Missbrauch des Urheberrechts?

Nach der Veröffentlichung einer geheimen Rahmenkonzeption zur Bekämpfung der Rockerkriminalität reagiert die Polizei beim Betreiber einer Website mit einer Hausdurchsuchung durch ein SEK

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Am 25. August berichtete Telepolis über ein Dokument mit dem Titel "Bekämpfungsstrategie Rockerkriminalität - Rahmenkonzeption", eine "geheime Verschlusssache" des rheinland-pfälzischen Innenministeriums. Dies Konzept steht öffentlich einsehbar auf einer Website der Hells Angels. Drei Tage nach Erscheinen des Artikels fand unter SEK-Beteiligung eine Haussuchung beim Vorsitzenden des Vereins "HDRA" (Harley Drag Race Association) statt, der laut Impressum für die betreffende Website verantwortlich ist. Dabei wurden zwei Computer beschlagnahmt.

Warum?

Der zeitliche Ablauf:

Im Juli wurde das Dokument ins Internet gestellt.

Am 03. August stellte das Ministerium Strafantrag, und die Staatsanwaltschaft bejahte das "besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung".

Am 22. August unterschrieb eine Ermittlungsrichterin am Amtsgericht Landau einen Durchsuchungsbeschluss für die Vereinsräume. In diesem Beschluss ging es um die Durchsuchung der Geschäftsräume des Beschuldigten und es wurde die Beschlagnahmung des 64-seitigen Berichts in Papierform, PC, CD, DVD, Smartphones, Handys und sonstigen mobilen Speichermedien angeordnet. Begründet wurde dies mit dem "Verdacht der unerlaubten Verwertung urheberrechtlich geschützter Werke" durch die Veröffentlichung dieses "Berichts des Ministeriums des Innern und für Sport Rheinland-Pfalz ('Bekämpfungsstrategie Rockerkriminalität - Rahmenkonzeption'), welcher nur für den Dienstgebrauch bestimmt war".

Am Sonnabend, den 25. August erschien ein Artikel über diese Bekämpfungsstrategie bei Telepolis.

Am Montag, den 27. August unterschrieb die Ermittlungsrichterin am Amtsgericht einen weiteren Untersuchungsbeschluss als Erweiterung des ersten Beschlusses vom 22. August. Dieser zweite Beschluss bezog sich zusätzlich auf die Wohnung, Geschäftsräume und andere Räume, Personen und ihnen gehörenden Sachen und Kraftfahrzeuge.

Am Dienstag den 28. August fand dann von etwa acht bis zehn Uhr die Haussuchung statt. Insgesamt seien etwa zehn bis 15 Beamte vor Ort gewesen, je etwa zur Hälfte von der Kriminalpolizei und von einem SEK, berichtet Kay S: "Ich habe sie gesehen und die Tür aufgemacht und mich gleich gestellt: Die hatten schon alles parat gehabt, um reinzuschlagen."

Der Leiter der Pressestelle des zuständigen Polizeipräsidiums Rheinpfalz, Polizeihauptkommissar Michael Lindner, bestätigte auf Anfrage die Haussuchung unter Anwesenheit eines SEK. Zur Anzahl der Beamten vor Ort wollte er keine Angaben machen. Durchsucht worden seien Gaststätte, Wohn- und Geschäftsräume. Gesucht wurde nach Computern, zwei Stück wurden beschlagnahmt. Grund für die Aktion war ein Ermittlungsverfahren wegen Urheberrechtsverletzung.

Normalerweise findet wegen einer Urheberrechtsverletzung keine Haussuchung statt. Dass, wenn schon Haussuchung, diese unter SEK-Begleitung stattfindet, ist angesichts des tragischen Todes eines rheinland-pfälzischen SEK-Beamten im März 2010 bei einem Einsatz gegen ein Mitglied der Hells Angels noch nachvollziehbar. Aber warum überhaupt eine Haussuchung? PHK Lindner: "Die Durchsuchungen erfolgten zum Auffinden der dann sichergestellten PCs."

