"Hochemotional besetztes Thema mit religiösen Zügen"

Rainer Klute von der AG Nuklearia über seine Ideen zur Beseitigung von Atommüll und die Meinungsfreiheit in der Piratenpartei

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Durch eine Abmahnung, die der Bundesvorstand mittlerweile als gegenstandslos und als Fehler erklärte, bekam die Arbeitsgruppe Nuklearia in der Piratenpartei am Wochenende sehr viel Aufmerksamkeit. Der Streisand-Effekt lenkte diese Aufmerksamkeit auch auf den abgemahnten Flyer der Arbeitsgruppe, in dem diese die Lösung des Atommüllproblems durch das Recycling alter Brennstäbe empfiehlt. Wir befragten dazu Rainer Klute, den Gründer der Nuklearia.

Her Klute - seit wann gibt es die Nuklearia und wie viele Mitglieder hat sie?

Rainer Klute: Die Nuklearia wurde im Oktober 2011 gegründet. Im Moment haben wir 21 Mitglieder.

Was diskutiert man in der Nuklearia?

Rainer Klute: Wir haben ein wöchentliches Treffen donnerstags ab 21 Uhr auf dem Mumble-Server der Piratenpartei NRW. Da kommen auch häufig Gäste dazu, in letzter Zeit mehr als sonst. Die erste halbe Stunde diskutieren wir mit unseren Gästen, danach steigen wir in unsere Tagesordnung ein. Am letzten Donnerstag waren viele Gäste da, und es entwickelte sich ein derart interessantes Gespräch, dass wir die Tagesordnung haben sausen lassen. Dazwischen kommunizieren wir per Mail und Twitter. Apropos Twitter: Man kann uns als @Nuklearia folgen. Eine Facebook-Seite gibt's auch, und unsere Tweets landen automatisch dort.

Aber über was wird in der Arbeitsgruppe gesprochen?

Rainer Klute: Im Moment ist Atommüll das Top-Thema. Dazu haben wir ja unseren berühmt-berüchtigten Flyer herausgebracht. In der Aufregung um die Abmahngeschichte ist das eigentliche Thema ein wenig untergegangen. Und das lautet: Wohin mit dem Atommüll? Folgt man der politischen Diskussion in Deutschland, könnte man meinen, die Endlagerung des hochaktiven, langstrahlenden Atommülls sei alternativlos. Wir stellen in unserem Flyer drei verschiedene Alternativen vor. Davon finden wir zwei schlecht, nämlich die angeblich sichere Endlagerung des Atommülls für ein paar hunderttausend Jahre und auch die Aufbereitung des Plutoniums zu MOX-Brennelementen, die letztlich auch nicht hilft.

Wirklich wegkriegen können wir das Zeug nur auf eine Art und Weise: Wir zerstören die schweren Elemente wie Plutonium, Neptunium, Americium und das übrige Uran durch entsprechende Kernprozesse. Das ist in sogenannten Schnellen Reaktoren möglich, die mit energiereichen, eben "schnellen" Neutronen arbeiten. Und die können das Material entweder direkt spalten oder erst spaltbar machen und dann spalten.

Die meisten Gäste hören bei uns zum ersten Mal von Kernreaktoren der Generation IV, die völlig anders ticken als die heutigen der Generation II, die bei uns in Deutschland herumstehen. Inhärente Sicherheit und nachhaltige Nutzung der Ressourcen Uran und Thorium sind da ganz wichtige Prioritäten. Und die Nutzung des Atommülls als Brennstoff wäre eine Killer-Anwendung.

Rainer Klute

Kritiker bezweifeln, dass Schnelle Reaktoren wie IFR oder PRISM Technologien sind, auf die man jetzt schon bauen kann. Das amerikanische IFR-Projekt wurde in den 1990er Jahren zugemacht und den PRISM von Hitachi gibt es bislang nur als Konzept.

Rainer Klute: Ja, der amerikanische IFR wurde leider gar nicht gebaut, obwohl die Forscher am Argonne National Laboratory gewaltige Fortschritte gemacht hatten, alles praktisch fix und fertig entwickelt und der IFR projektiert war. Und dann kam Bill Clinton, Kernenergie war nicht mehr angesagt, und das IFR-Projekt wurde abgeblasen. Worum es dabei inhaltlich ging, interessierte seitens der Regierung niemanden. Schlimmer noch, die Forscher wurden dazu verdonnert, über alles zu schweigen, was sie entwickelt hatten. Glücklicherweise haben sich nicht alle daran gehalten!

