Deutsch-katholischer Dschihad 1914-1918

Illustration "Waffensegen" aus dem kath. Kriegspropagandabuch "Sankt Michael" (1917/18)

Die Kriegsbesessenheit des verfassten Christentums ist mitnichten aufgearbeitet und die militärfreundliche Assistenz dauert entsprechend an

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In zwei Weltkriegen haben die Großkirchen hierzulande erneut und unüberbietbar unter Beweis gestellt, dass ihre Amtsapparate die Sache Jesu bereitwillig unter den Tisch fallen lassen, sofern es nur der eigenen "Bedeutsamkeit" dienlich ist.

An dieser bitteren Erkenntnis kann sich kein historisch wacher Christ vorbeimogeln. Der preußische Staatsprotestantismus, dessen Traditionen gegenwärtig an höchster Stelle wieder wirksam sind, hat wirklich keine Variante der Kriegsgötzenanbetung ausgelassen. Verbreitet ist die Ansicht, der römische Katholizismus habe es - ob seiner übernationalen Ambitionen - nicht ganz so arg getrieben. Mit geschichtlichen Fakten lässt sich dieses wohlwollende Vorurteil freilich in keiner Weise zusammenreimen. Davon soll hier anlässlich des Antikriegstages 2012 die Rede sein.

Im "christlichen" Abendland leitet man 1914-1918 eine neue Phase des Fortschritts ein, indem die Mächtigen - darunter mitverantwortlich auch der 2004 seliggesprochene österreichische Kaiser Karl I. - Giftgas auf Menschen werfen lassen. Die Hüter der Frohen Botschaft preisen derweil den Krieg als heilsgeschichtliche Gnadenstunde. Adolf Hitler wird in seinem Buch "Mein Kampf" später den großen Einsatz der beiden Kirchen im 1. Weltkrieg in den höchsten Tönen loben:

Ob protestantischer Pastor oder katholischer Pfarrer, sie trugen beide gemeinsam unendlich bei zum so langen Erhalten unserer Widerstandskraft, nicht nur an der Front, noch mehr zu Hause. In diesen Jahren, und besonders im ersten Aufflammen, gab es wirklich in beiden Lagern nur ein heiliges Deutsches Reich, für dessen Bestehen und Zukunft sich jeder eben an seinen Himmel wandte.

Adolf Hitler

Hitler selbst erhielt übrigens 1939-1945 an der Front mehr kriegerische Schützenhilfe aus beiden Konfessionen als den Faschisten lieb war. Die "heiligen Krieger" im Zeichen des wahren Kreuzes drängten sich - ganz ungefragt - förmlich auf.

Mentalitätswandel: Vom "katholischen Antimilitarismus" hin zum neupreußischen Untertanengeist

Der unendlich große Eifer der römisch-katholischen Bannerträger im 1. Weltkrieg ist in historischer Hinsicht allerdings erklärungsbedürftig. Noch bis weit ins 19. Jahrhundert hinein betrachtete man in den Überlieferungen katholischer Landschaften kleine Leute, die den Menschenjägern des preußischen Militärs mit List entkommen waren, als Helden. Man nahm sich Deserteure und nicht Träger des "Eisernen Kreuzes" zum Vorbild. Preußens Krieg gegen Österreich wurde von "neupreußischen" Katholiken 1866 fast einhellig als Katastrophe betrachtet.

Im soeben gegründeten Kaiserreich empfanden Katholiken während der 1870er Kulturkampfjahre die in preußischen Schulbüchern nachzulesende Anrufung eines "deutschen Gottes" als Blasphemie. Der auf eine Initiative von Pastor Friedrich Wilhelm Bodelschwingh zurückgehende inoffizielle "Nationalfeiertag" wurde als "St. Sedantag" verlästert. Die Einheit Deutschlands am Datum eines Schlachtengemetzels zu feiern, bewertete man als grobe Geschmacksentgleisung.

