Teufelskreis

Das Anhörungsverfahren dreht sich um den Teilabschnitt II sowie um eine Änderung im Teilabschnitt I. Bild: Land Brandenburg

Die Energie- und Klimawochenschau: Vom unregulierten Fracking, neuen Tagebauen und schwindender Schneedecke

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Während Peak Oil immer lauter an die Tür klopft (Nordsee-Öl ist bald aufgebraucht), was sich unter anderem durch die rekordhohen Einfuhrpreise für Rohöl bemerkbar macht, schauen sich die Energiekonzerne nach Alternativen um. Einige sind ganz versessen darauf, auch in Europa sogenanntes unkonventionelles Erdgas zu fördern.

In den USA hat die als Fracking bekannte Methode, mit der das Gas aus kleinen Einschlüssen im Gestein gelöst wird, bereits zu einem Boom im Erdgasgeschäft geführt. Und zu brennenden Wasserhähnen. Die Einschlüsse werden durch hohen Druck und den Einsatz von Chemikalien aufgebrochen, und offensichtlich ist nicht in jedem Fall zu verhindern, dass Grundwasserspeicher dadurch verunreinigt werden. Entsprechend gibt es in den USA auch erhebliche örtliche Widerstände gegen die Förderung. In Albany, der Hauptstadt des US-Bundestaates New York, demonstrierten Ende August mehrere Tausend Menschen gegen neue Bohrlöcher. New York und Maryland sind die einzigen beiden US-Bundesstaaten, in denen es bisher keine Genehmigungen für Fracking gibt.

Hierzulande sind die Widerstände eher noch größer, sodass sich Shell-Chef Peter Voser beklagt, Europa reagiere "zu emotional" auf das Thema. Allerdings stoßen die Unternehmen auch auf technische Schwierigkeiten. Exxon hat bei zwei Vorkommen, die es versucht, in Polen zu erschließen, erhebliche Probleme. Die in den USA vielfach erprobten Techniken versagen, das Gestein sei undurchdringbar.

Zusätzliches Wasser in den Wein gießen verschiedene Studien, die kürzlich im Auftrag der EU-Kommission angefertigt wurden und über die das Portal businessgreen.com berichtet. Demnach gehen vom Fracking "große Risiken" für Gesundheit und Umwelt aus. Unter diesem Aspekt sei dieses Geschäftsfeld deutlich zu wenig reguliert. In Nordrhein-Westfalen wurden Genehmigungen für Probebohrungen bisher zum Beispiel nach dem Bergrecht vergeben, das weder Bürgerbeteiligung noch Umweltverträglichkeitsprüfung kennt. Auch die lokalen Behörden haben kein Mitspracherecht, was bereits für erheblichen Ärger gesorgt hat. NRW-Umweltminister Johannes Remmel hat daher kürzlich gegenüber Frackinggegnern gefordert, das Bergrecht ganz abzuschaffen, da der Kohlebergbau ohnehin auslaufe.

Buddeln ohne Ende

Davon kann leider bei der Braunkohle keine Rede sein. Vattenfall will seinen Tagebau Welzow Süd ausweiten, wofür dort in der südbrandenburgischen Lausitz über 800 Menschen mit ihren Betrieben und Häusern weichen müssten. Am gestrigen Dienstag hat in Cottbus eine dreitägige Anhörung dazu begonnen. Wie der RBB berichtet, hat es rund 5.000 Einwendungen gegeben. Zum Auftakt habe es eine Demonstration von 300 Braunkohlegegnern gegeben, die meist aus den betroffenen Ortschaften kamen. 100 Vattenfall-Mitarbeiter sollen für den Tagebau demonstriert haben.

Natürlich musste mal wieder das Argument der Arbeitsplätze herhalten. Allerdings waren 2011 nach Verbandsangaben in der Lausitzer Braunkohleindustrie einschließlich der Kraftwerke lediglich 8.126 Mitarbeiter beschäftigt. Bundesweit waren es 22.770. Zum Vergleich: In den Branchen der erneuerbaren Energien wird die Zahl der Arbeitsplätze seit einigen Jahren auf rund 300.000 geschätzt. Dem Tagebau soll übrigens auch das Ökodörfchen Proschim mit seinen Biogas- und Fotovoltaikanlagen weichen. Zwischen 2027 und 2047 will Vattenfall rund 200 Millionen Tonnen Braunkohle aus dem neuen Tagebau holen, was CO2-Emissionen von mindestens 300 Millionen Tonnen entspricht.