Was den PRISM angeht, den kleinen Bruder des IFR, so liegt den Briten ein ganz konkretes Angebot von GE Hitachi über den Bau von 2 PRISM-Reaktoren vor, inklusive Finanzierungsmodell. Großbritannien hat nämlich 110 Tonnen Plutonium zu vernichten, und das könnten die PRISMs übernehmen. Die Idee: GE Hitachi baut die beiden Reaktoren auf eigene Kosten und auf eigenes Risiko, Großbritannien zahlt pro Kilo Plutonium eine Entsorgungsgebühr. Nebenbei fällt klimafreundlich produzierter Strom an.

Ich denke, wenn GE Hitachi das Risiko selbst übernimmt, dass das alles womöglich nicht funktioniert und damit viel Geld aufs Spiel setzt, dann wird das Unternehmen schon ein sehr großes Vertrauen in seine Konzepte und in seine Technik haben. Klar, im Moment ist der PRISM nur ein Konzept. Aber niemand baut einen Kernreaktor einfach mal auf Verdacht, zumal man ja die Genehmigung der jeweiligen Atomaufsicht braucht. Und so gewaltig ist das Risiko ja auch gar nicht, denn man hat ja sehr viel Erfahrung mit dem EBR-II gewonnen, der von 1964 bis 1994 in Betrieb war. Und mit dem man auch nette Experimente gemacht hat, um die inhärente Sicherheit zu demonstrieren.

Was die Bedenken der Kritiker angeht: Man muss das Konzept jetzt mal in die Tat umsetzen, dann wird man ja sehen, ob es funktioniert oder nicht oder wo man noch Verbesserungen vornehmen muss. Bedenkenträger bringen uns nicht weiter und den Atommüll nicht weg!

Der Gedanke eines Abbaus von Atommüll zur Energieerzeugung klingt verlockend – aber bisher können die Schnellen Reaktoren Plutonium nur in der Theorie umwandeln, nicht in der Praxis, oder?

Rainer Klute: Im EBR-II hat man mit vielen verschiedenen Brennstoffen experimentiert, unter anderem auch mit Uran-Plutonium-Zirkon-Legierungen, also mit Metallkernen anstelle des sonst üblichen Oxids.

Mit welchem Ergebnis?

Rainer Klute: Wenn wir jetzt weiter in die technischen Details gehen wollen, sprechen Sie am besten mit unserem Mitglied Fabian Herrmann. Er ist Diplom-Physiker und hat sich sehr intensiv mit den Details beschäftigt und eine fünfteilige Serie in unserem Blog veröffentlicht.

Gerne. Vielleicht in einen zweiten Teil. Vorher noch mal zurück zum Atommüll: Die alten Reaktorteile der Schnellen Reaktoren müssen trotzdem irgendwann endgelagert werden, oder?

Rainer Klute: Unser Ansatz adressiert den hochaktiven, langlebigen Müll. Der wird 2022 rund 10 Prozent des Gesamtvolumens radioaktiver Abfälle ausmachen, aber 98 Prozent seiner Radioaktivität. Die übrigen 90 Prozent des Volumens sind schwach- und mittelaktive Abfälle. Die stammen zu zwei Dritteln aus Kernkraftwerken und zu einem Drittel aus Medizin, Forschung und Industrie. Die Zusammensetzung ist sehr heterogen: Von Putzlappen über kontaminierte Öle und Präparate aus der Nuklearmedizin bis hin zu Bauschutt und Anlagenteilen ist alles dabei. Aus jetziger Sicht denke ich, dass dafür in der Tat nur eine Endlagerung infrage kommt.

Übrigens: Eines unserer Mitglieder ist als Ingenieur selbst im Anlagenrückbau tätig.

Der schwedische Piratenbewegungsgründer Rick Falkvinge setzt auf Thorium-Reaktoren als Kernkraftwerke der Zukunft. Was halten Sie davon?

Rainer Klute: Thorium als Kernbrennstoff ist eine sehr spannende Geschichte, weil Thorium 3-4 mal häufiger auf der Welt vorkommt als Uran. Es ist praktisch überall vorhanden, natürlich in unterschiedlichen Konzentrationen. Der Thorium-Flüssigsalzreaktor (Liquid Fluoride Thorium Reactor, LFTR) ist neben dem IFR unser Lieblingsreaktor. Wie der Name suggeriert, ist der Brennstoff nicht fest, sondern in einer Salzschmelze gelöst. Es kann also zu keiner Kernschmelze kommen, denn der Kern ist schon geschmolzen, und das ist gut so. Der LFTR hat ist wie der IFR walk-away-safe, das heißt, wenn alles ausfällt und niemand mehr da ist, geht der Reaktor von selbst aus, und alles wird gut.