1875 wird das Sedan-Spektakel in der "Frankfurter Zeitung" aus katholischer Sicht so kommentiert: "Die Herren [Kriegsfestredner] verschweigen, dass wir in einem Heerlager leben", sonst "könnte den Leuten z.B. die Frage beifallen, ob nicht der Krieg an sich ein Uebel sei, das fortzeugend in neuen Kriegen neue Uebel gebäre".

Im Kaiserreich sorgen schulische Indoktrinierung, Massenkultur und Kriegervereine, die den "Militarismus der kleinen Leute" vor Ort festigen, hernach auch in katholischen Landschaften für eine breite Militarisierung. Für die Herausbildung katholisch-nationalistischer Milieus schafft zunächst die Überwindung des Kulturkampfes unter dem Pontifikat von Leo XIII. (1878-1903) eine zentrale Voraussetzung. Nach den Reichstagswahlen von 1880 ist es nicht mehr möglich, an der als "bündnisunfähig" und sogar "reichsfeindlich" verschrieenen Zentrumspartei vorbei zu regieren. Als der Papst 1887 bei der endgültigen Beilegung der Konflikte zwischen Staat und Kirche das katholische Zentrum dazu bewegen will, gleichsam als Gegenleistung der Heeresvorlage Bismarcks zuzustimmen, stößt dies in der Partei allerdings noch auf Widerstand (der Vorgang wiederholt sich 1893).

Doch in der Folgezeit wird der Katholizismus immer staatstragender. Man hatte die Katholiken in Preußen und im Kaiserreich oft genug als "vaterlandslose Gesellen" betrachtet, jetzt aber wollen sie ihr "Deutschsein" unter Beweis stellen - und wie. Die antimilitaristischen Traditionen geraten immer mehr in Vergessenheit, und die an sich gerade im Katholizismus enthaltenen Potenzen zu einer Kritik der Religion des Nationalismus kommen letztlich nicht zum Zuge. Vor allem die konservativen katholischen Aristokraten in der Partei stützen zum Entsetzen von Teilen des bürgerlichen Flügels und vieler Zentrumsanhänger unter den kleinen Leuten die Heerespolitik des Kaiserreiches. 1898 stimmt das Zentrum sogar der Tirpitzschen Flottenvorlage zu; "die nationale Großmacht- und Aufrüstungspolitik wurde von ihm voll mitgetragen" (Klaus Schatz).

Päpstliche Begünstigung der deutschen Nationalkirchlichkeit

Um 1900 ist Frontstellung zwischen katholischer Kirche und Staat endgültig überwunden. Die lange mit mannigfachen Minderwertigkeitskomplexen behaftete katholische Minderheit versucht jetzt, mit besonderem patriotischen Eifer ihre staatliche bzw. vaterländische Zuverlässigkeit zu demonstrieren.

Ein großer Trugschluss besteht darin, den nationalkirchlichen Wandel historisch auf papst- oder romfeindliche Einstellungen zurückzuführen. Gewiss, bei Ignaz Döllinger (1799-1890), dem führenden geistigen Kopf der Gegner der neuen Papstdogmen von 1870, findet man bereits das "Germanische" gegen das "Romanische" ausgespielt. Joseph Hubert Reinkens (1821-1896), der erste Bischof der von Rom exkommunizierten und vom preußischen Staat geförderten Altkatholiken, übt sich in einer peinlichen Hohenzollernverehrung. Der Romkatholizismus wird aber - mit etwas Zeitverzögerung - auf allen Ebenen nachziehen. Entscheidende Ursachen dafür sind gerade beim päpstlichen Stuhl zu suchen!

Auf dem I. Vatikanischen Konzil 1870 hatte es eine Eingabe von 40 Konzilsvätern gegeben, die den Blick auf Militarismus, Aufrüstung und Zerfall der internationalen Moral im Imperialismus lenken sollte (Katholizismus und Freiheit). Doch der Narzissmus der Papstkirche, die sich durch die Installation eines unfehlbaren Oberhauptes allen Herausforderungen der Moderne entziehen wollte, verhinderte es, dass solche drängenden zivilisatorischen Zeitfragen überhaupt behandelt wurden.

