Die kleine Revolution von Wilmersdorf

Wie Bundesregierung und die Berliner Stiftung für Wissenschaft und Politik das neue Syrien nach Baschar al-Assad mitzugestalten versuchen

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Während Frankreich und Großbritannien im Zuge der Syrien-Krise offen für ein aggressiveres Engagement gegen die Regierung von Präsident Baschar al-Assad eintreten, hielt sich die deutsche Bundesregierung lange bedeckt. Bis zum Dienstag dieser Woche. In Berlin stellten an diesem Tag Vertreter der syrischen Opposition einen 122 Seiten starken Plan für die Zeit nach der Assad-Führung vor. Den "day after", so der Titel des Programms, mochte allerdings niemand terminieren. Am Ende blieb vieles vage, bis auf eine Erkenntnis: Berlin mischt im Ringen um den Einfluss in Syrien offensichtlich stärker mit, als man es offiziell zugeben möchte.

Seit Anfang des Jahres waren rund 50 Gegner Assads in den Räumen der regierungsnahen Stiftung für Wissenschaft und Politik (SWP) im Berliner Stadtteil Wilmersdorf zusammengekommen. In insgesamt sechs Treffen von jeweils bis zu zwei Tagen seien zahlreiche Themen des staatlichen Übergangs diskutiert worden, hieß es bei der Präsentation des "The day after"-Berichts. Genannt wurden die angestrebte Einsetzung einer Übergangsjustiz und die Einberufung einer verfassunggebenden Versammlung auf der Basis des alten Grundgesetzes aus dem Jahr 1950.

"Aus einem Staat, der in Willkürherrschaft von Einzelnen regiert wird, muss ein Rechtsstaat werden", zitiert die Nachrichtenagentur dpa den führend beteiligten Amr al-Azm, der an der Shawnee State University im US-Bundesstaat Ohio Archäologie lehrt. Vor allem, fügte al-Azm hinzu, solle nach einem möglichen Sturz der aktuellen politischen Führung ein Machtvakuum verhindert werden.

Wer genau an dem Konferenzzyklus in Berlin teilnahm, blieb bis zuletzt unklar. In dem im Internet veröffentlichen Bericht werden nur knapp zwei Drittel der Teilnehmer genannt. Nach ersten Berichten über die Treffen Ende Juli in der Süddeutschen Zeitung und der Wochenzeitung Die Zeit war von ehemaligen Generälen, Wirtschafts- und Justizexperten sowie Vertretern der Volksgruppen und Konfessionen die Rede. SWP-Direktor Volker Perthes legte Wert auf die Feststellung, dass sich die Teilnehmer "selbst rekrutiert" hätten. Es sei nicht die Aufgabe der SWP, "eine neue syrische Regierung auszuwählen".

Das deutsche Syrien-Engagement

Dabei bestehen kaum Zweifel daran, dass die SWP-Konferenzen – vorsätzlich oder in wohlwollender Akzeptanz – Teil der Regierungsstrategie für ein Post-Assad-Szenario sind. Offiziell engagiert sich die Bundesregierung bislang in erster Linie in der humanitären Hilfe für Flüchtlinge aus Syrien. Nach jüngsten Angaben des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) sind dafür gut 10,7 Millionen Euro aus verschiedenen Ministerialetats zur Verfügung gestellt worden. Unklar ist, inwieweit sich die deutsche Bundesregierung neben den indirekt unterstützen SWP-Konferenzen auch direkt an den Plänen zum Regimewechsel beteiligt.

Dem Vernehmen nach ist das BMZ federführend an einer Arbeitsgruppe der US-dominierten Konferenz der Freunde Syriens zur wirtschaftlichen und politischen Zukunft des arabischen Staates beteiligt. Still geworden ist es nach einem Bericht des Spiegels und halbherzigen Dementis um den Einsatz des Flottendienstbootes "Oker" in internationalen Gewässern vor der Küste Syriens (Darf der BND in Syrien spionieren und die Informationen an die Rebellen weitergeben?). Die rund 40 Soldaten des Elektronischen Kampfführungsbataillons der Bundeswehr können von dem FD-Boot aus bis zu 600 Kilometer weit nach Syrien hineinhorchen. Nicht abschließend geklärt ist bislang, welches Ziel der Einsatz hat und was mit den Daten geschieht.