Wenn in Deutschland die Mehrheit gegen jede Kernkraft ist, warum dann nicht einfach den deutschen Atommüll an die Chinesen verkaufen? Die setzen ja auf die Brüter-Technologie.

Rainer Klute: Sehr gute Frage! Wenn Deutschland alles falsch macht, wird es auf etwas in dieser Art hinauslaufen. Früher oder später wird es Dienstleister im Ausland geben, die z. B. IFR bauen und Deutschland den Atommüll gegen happige Entsorgungsgebühren abnehmen. Dann gewinnen sie daraus Strom und verkaufen ihn – z. B. nach Deutschland, das dann zum zweiten Mal zahlt. Okay, das passiert nicht, wenn der Dienstleister in China sitzt. Aber vielleicht sitzt er ja in Frankreich oder in Tschechien – wer weiß.

Apropos China: China baut in Sachen Energie alles, was nur geht: Sonne, Wind, Kernenergie und leider auch Kohlekraftwerke. Schnelle Reaktoren spielen eine besondere Rolle: China will damit in Zukunft von der Leistung her mit konventionellen Leichtwasserreaktoren gleichziehen. Übrigens baut China auch verschiedene Typen von Thorium-Reaktoren. Das sind im Moment Forschungsprojekte. Ein LFTR mit einer Leistung von 2 MW soll 2017 fertig sein.

Gab es abgesehen von der Abmahnung am letzten Wochenende schon Versuche, Diskussionen oder Meinungsäußerungen in der AG Nuklearia zu verhindern?

Rainer Klute: Auch im Vorfeld gab es keinerlei Kontakt oder den Versuch, eine Stellungnahme von uns zu bekommen. Kernenergie ist in Deutschland ein hochemotional besetztes Thema mit religiösen Zügen. Manche sind Sachargumenten gegenüber nicht zugänglich. Das sind aber nur wenige. Die meisten, mit denen wir in Kontakt kommen, sind zwar skeptisch, aber durchaus interessiert an dem, was wir da tun. Die mutieren nicht plötzlich zu Atomfans, aber sie sehen das Potenzial, das in Reaktoren der Generation IV steckt. Sie finden es richtig, hier weiter zu forschen und zu entwickeln – gern mit aller gebotenen Skepsis, aber mit dem Ziel vor Augen, den Atommüll loszuwerden und daraus klimafreundlich Strom zu erzeugen. Ob man auch dann noch auf Kernenergie setzt, wenn der Atommüll verbraucht ist, brauchen wir heute nicht zu entscheiden, denn der reicht ein paar Hundert Jahre.

Was meinen Sie: Wird der Druck auf abweichende Meinungen in der Piratenpartei zunehmen?

Rainer Klute: Nein, im Gegenteil. Der Wirbel um die Abmahnung hat gezeigt, wie wichtig es den Piraten ist, Meinungen frei äußern zu können. Es ist das Wesen unserer Demokratie, Minderheiten nicht rechtlos zu machen. Die Piratenpartei als solche ist ja ebenfalls gegenüber den anderen Parteien und insbesondere gegenüber den Regierungsparteien in der Minderheit. Dennoch darf die Regierung die übrigen Parteien nicht mundtot machen. Das ist eine demokratische Selbstverständlichkeit.

Dasselbe Prinzip gilt auch innerhalb einer Partei. Was heute Minderheitsmeinung ist, muss stets die Chance haben, bei anderen Gehör zu finden und sich zu einer Mehrheitsmeinung zu entwickeln. Es gibt keine Bestandsgarantie für einmal gefasste Beschlüsse, nicht in einer Demokratie! Die Piraten müssen da noch ihren Weg finden, ganz klar. Und für den einen wird das schwieriger sein als für den anderen. Was mir am meisten Sorgen macht, ist, wie diese Sache auf diejenigen Piraten wirkt, die sich an irgendeiner Stelle einbringen wollen. Müssen sie nach der Abmahngeschichte nicht Ähnliches für ihre eigene Aktivitäten fürchten?

Wir müssen lernen, sorgsam mit anderen Menschen umzugehen und sie als Person zu respektieren! Wir dürfen nicht die Sache über den anderen stellen, wir sollen ihn ermutigen und nicht entmutigen. Ob das gelingt? Wir werden sehen. Ich glaube, die Existenz und Wirksamkeit der Piratenpartei und jeder anderen Partei oder Organisation hängt davon ab, wie die Menschen miteinander umgehen. Beschlüsse und Positionen sind nachrangig. Wenn wir einander vertrauen, können wir Dinge bewegen. Ob wir in jeder Einzelfragen übereinstimmen, ist egal.

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