Versteckte Subventionen

Die Sanierung der alten Tagebaue wird übrigens aus öffentlichen Geldern finanziert. Allein in der Lausitz sollen dafür nach einem Abkommen zwischen Bund und Land von 2013 bis 2017 590 Millionen Euro ausgegeben werden. Davon werden 220 Millionen Euro aus dem Landeshaushalt kommen.

Insgesamt haben Bund und Länder seit 1990 bereits rund neun Milliarden Euro für die Rekultivierung alter Tagebaue in Ostdeutschland ausgegeben. Die Kosten wurden den Nachfolgern der ostdeutschen Braunkohlekombinate, also vor allem Vattenfall und der MIBRAG, gnädigerweise erlassen. Für die Sanierung der Urangruben der Wismut AG wurden übrigens 1991 6,6 Milliarden Euro bereit gestellt, die inzwischen größtenteils aufgebraucht sein dürften.

Vattenfall meint übrigens, dass die Braunkohle subventionsfrei gefördert wird, aber davon kann wohl kaum die Rede sein, solange der Abbau nicht zumindest die Sanierung der alten Flächen finanziert. Aber derlei Kosten überlässt man ja gerne, wie auch den vermutlich größeren Teil der sogenannten Ewigkeitskosten des Ruhr- und Saarbergbaus, der Allgemeinheit.

Und dabei ist noch nicht einmal von den Kosten gesprochen, die durch die Emissionen der Braunkohlekraftwerke entstehen. Wie letzte Woche bereits erwähnt (Geschenke an die Industrie), gehören je vier Braunkohlekraftwerke von Vattenfall in Ostdeutschland und von RWE im Rheinland zu den größten Umweltverschmutzern Europas. Gemeinsam verursachen sie jährlich Schäden in Höhe von 6,6 bis 9,7 Milliarden Euro.

Mangelware Schnee

Zu den Schäden gehört bekanntlich auch der besonders große Beitrag, den Braunkohle pro erzeugter Kilowattstunde zum Klimawandel leistet. Letzterer ist in diesen Wochen besonders augenfällig am Rekord-Eisschwund auf dem Polarmeer, über den hier auf Telepolis bereits mehrfach berichtet wurde.

Inzwischen neigt sich die arktische Sommersaison ihrem Ende zu und die Eisfläche wird in den nächsten Tagen ihre geringste Ausdehnung erreichen. Am Montag lag sie nach Angaben der Polar Research Group der University of Illinois, USA, () bei 2,368 Millionen Quadratkilometer. Das waren 2,352 Millionen weniger, als der Durchschnitt Jahre 1979 bis 2008 für den 10. September.

Eisbedeckung am Montag berechnet aus der von Satelliten gemessenen Abstrahlung der Erdoberfläche im Mikrowellenbereich. Bild: Uni Bremen

Für Verwirrung sorgt manchmal, dass von verschiedenen Wissenschaftlergruppen diverse Maße für die Eisbedeckung verwendet werden. An dieser Stelle ist die reine Eisfläche gemeint. Ebenfalls gebräuchlich ist die Bezeichnung Eisgebiet, mit dem jene Fläche gemeint ist, die zumindest zu 15 Prozent mit Eis bedeckt ist. Um die Verwirrung komplett zu machen, setzen dänische Wissenschaftler in ihrer Definition des Eisgebietes den Grenzwert bei 30 Prozent an.

Abweichung der Schneedecke im Juni vom Mittelwert der Jahre 1967 bis 2012. Deutlich zu sehen der stark negative Trend. Immer mehr (dunkles) Land liegt im Sommer frei und kann sich erwärmen. Bild: Rudgers University

Aber nicht nur das Eis schwindet, auch die Schneedecke wird kleiner. Wie obige Grafik zeigt, lagen in diesem Juni auf fast sechs Millionen Quadratkilometern, eine Fläche fast 17mal so groß wie Deutschland, weniger Schnee als im Mittel der letzten 45 Jahre. Das heißt die einfallende Sonnenstrahlung wurde nicht zu 60 oder mehr Prozent ins Weltall zurückgeworfen, sondern zu über 90 Prozent von der dunklen Landoberfläche absorbiert.

Und das ist nicht wenig, denn wie die Grafik unten zeigt, fällt aufgrund des langen Tages in den hohen Breiten pro Tag und Fläche mehr Sonnenstrahlung ein, als am Äquator. Dadurch wird, wenn der Schnee weg ist, die Arktis noch zusätzlich erwärmt und sozusagen ein Teufelskreis in Gang gesetzt.