Die Syrien-Konferenzen der Stiftung für Wissenschaft und Politik, die mutmaßliche Teilnahme an den Treffen der "Freunde Syriens", der Marineeinsatz vor der Küste Syriens – vieles deutet darauf hin, dass sich außenpolitisch eine neue Doktrin durchsetzt, die weitaus zielbewusster ausgerichtet ist, als dies der offizielle Diskurs vermuten lässt. Immerhin waren die SWP-Konferenzen mit dem Auswärtigen Amt abgestimmt. Erleichterungen bei der Visa-Vergabe für die Teilnehmer wurden vom Außenamt bestätigt, Gelder sollen nicht geflossen sein. Diese Aussage relativiert sich aber angesichts der Tatsache, dass die SWP seit 1965 weitgehend aus Bundesmitteln finanziert wird.

Gezielte Aufrüstung regionaler Partner

Ist die Syrien-Politik also Teil der außenpolitischen "Merkel-Doktrin", die der Spiegel unlängst erkannt haben will? Eine gezielte Aufrüstung bestimmter Akteure zur Durchsetzung geopolitischer Ziele lässt sich im arabischen Raum partiell tatsächlich nachweisen. Die kontrovers diskutierten Exporte von Kampfpanzern des Typs Leopard 2 sollen nämlich nicht nur an Saudi-Arabien und Indonesien gehen, sondern auch an das Emirat Katar. Dessen westlich orientierter Emir, Scheich Hamad bin Khalifa al-Thani, hatte während des Aufstandes in Libyen bereits Waffen an die dortigen Rebellen geliefert und unterstützt nach Medienberichten auch jetzt zusammen mit Saudi-Arabien die regierungsfeindlichen Kräfte im immer blutiger ausgefochtenen syrischen Bürgerkrieg.

Den syrischen Teilnehmern der Berliner SWP-Konferenzen schienen diese Zusammenhänge klar zu sein. Im Interview mit Deutschlandradio forderte Ferhad Ahma, der Konferenzteilnehmer für die Gruppe "Syrischer Nationalrat" und Berliner Grünen-Politiker, die Bewaffnung der Aufständischen. Man müsse "auch alle anderen Optionen in Erwägung ziehen und die internationale Staatengemeinschaft auch an ihre Verpflichtung erinnern – und dazu zählt auch die Unterstützung im Waffenbereich für die Opposition", sagte Ahma.

Ungeachtet der Planungen und Forderungen in Berlin laufen auch andernorts die Vorbereitungen für ein Post-Assad-Szenario. In Syrien selbst wollen am 12. September Oppositionsgruppen zu einer "Konferenz zur Rettung Syriens" zusammenkommen. An dem Treffen, das bisher ohne Probleme in Damaskus vorbereitet wird, wollen Reformkräfte wie das "Nationale Koordinationskomitee für Demokratischen Wandel" und verschiedene kurdische Parteien teilnehmen. Ziel sei ein "grundsätzlicher Wandel des aktuellen Regimes mit friedlichen Mitteln und ohne ausländische Einmischung".

Neben dieser Initiative sorgte in dieser Woche vor allem der französische Vorstoß zur Anerkennung einer Übergangsregierung für Furore. Die USA widersprachen dem Ansinnen offen, die EU-Mitgliedsstaaten hielten sich bedeckt. Am Ende ist nur eines klar: Verschiedene internationale Führungsmächte versuchen derzeit ihre Kontakte für die Zeit nach einem möglichen Ende der Assad-Herrschaft in eine möglichst günstige Position zu bringen.

