Die Liebesgeschichte zwischen Deutschland und Israel muss enden

Ansichten einer Palästinenserin

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Ich habe nie verstanden, warum sich die Deutschen gegenüber den Palästinensern so feindselig verhalten. Wir alle wissen, wie sehr die Deutschen unter ihrer Schuld gegenüber den Juden leiden. Selbst heute noch, fast 70 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, trifft dies bis zu einem gewissen Grad zu. Sie haben dieses Schuldgefühl ererbt, sonst nichts, denn die meisten von ihnen waren vor 1945 noch nicht einmal geboren. Und Israel übrigens auch nicht. Das Naziregime war bereits drei Jahre vor der Gründung Israels besiegt. Dennoch repräsentiert dieser Staat alle Juden, die unter dem Holocaust gelitten haben, und ihre Nachkommen ebenfalls, und das offenbar für alle Zeiten. Israel ist zum Schrein für Sühne, Reue und Schuld der Deutschen geworden, unberührt vom Wandel der Zeiten.

Die deutsch-israelischen Beziehungen sind sehr eng. Die Wiedergutmachungszahlungen an Israel haben die Deutschen viele Milliarden Dollar gekostet und sind bis heut nicht abgeschlossen. Die deutsche Führung absolviert routinemäßig ihren Kotau vor Israel. Erst kürzlich übertrafen sich der deutsche Bundespräsident und die Bundeskanzlerin anlässlich ihrer Besuche in Israel gegenseitig mit Lobpreisungen des israelischen Staates und schworen ihm ewige Unterstützung und Hilfe. Erst in den letzten Monaten hat Deutschland drei hochmoderne, atomwaffenfähige U-Boote der Dolphin-Klasse an Israel geliefert, deren Kosten teilweise von Deutschland übernommen werden. Weitere drei wurden für das Jahr 2018 versprochen, trotz des Missfallens, das Israel mit der Ausweitung seiner Siedlungen bei den Deutschen erregt.

Aber warum muss diese Freundschaft gegenüber Israel mit einer ebenso ausgeprägten Antipathie gegenüber den Palästinensern verbunden sein, dem Volk, das als Wiedergutmachung für die Nazi-Verbrechen geopfert wurde, in deren Land Israel gegründet wurde, während sie selbst zu staatenlosen Flüchtlingen gemacht wurden?

Ich habe dieses Rätsel kürzlich in Deutschland am eigenen Leib erlebt. Im letzten Februar wurde ich eingeladen, bei einer Konferenz über den Nahen Osten an der Universität Bremen zu sprechen. Aber in letzter Minute wurde die Einladung zurückgezogen, weil die Leitung der Universität meine Ansichten für "unangemessen" hielt. Später stellte sich heraus, dass ein israelischer Doktorand gegen die Konferenz protestiert und behauptet hatte, die Konferenz und vermutlich auch ich selbst seien "antisemitisch". Im Juni nahm ich an einer Konferenz der Freien Universität Berlin teil, organisiert vom Forschungsinstitut der Universität in Zusammenarbeit mit der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, GDAP. Das Thema lautete Europa und der arabische Frühling.

Was folgte, war ein deprimierendes Schauspiel deutscher Speichelleckerei gegenüber den israelischen Teilnehmern und ein kaum verhohlenes Unbehagen mir gegenüber, als würden die Veranstalter ihre Kühnheit bereuen, mit der sie zugelassen hatten, dass auch eine palästinensische Stimme gehört wurde. Der Repräsentant der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, der die erste Sitzung leitete, stellte mich erstaunlicherweise als "palästinensische Terroristin nach Aussage einiger Israelis" vor. Meine offensichtliche Konsternation konnte ihn weder zu einer Entschuldigung noch zu einer Erklärung bewegen. Erst nach dem Ende der Sitzung antwortete er auf meine direkte Frage, er habe lediglich meine Biographie vorgelesen, so wie sie ihm von den Organisatoren in die Hand gedrückt worden sei. Die Letzteren bestritten dies und erklärten, ich sei lediglich als "Aktivistin" beschrieben worden. Keiner hielt es damals für nötig, sich zu entschuldigen.

Meine Rede über die bestens dokumentierte Voreingenommenheit der EU für Israel, die Privilegien und die bevorzugte Behandlung der israelischen Wirtschafts- und Wissenschaftsinstitutionen sowie die offensichtliche Tatsache, dass Israel nur dem Namen nach noch kein europäischer Staat ist, wurde sehr kühl aufgenommen. Ein Organisator der Konferenz beschwerte sich, man habe politische Analyse und nicht "politische Stellungnahme zugunsten einer Seite" gewollt. Ein israelischer Teilnehmer protestierte, bei der Konferenz ginge es nicht um den israelisch-palästinensischen Konflikt, und der ehemalige israelische Botschafter in Deutschland erklärte wütend, er könne mich in jedem Punkt widerlegen, als ob wir uns bei einer politischen Propagandaveranstaltung und nicht bei einer wissenschaftlichen Konferenz befänden. Die anderen Teilnehmer gingen mir weitgehend aus dem Weg, was in krassem Gegensatz zu der Überschwänglichkeit stand, mit der sie die anwesenden Israelis behandelten.

Diese unangenehme Episode führte mir vor Augen, wie sehr die Deutschen sich immer noch davor fürchten, Israel zu kritisieren, und wie ausgeprägt daher ihre Ablehnung der Palästinenser ist. Es ist erstaunlich, dass die Opfer Israels auf einmal die Schurken sind, während die Besatzer in ihrem Land zu Helden erklärt werden. Ich ging mit der Überzeugung aus der Veranstaltung hervor, dass die Deutschen, welche Rolle ihre Vorfahren während der Herrschaft der Nazis auch gespielt haben mögen, endlich mit ihrer Geschichte ins Reine kommen und die Welt so sehen müssen, wie sie ist. Israel ist ein Staat, dessen Politik der Diskriminierung und Unterdrückung eines anderen Volkes unentschuldbar ist und gegen die zivilisierten Werte verstößt, die uns allen heilig sind.

Diese Tatsache anzuerkennen bedeutet keineswegs die Leugnung der Verantwortung Deutschlands für die Juden, die vor 70 Jahren von den Nazis umgebracht wurden, sowie für ihre Nachkommen, die in vollem Umfang entschädigt werden müssen. Was ich bei den Deutschen erlebte, war die Unfähigkeit, zwischen dem israelischen Staat und den jüdischen Opfern der Nazis zu unterscheiden. Die Folge davon sind eine übertriebene Nachsicht gegenüber Israel, welche Verbrechen es auch immer begeht, und ein irrationaler Hass gegenüber den palästinensischen Opfern. Es ist höchste Zeit, sowohl diese Nachsicht als auch den Hass zu beenden.

Dr. Ghada Karmi ist Research Fellow an der Universität Exeter in England.

Übersetzung aus dem Englischen: Sigrid Langhaeuser. English version: The German-Israeli Love Affair Must End.