Die Union stellt die Weichen auf Realitätsverweigerung

Wolfgang Schäuble und Volker Kauder sind vor Beginn der Klausur zu Scherzen aufgelegt. Bild: S. Duwe

Die Union hält am europäischen Spardiktat fest und hofft, das Rentenproblem kleinreden zu können

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Die nächste Bundestagswahl ist nur noch ein Jahr entfernt, die Regierungsfraktionen gehen in den Endspurt. Auf ihrer letzten Vorstandsklausur in dieser Legislaturperiode stellt die Union die Weichen für das letzte Jahr vor der Bundestagswahl, wie Fraktionschef Volker Kauder erklärt. Schnell ist klar: Der Kurs der Union heißt Realitätsverweigerung. Deutschland gehe es gut, und mit weiteren Sparmaßnahmen würde es sogar noch besser gehen. Mit der Wirklichkeit hat das jedoch wenig zu tun, die Folgen der deutschen "Konsolidierungspolitik" wollen die Abgeordneten nicht sehen.

"Die Klausurtagung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion des Vorstandes findet in einem stabilen wirtschaftlichen Umfeld in Deutschland statt." Mit diesem Satz eröffnet Volker Kauder (CDU) sein Pressestatement am ersten Tag der zweitägigen Vorstandsklausur. Der Satz ist symptomatisch für die Politik der Bundesregierung und der sie tragenden Fraktionen. Richtig ist: Deutschland steht derzeit besser da als viele andere EU-Länder, die von Quartal zu Quartal immer weiter in die Rezession rutschen, die die deutsche Austeritätspolitik maßgeblich mit verursacht hat. Deutschland profitiert davon kurzfristig. Die schwere Wirtschaftskrise sorgt für hohe Differenzen bei den Zinsen für neu ausgegebene Staatsanleihen in der Euro-Zone. Während Italien, Spanien oder Portugal viel Geld ausgeben müssen, um neue Kredite aufzunehmen, erhält die Bundesrepublik teilweise sogar noch Geld dafür, dass sie neue Schulden macht. Diese Situation, die die Bundesregierung herbeigeführt hat, ist gerade für eine Währungsunion gefährlich.

Dass auch Deutschland die Auswirkungen seiner Politik langsam zu spüren bekommt, zeigt sich an einigen Wirtschaftsindikatoren. Erst vor kurzem hat die Europäische Kommission bekannt gegeben, dass das Wirtschaftsvertrauen in der Euro-Zone, welches durch den ESI-Index gemessen wird, zum fünften Mal in Folge gesunken ist – und das auch noch stärker als erwartet. Die Exportmacht Deutschland hat mit ihrem Spardiktat gegenüber den Euro-Krisenstaaten selbst dafür gesorgt, dass ihre Exportmärkte nach und nach wegbrechen. In ganz Europa brechen die Einzelhandelsumsätze ein, auch in Deutschland gehen sie zurück. Von Stabilität ist derzeit wenig zu sehen, vielmehr herrscht in Deutschland derzeit noch die Ruhe vor dem Sturm. Dass die Krise in 16 von 27 EU-Ländern die Reallöhne sinken lässt ("Die Lohnquote geht weiter zurück, die Umverteilung zugunsten der Kapitaleinkommen setzt sich fort", ficht Kauder kaum an. In Deutschland gebe es eine erfreuliche Entwicklung, da sich die Reallöhne erhöht hätten. Tatsächlich geht die EU-Kommission von einem Reallohnplus von nur 0,3 Prozent in diesem Jahr in Deutschland aus - eine erfreuliche Entwicklung ist das, insbesondere nach vielen Jahren mit Reallohnverlusten, nicht. Zwar könne es zu Rückwirkungen kommen, wenn es an den Märkten Probleme gebe. Einen tiefen Einbruch sehe er aber nicht. Sein Rezept, um mit den derzeitigen Problemen umzugehen, ist altbekannt: Der Sparkurs müsse fortgesetzt und die Sozialbeiträge gesenkt werden. Auf diesem Gleis also will die Union bis zur nächsten Bundestagswahl weiterfahren.