Das überzeugt beileibe nicht jeden: "Das ist ja unglaublich", sagt Rechtsanwalt Michael Karthal, der mehrere Hells Angels Charter (Ortsgruppen) in diversen verwaltungsrechtlichen Verfahren vertritt: Warum eine Durchsuchung und Beschlagnahmung von Computern zur Beweissicherung, wenn man gar keine Beweise für das Delikt, die Urheberrechtsverletzung, mehr braucht: "Das ist doch veröffentlicht?"

Normal dagegen ist bei einer Urheberrechtsverletzung die Aufforderung zur Abgabe einer Unterlassungserklärung. Diese gibt es auch - mit Datum vom 28. August, unterschrieben vom Polizeipräsidenten Wolfgang Fromm: Bis zum 11. September soll Kay S. alle Veröffentlichungen der Rahmenkonzeption ersatzlos gelöscht haben.

Dort steht auch: "Da diese Unterlassungserklärung auch Ihrem Interesse dient und Sie von weiteren Verletzungshandlungen abhalten soll, haben Sie die entstandenen Kosten zu erstatten." Beamte des höheren Dienstes der Polizei seien für die Bearbeitung der Unterlassungserklärung - drei Seiten Begründung, eine Seite Fotokopie, eine Seite Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung - mit insgesamt vier Stunden tätig geworden. Ihr Stundensatz betrage 66,02 Euro, und die Kostenhöhe von 264,08 Euro wurde auf 270 Euro aufgerundet.

Zustellung einer Unterlassungserklärung via SEK

Wenn die Behörden so sehr auf ihre Kosten bedacht sind, fragt man sich, warum die Unterlassungserklärung in diesem Fall nicht zugestellt wurde, wie es normalerweise der Fall ist: "Es gibt die Möglichkeit, dies per Post zu tun, oder durch einen Gerichtsvollzieher", sagt Rechtsanwalt Karthal. Der Einsatz von etwa einem Dutzend Beamten erschließt sich unter diesen Umständen nicht ganz.

"Für mich ist das Strategie", sagt S., "um mich hier wegzukriegen." Als Grund vermutet er seine Mitgliedschaft im Hells Angels MC. "Aber ich habe keine Bordelle, bin nicht vorbestraft, keine Gewaltdelikte, gar nichts. Der Kripobeamte hat mir auch ins Gesicht gesagt, ich soll meine Jacke (die Kutte mit den Insignien der Hells Angels) ausziehen, dann lassen sie mich in Ruhe."

Vielleicht war die Veröffentlichung der Rahmenkonzeption sogar nur ein Vorwand, um in Ruhe die Computer des Beschuldigten durchsuchen zu können. Schließen kann man dies etwa aus der in der Rahmenkonzeption dargelegten Taktik (S. 49):

Die Mitglieder der OMCG nutzen mit ihren Motorrädern und anderen Kraftfahrzeugen den öffentlichen Verkehrsraum. Dies ermöglicht gezielte Kontrollen und eröffnet die Möglichkeit, allgemeine Verkehrskontrollen (StVO und StVZO) durchzuführen - einschließlich der Überprüfung, ob entwendete Kräder oder Fahrzeugteile benutzt werden und die Zollbestimmungen bei der Einfuhr der Fahrzeuge beachtet wurden. Auf diesem Weg können Personen-/Gruppenverbindungen und -profile erhoben und ausgewertet werden.

(Hervorhebung durch die Autorin)

Wenn ein Innenministerium empfiehlt, Verkehrskontrollen mit dem Ziel der Analyse der Gruppenstrukturen durchzuführen, liegt der Schluss nahe, dass eine Computerbeschlagnahmung dasselbe Ziel hatte - dort kann man schließlich hoffen, die entsprechenden Daten gleichsam auf dem Silbertablett zu erhalten.