An dieser Grafik lässt sich übrigens noch etwas erahnen. Bisher sind die ersten größeren Wasserflächen auf dem Polarmeer erst ab Ende Juli eisfrei, wenn die Sonne bereits wieder niedrig steht und die Energiedichte schon am Abnehmen ist. Setzt sich die derzeitige Entwicklung weiter fort, wofür bei dem immer dünneren Eis alles spricht, dann wird sich auch dieser Zeitpunkt weiter nach vorne verlagern, sodass immer mehr Sonnenenergie vom arktischen Ozean aufgenommen werden kann.

Die einzelnen Grafen zeigen, wie sich an unterschiedlichen geografischen Breitengraden die Energiedichte (Energie pro Fläche und Tag) der Sonneneinstrahlung im Laufe des Jahres ändert. Wie man sieht ist aufgrund der großen Tageslänge nördlich des Polarkreises rund um die Sommersonnenwende Ende Juni die einfallende Energie größer als am Äquator. Bild: FAO

Emissionen rückläufig

Und zu guter Letzt die gute Nachricht der Woche. Die Europäische Umweltagentur in Kopenhagen vermeldet, dass die Treibhausgasemissionen der EU 2011 trotz höheren Verbrauchs an Kohle um 2,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr zurück gegangen sind. Damit liegen sie nun um 17,5 Prozent unter dem Niveau von 1990. Der Rückgang liege vor allem am milden Winter und damit am verminderten Verbrauch der Haushalte. Auch die Emissionen des Verkehrs seien zurückgegangen, und zwar bereits im vierten Jahr in Folge.

Unterdurchschnittlich ist hingegen der Beitrag der Industrien, die dem Emissionshandelssystem unterliegen. Deren Ausstoß sei nur um 1,8 Prozent zurückgegangen. Der anhaltend niedrige Preis der Zertifikate, die derzeit unter zehn Euro pro Tonne CO2 gehandelt werden, zeigt, dass auf diesem Gebiet viel mehr möglich wäre. Offensichtlich sind zu viele Emissionsrechte ausgegeben worden. Erst von einem Preis von etwa 30 Euro pro Tonne ist davon auszugehen, dass spürbare Anreize zur Minderung der Emissionen geschaffen werden.

Die Treibhausgasemissionen der EU. Methan, Lachgas (N2O) und andere Gase werden entsprechend ihrer Menge und Wirkung in CO2-Äquivalente umgerechnet. Bild: EEA

Unterdessen ist der Rückgang im letzten Jahr im Gesamtkontext nicht gerade herausragend. Wie die obige Grafik zeigt, hat sich an den Treibhausgasemissionen der EU über viele Jahre kaum etwas geändert, bis es mit der Krise 2009 einen starken Einbruch gab. 2010 sind die Emissionen mit der partiellen Erholung der Wirtschaft wieder kräftig angestiegen, und der Rückgang im letzten Jahr hebt diese Zunahme dann wieder auf.

Mit einer Reduktion um 17,5 Prozent ist die EU übrigens schon ziemlich nah beim offiziellen Ziel von 20 Prozent bis 2020. Umso unverständlicher ist es, dass die Mitgliedsstaaten nicht bereit sind, dieses Ziel auf 30 Prozent Reduktion bis 2020 hoch zu setzen. Damit könnte die EU den internationalen Klimaschutzverhandlungen den dringend benötigten neuen Schwung geben und andere große Emittenten unter Zugzwang setzen.

Und die EU könnte sich mit einem konzertierten industriellen Erneuerungsprogramm vielleicht aus der gegenwärtigen Krise herausarbeiten. Die südeuropäischen Länder haben beste Bedingungen für Solar- und oft auch Windenergie, und in der Tat hat Portugal bereits einen der weltweit höchsten Windanteile an der Stromversorgung. Würde dieses Potenzial konsequent genutzt, Speicher gebaut, Infrastruktur angepasst und der Verkehr zügig und soweit es geht auf Elektromotoren umgestellt, dann könnten diese Länder ihre Rechnung für importierte Energie drastisch reduzieren und langfristig sogar Selbstversorger werden. Das würde eine Menge Arbeitsplätze schaffen und die Volkswirtschaften auf kräftigere Beine stellen. Mit dem Geld, das in den letzten Jahren, auch aus dem griechischen Staatshaushalt, in die Bankenrettung gesteckt wurde, könnte ein solches Programm sicherlich spielend angestoßen werden.