Volker Kauder gibt auf der Pressekonferenz die Devise Weiter so aus. Bild: S. Duwe

An der Sparpolitik, die auf europäischer Ebene als gescheitert gelten kann, will die Union auf nationaler Ebene festhalten. Haushaltskonsolidierung und Senkung der Neuverschuldung seien der Kurs, auf dem weitermarschiert werde, so Kauder. Eine Ausweitung der im Haushaltsplan für 2013 vorgesehenen Nettokreditaufnahme schließt Kauder kategorisch aus. Das Ziel sei ein ausgeglichener Haushalt bis 2016, gern aber auch schon eher. Teilnehmer berichten aus der Sitzung, der haushaltspolitische Sprecher der Union, Norbert Barthle, habe die Politik der Haushaltskonsolidierung als erfolgreich bezeichnet. Die Zahlen zeigten, dass die Förderung der Wettbewerbsfähigkeit und des Wachstums in Deutschland erfolgreich seien.

Tatsächlich gehört die Bundesrepublik zu den wettbewerbsfähigsten Ländern der Welt und liegt einer Studie des World Economic Forum (WEF) zufolge international auf Rang 6. Doch Deutschlands einseitige Ausrichtung auf die Steigerung seiner eigenen Wettbewerbsfähigkeit geht zu Lasten der Partner in der Europäischen Union. Die Wettbewerbsfähigkeit klafft in der Euro-Zone klafft auseinander. Dem Index des WEF zufolge liegt das stärkste Euro-Land, Finnland, auf dem vierten Platz. Frankreich, das neben Deutschland als tragende Säule der Euro-Zone gilt, kommt nur auf Rang 21. Spanien erreicht Platz 36, Italien landet auf Rang 42, Griechenland auf 96. Eine Angleichung der Wettbewerbsfähigkeit in Europa täte Not, um ein Auseinanderbrechen des Währungsraums zu verhindern – stattdessen arbeitet die Bundesregierung daran, den Vorsprung weiter auszubauen. Das geht zu Lasten der Arbeitnehmer in der gesamten Euro-Zone: In Deutschland, weil die steigende Wettbewerbsfähigkeit mit wachsender prekärer Beschäftigung erkauft wird, und in den schwächeren Euro-Ländern, weil die dadurch zu niedrigen deutschen Lohnstückkosten zu einer schleichenden Deindustrialisierung und entsprechendem Arbeitsplatzabbau führen. Langfristig kann auch Deutschland von dieser Politik nicht profitieren. Auf Dauer werden die wirtschaftlich schwächeren Länder nicht in der Lage sein, Güter aus Deutschland zu kaufen. Die ersten Anzeichen dafür zeigen sich bereits jetzt.

Zuschussrente beerdigt

Leidtragende dieser Politik sind Arbeitnehmer, Arbeitslose und Rentner auch in Deutschland. Erst jüngst hat Arbeitsministerin von der Leyen Zahlen vorgelegt, die zeigen, dass auch in der Bundesrepublik die Altersarmut steigen wird. Von der Leyens Konzept einer Zuschussrente wurde auf der Klausur jedoch beerdigt – aber nicht, weil es ohnehin nur ein medienwirksames Placebo ist, von dem kaum ein Arbeitnehmer in der Praxis profitieren würde.

Stattdessen warnt der Bundesvorsitzende der Jungen Union, Philipp Mißfelder, vor stärkeren Belastungen der Beitragszahler in der gesetzlichen Rentenversicherung. Nach langem Schweigen schließt sich auch die Kanzlerin der Kritik aus ihrer Fraktion an den Plänen der Arbeitsministerin an. Merkel spricht sich Medienberichten zufolge für eine systematische Lösung mit längerem Beratungsbedarf aus – was immer das auch bedeuten mag. Ein gesetzlicher Mindestlohn, der die Rentenansprüche der Menschen in prekären Jobs deutlich verbessern könnte, ist damit jedenfalls nicht gemeint.

Selbst auf Nachfrage will Kauder nach der Klausur nicht über derartige Lösungsvorschläge reden. Von der Leyens jüngst bekannt gewordene Horrorzahlen zur drohenden Altersarmut sind laut Kauder zwar weder falsch noch unrealistisch, jedoch müssten sie noch "vertieft" werden. In der Diskussion müsse auch einbezogen werden, dass künftige Rentner auch Renten aus privater Vorsorge oder der Betriebsrente erhielten.

