmend auch fiktionale Formate als Abbildung der Realität angesehen werden (und in den Medien jene Fälle, die diese Klischees noch befeuern, aufmerksamkeitswirksam hochgepusht werden), entsteht der Eindruck, dieser Typ Mann sei automatisch als hochwahrscheinlicher Kinderschänder anzusehen, was gerade auch für jene, die diese Attribute aufweisen und ggf. sogar an einer Beziehung mit einer Frau mit Kind(ern) interessiert sind, bedeutet, dass sie automatisch als seltsam bis verdächtig gelten.

Der Begriff der Kinderliebe, der einst noch positiv besetzt war, wurde insofern pervertiert und wird zu "sexuelle Hingezogenheit zu Kindern", während die "reine Kinderliebe", die "von Herzen" kommt und nichts mit sexuellen Präferenzen zu tun hat, immer öfter nur noch Frauen vorbehalten bleibt. Für Männer bedeutet dies, dass der unbefangene Umgang mit Kindern weitgehend der Vergangenheit angehört, Männer in sogenannten "typischen Frauenbereichen" wie Kindergärtner usw. stellen ihren Berufswunsch hintenan, da sie befürchten, zu schnell vorverurteilt zu werden, wenn aus "Kinderschänder suchen sich gerade auch Bereiche aus, in denen sie Kontakt zu Kindern bekommen" ein "wer beruflich den Kontakt zu Kindern sucht und männlich ist, der ist wahrscheinlich ein Kinderschänder" wird.

Gerade auch für Kinder ist diese gesellschaftliche Entwicklung Gift. Wenn sich Väter nicht mehr unbefangen geben und aus reiner Angst Nacktheit oder die Berührung beim Waschen vermeiden, wenn Väter sich aus allen Teilen des Zusammenlebens zurückziehen, die in irgendeiner Form zu Verdacht anregen könnten, wenn Menschen sich aus Angst vor ungerechtfertigten Verdächtigungen in Bezug auf sexuelle Gewalt nicht mehr mit Kindern befassen oder sie gar in Gefahr sich selbst überlassen, dann besteht letztendlich die Gefahr, dass sich gerade durch diese Verhaltensweisen ein Kind begeistert von jenen zeigt, die sich ihm gegenüber unbefangen geben und tatsächlich etwas Unlauteres im Schilde führen. Die derzeitige Entwicklung ist für eine Gesellschaft, die Kinder schützen will, insofern völlig ungeeignet.