"Klientelpolitik wie bei der FDP"

Die von den Grünen ins Spiel gebrachte Abwrackprämie für Fahrräder stößt in Foren und auf Twitter weitgehend auf Ablehnung

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Letzte Woche trat Stephan Kühn, der verkehrspolitische Sprecher der Grünen, mit der Forderung nach einer kommunalen Abwrackprämie für Fahrräder in Höhe von 50 Euro an die Öffentlichkeit. Diese würde seiner Meinung nach nicht nur den Fahrradanteil am Verkehr erhöhen, sondern auch für mehr Sicherheit auf deutschen Straßen und Wegen sorgen.

Kühn zufolge könnten Kommunen mit so einer Prämie sogar "Geld sparen", weil damit ein "teurer Neu- und Ausbau von Straßen unnötig" werde. Gebe man die Prämie außerdem nur an solche Radfahrer, die ihr Neufahrzeug nicht im Internet, sondern beim "regionalen Fachhändler" erwerben, dann werde außerdem die örtliche Wirtschaft angekurbelt. Ob diese Rechnung so aufgeht, ist allerdings fraglich: Vor drei Jahren hatten Frankfurt am Main, Mannheim, Marburg und Teltow eine Abwrackprämie für Fahrräder eingeführt. Lediglich in Marburg war man damit so glücklich, dass man das Experiment verlängerte.

Miele-Fahrräder waren praktisch unverwüstlich, werden aber seit 1960 nicht mehr hergestellt

Ulrike Gottschalk, die Verkehrsexpertin des grünen Wunsch-Koalitionspartners SPD, begrüßte Kühns Vorstoß trotzdem als "eine Variante, die man prüfen könnte". In Foren und auf Twitter stößt das Vorhaben dagegen weitgehend auf Ablehnung. Hier sieht man die Fahrrad-Abwrackprämie überwiegend als "versteckte Subventionen für die eigene Klientel" - wie "bei der FDP" und ihrer "Gefälligkeit Hoteliers gegenüber". Und auch traditionelle Grünen-Wähler kritisieren, dass durch diese Subvention Steuermittel an wichtigeren Stellen fehlen - zum Beispiel bei der Bildung oder der Kinderbetreuung.

Nur relativ wenige Stimmen glauben, dass die Prämie den Anteil anderer Verkehrsmittel verringern kann: Denn "neue Fahrräder bedeuten nicht automatisch, dass sie auch genutzt werden." Dafür sprechen unter anderem Statistiken des Allgemeinen Deutscher Fahrradclubs (ADFC), nach denen es in Deutschland derzeit ungefähr 70 Millionen Fahrräder, aber lediglich 29 Millionen regelmäßige Radfahrer gibt. Und auch eine kurze Fahrrad-Spritztour am Sonntag führt nicht dazu, dass der Autoverkehr zurückgeht. Dazu müssten vor allem Pendler und Einkaufsfahrer auf das Fahrrad umsteigen.

Deren Gründe, beim Auto oder bei öffentlichen Verkehrsmitteln zu bleiben, werden durch eine Abwrackprämie nicht aus der Welt geschafft: Regen und Kälte, weite Entfernungen, eine mangelnde körperliche Eignung, die Inkompatibilität mit den beruflichen Hygiene- und Kleidungsanforderungen, fehlender Platz, Scherben auf der Straße und eine hohe Diebstahlsgefahr bei neuen Fahrrädern. Abhilfe schaffen würden hier keine neuen Fahrräder, sondern ein Glasflaschen- und Alkoholverbot in der Öffentlichkeit, mehr Streifenpolizei, ein Recht auf Telearbeit oder auf Duschen am Arbeitsplatz oder mehr und mit weniger Auflagen versehene Baugenehmigungen in und in der unmittelbaren Nähe von Großstädten (was viele Grüne aus Gründen des Denkmal-, und Naturschutzes nicht wollen).

Abwrackprämien für Autos, Heizungen und Elektrogeräte wurden und werden mit einem geringeren Energieverbrauch und eines geringeren Schadstoffausstoß verteidigt. Für Fahrräder greift dieses Argument nicht, sondern lässt sich gegen eine Prämie wenden: Denn die Herstellung von Fahrrädern ist durchaus nicht umweltneutral - und gerade ältere Wertarbeitsfahrräder halten selbst bei nicht sehr intensiver Pflege sehr lange. Man könnte zwar argumentieren, dass manche der neuen Fahrräder ein wenig leichter sind als alte und dass der menschliche Körper bei mehr Anstrengung mehr Kohlendioxid ausstößt. Aber wenn man anfängt, das zu berücksichtigen, dann müsste man das Fahrrad als "nachhaltiges Mobilitätsobjekt" grundsätzlich infrage stellen und es beim Abwracken gegen eine LTE-Flatrate und ein Videokonferenzprogramm eintauschen.

Telepolis hat dazu eine neue Umfrage gestartet: Soll es eine Abwrackprämie für alte Fahrräder geben?

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