Leo XIII., der direkte Nachfolger des ersten unfehlbaren Papstes, bedrängte dann - wie bereits angemerkt - den politischen Katholizismus in Deutschland regelrecht, wider Willen Militarismus und Aufrüstung im Kaiserreich zu stützen. Gegenüber Wilhelm II., so schreibt Wolfgang Beutin im Sammelband "Kirche und Krieg", beharrte Papst Leo darauf, "des Kaisers Herrschaft von 'hohen religiösen Grundsätzen geleitet' zu sehen, erflehte 'den Segen des Himmels' für ihn und erklärte, 'Deutschland müsse das Schwert der katholischen Kirche werden'".

Im Vorfeld des 1. Weltkrieges folgte diesem Pontifex Pius X., Papst von 1903 bis 1914. Dieser sieht die von seiner Kirche verwalteten "übernatürlichen und ewigen Wahrheiten" durch das Schreckgespenst des Modernismus bedroht. Dogmatische Gebilde, die mit dem biblischen Zeugnis des Jesus von Nazareth wenig zu tun haben, werden förmlich zu Götzen erhoben. Nur von dem, was auf der leibhaftigen Welt hier unten vor sich geht, bekommt der heilige Nachfolger Petri offenbar gar nichts mit.

Die Zeit der päpstlichen Modernistenjagd unter Pius X. hat die Herausbildung einer kriegsbesessenen katholischen Nationalkirchlichkeit in Deutschland begünstigt:

  • Sie lenkte alle Kräfte im Kirchenschiff auf ein übernatürliches Himmelsstockwerk, während sich auf der Erde eine zivilisatorische Katastrophe sondergleichen zusammenbraute.
  • Verunsicherte Theologen, die man des "Modernismus" verdächtigte, wurden dazu getrieben, im Gefilde von Staatstreue und "Volkstums"-Komplexen Halt oder Anerkennung zu suchen.
  • Romtreue, ja ausgesprochen antimodernistische Kirchenführer sahen andererseits keinen Grund, sich nicht am bellizistischen Nationalismus zu beteiligen (da dieser ja offenbar keinen zentralen Artikel des Glaubensbekenntnisses berührte oder im Sinne einer abstrusen Naturrechtslehre sogar als göttlich geboten galt).

Am Ende wird man die Kriegstheologen, die der preußischen Dreifaltigkeit "Gott, König, Vaterland" huldigen, in allen katholischen Lagern finden. Mit im Boot sitzen bekehrte "Ex-Modernisten", die sich gleichermaßen als Staatskatholiken und Hüter römischer Rechtgläubigkeit betätigen, ebenso Reform- oder Kulturkatholiken, die den Zeitgeist des Kaiserreiches für ein "modernes Christentum" dienstbar machen wollen, und auch aristokratische Amtsinhaber, die sich als Sachwalter der eigentlich längst untergegangenen Adelskirche ganz staatsmännisch geben.

Der geschwätzige Rottenburger Bischof Paul Wilhelm Keppler, Mentor des völkischen Antisemiten Julius Langbehn, war z.B. gleichermaßen ein glühender Prediger wider den Modernismus und für die deutsche Kriegssache. Die wirklichen Irrlehren und Glaubensabfälle im Dunstkreis von "katholischem" Germanenwahn haben die Theologenpolizei von Papst Pius X. aber nie ernsthaft interessiert.

Nicht wenige katholische Theologen zur Zeit der Weimarer Republik waren dann völkisch inspiriert. Das Ende der ersten gesamtdeutschen Demokratie und der Einstieg in den Faschismus wurden von diesen Kreisen in mehreren Fällen ausdrücklich begrüßt. Das Diktum der rechten Katholiken, dass die Weltkirche aus Deutschland meist nichts Gutes zu erwarten hat, kann man bezogen auf unser Thema auch als Linkskatholik unterschreiben. Doch der apostolische Stuhl in Rom, der durch sein nacktes Machtkalkül die weltkirchliche Perspektive so oft verraten hat, ist alles andere als unbeteiligt an den Abgründen des Kriegschristentums.