In Gesprächen abseits der offiziellen Pressekonferenzen wird deutlich, wohin die Reise der Union in Sachen Rente geht. In der Fraktion hofft man, der SPD durch die öffentliche Beschäftigung mit dem Thema einen Wahlkampfschlager wegnehmen zu können. Zugleich wäre man glücklich, das Thema "abräumen" zu können, ohne wirklich handeln zu müssen. Damit das gelingt, so die Überlegung, müsse man nachweisen, dass tatsächlich nur einige tausend Menschen trotz Arbeit von Altersarmut betroffen sind, und somit kein akuter Handlungsbedarf besteht. Dass eine Stärkung der gesetzlichen Rente nicht zu erwarten ist, zeigt auch die Entschlossenheit der Union, den Beitrag zur Rentenversicherung um 0,6 Prozent zu senken, was vordergründig die Arbeitnehmer entlastet, faktisch aber eine weitere Schwächung der gesetzlichen Rentenversicherung ist.

Gerda Hasselfeldt lässt an Merkels Strategie der Krisenbewältigung nicht rütteln. Bild: S. Duwe

Nur mit der FDP

Zu mehr Solidarität mit anderen Ländern in der Eurokrise ist die Union ebenfalls nicht bereit, wie aus den Ausführungen von Gerda Hasselfeldt, die der CSU-Landesgruppe im Bundestag vorsitzt, hervorgeht. Die Klausur habe Angela Merkels Kurs in Richtung Stabilitätsunion bestätigt, an den für Griechenland beschlossenen Maßnahmen dürfe nicht gerüttelt werden. Alle Vorschläge, die in Richtung Eurobonds, Schuldentilgungsfonds, eine gemeinsame europäische Einlagensicherung oder eine gemeinsame europäische Haftung gehen und somit alles aus dem sozialdemokratischen und grünen Instrumentenkasten würde abgelehnt. Die Union beweist damit, dass sie die Probleme, die die bisherige Krisenbewältigungsstrategie der Kanzlerin hervorgerufen hat, noch nicht zur Kenntnis genommen hat.

Im Bereich der Energiewende lobt Kauder ausdrücklich den neuen Umweltminister Peter Altmaier (CDU). Dieser habe ein realistisches Bild gezeichnet und die bestehenden Probleme angesprochen. Kauder zufolge rechnet der Minister mit einer deutlichen Erhöhung der EEG-Umlage. Schuld daran ist die Koalition, die öffentlich immer wieder betont, wie wichtig bezahlbarer Strom für die Verbraucher ist, selbst: Sie hat der Industrie einen Rabatt in Milliardenhöhe gewährt, den nun die Verbraucher zahlen müssen (Energiepolitik zu Lasten der Privathaushalte). Kauder hingegen betont, dass aufgrund des schnelleren Ausbaus der Erneuerbaren Energien nun in kurzer Zeit Kosten anfallen würden, die sonst über einen längeren Zeitraum gestreckt gewesen wären. Das ist bestenfalls die halbe Wahrheit. Kauder kündigt zudem an, dass die Union noch in dieser Legislaturperiode eine weitere Änderung bei der Förderung der Erneuerbaren auf den Weg bringen werde. Damit dürfte eine weitere Kürzung gemeint sein - die Energiewende geht dem Umweltminister derzeit sowieso schon zu schnell voran (Wer darf wie viel Wind machen?).

Weitere Pläne der Union für diese Legislatur hat die Union zudem in der Netzpolitik. Kauder kündigt an, seine Fraktion wolle dabei die Interessen der Internetnutzer im Auge haben, aber auch für Regeln zum Schutze des geistigen Eigentums sorgen. Die Union lehne es ab, dass es beim Urheberrecht ein Auseinanderfallen von Regeln in der digitalen und der realen Welt gibt. Für die Zeit nach der nächsten Bundestagswahl hat Kauder zudem eine eindeutige Koalitionsaussage parat: nur mit der FDP. Immerhin stehe die Koalition ausgezeichnet da und habe eine Menge vorangebracht.