SWP-Direktor Perthes: Keine bewaffneten Kräfte mit am Tisch

Während die Koordination der Oppositionszirkel in deutschen Medien kaum hinterfragt wurde, protestierte die Linkspartei gegen die Unterstützung durch die SWP. Nach Ansicht der linken Bundestagsabgeordneten Heike Hänsel wurden auch Vertreter der "Freien Syrischen Armee" als Gesprächspartner akzeptiert. Diese militärische Gruppierung verübe nach eigenen Angaben Attentate und Bombenanschläge "und wird gemeinsam mit weiteren Rebellen ebenso wie das syrische Regime vom UN-Menschrechtsrat und verschiedenen Menschenrechtsorganisationen für zahlreiche Verbrechen gegen die Menschlichkeit verantwortlich gemacht", schrieb Hänsel, die dem Unterausschuss Vereinte Nationen des Bundestags vorsteht.

Indem Vertreter der FSA als Gesprächspartner akzeptiert würden und die Bundesregierung dies "mit Interesse" verfolge, würden die von der FSA begangenen Verbrechen und Terrorakte de facto toleriert, kritisierte die Abgeordnete: Dies sei mit nationalem und internationalem Recht unvereinbar.

Gegenüber Telepolis trat SWP-Direktor diesem Vorwurf entgegen: "Tatsächlich haben keine Vertreter bewaffneter Gruppierungen an den Treffen in Berlin teilgenommen." Die Projektteilnehmer hätten allerdings mit vielen Gruppierungen im Land Kontakt, so auch mit der FSA. Nach Perthes Angaben waren sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Projekts keineswegs einig darüber, "was der beste Weg ist, um die Herrschaft Bashar al-Assads zu beenden". Einige seien überzeugte Anhänger rein zivilen Widerstands, andere unterstützen auch den bewaffneten Kampf der FSA; einige riefen nach internationaler Intervention, andere hielten dies für schädlich.

"Uns ist wichtig, dass sich alle ungeachtet ihrer sonstigen Differenzen einig darüber sind, auf eine politisch gestaltete Transition zu einem demokratischen und inklusiven System hinzuarbeiten", so Perthes. Dazu diene der in Berlin erarbeitete Bericht.

EU-Staaten weiter uneinig

Während also die Planungen für die Zeit nach al-Assad andauern, erhöhen führende westliche Staaten den Druck auf Russland und China. Beide Staaten sprechen sich bislang beharrlich gegen ein direktes und in Folge womöglich militärisches Engagement ausländischer Mächte aus.

Ende Juli stellten Vertreter des Europäischen Auswärtigen Dienstes (EAD) in Brüssel einen Briefentwurf an Moskau und Beijing vor. Bei den internen Beratungen mit Vertretern der EU-Mitgliedsstaaten wurden die Missionen direkt aufgefordert, die Botschaft "zur Beendigung der Blockade im UN-Sicherheitsrat" direkt an die jeweiligen Botschaften Russlands und Chinas zu übermitteln. Je mehr EU-Regierungen dieser Aufforderung folgten, desto effektiver könne der Druck aufgebaut werden, hieß es seitens des EAD nach Informationen aus Teilnehmerkreisen. Damit schwenkte der Auswärtige Dienst der EU auf die Forderung Frankreichs und Großbritanniens nach einer offeneren Kritik an Russland und China ein. Wenige Tage zuvor hatten sich EAD-Vertreter noch gegen ein solches Vorgehen ausgesprochen.

Trotz aller Konferenzen und Planungen bleibt die EU in der Syrien-Frage uneinig, in der Tendenz aber ist sie den Aufständischen zugeneigt. Nach den Bombenanschlägen der FSA auf Regierungsgebäude und Hotels in Damaskus Mitte Juli verhinderte Frankreich eine direkte Erwähnung der Attentate in einem EAD-Bericht. Schließlich hätten die Angriffe dem Militär und Sicherheitsapparat gegolten und keine zivilen Opfer gefordert, hieß es bei der internen Aussprache. Unterstützt wurde diese Position von Großbritannien, den Niederlanden und Spanien. Zugleich schrecken die EU-Staaten vor einer zu offenen Haltung zurück. In einem später verworfenen Entwurf eines EAD-Syrien-Berichtes hieß es: "Die EU ist bereit, auf die Situation im Land zu reagieren und ihre Rolle wahrzunehmen." Der Satz, so der Einwand mehrerer Diplomaten, könne dann doch als zu offensiv missverstanden werden.