Gerüchte, ominöse Figuren und Zufall?

Ein auf YouTube geposteter Ausschnitt eines denunzierenden Films über das Leben des Propheten soll für tödliche Ausschreitungen in den US-Botschaften in Kairo und Bengasi verantwortlich sein

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Der als Ursache für Ausschreitungen vor der US-Botschaften in Kairo und dem US-Konsulat in Bengasi (wo der US-Botschafter für Libyen und drei amerikanische Diplomaten getötet wurden) genannte Filmausschnitt auf YouTube wird nach den ersten Szenen, die die Hoffung auf eine möglicherweise gelungene Satire noch erhalten, sehr bald unerträglich schlecht, flach, billig und in seiner groben Schlichtheit bösartig.

Der Filmausschnitt beginnt mit Szenen kurz vor und während einer Ausschreitung wütender Muslime. Die Szene wie die dargestellten Figuren, Täter, Opfer und Sicherheitskräfte, sind Stereotypen, die man von unzähligen Fernseh-und Filmdarstellungen kennt. In ihrer Überzeichnung lassen sie zunächst noch offen, ob Witz und Esprit die simple Theatralik und die Sprechblasendialoge auf eine andere Ebene befördern. Dass Klischees von gewaltbereiten Zeloten durchaus brauchbares Material für Satire abgeben, immer wieder auch mit dem Kunstmittel sehr plakativer Dialoge, führt zum Beispiel der Brite Chris Morris mit seinem Film Four Lions vor.

Auch bei diesem Film, der laut Titanic zu den "größten Hoffungen berechtigt", gab es, bevor er im vergangenen Jahr in die deutschen Kinos kam, die übliche Sorge, dass die Reaktionen darauf "heftig ausfallen könnten" (Wie gefährlich ist ein Film mit "depperten Dschihadis"?). Die damals geäußerte Befürchtung des CSU- Bundestagsabgeordneten Stephan Mayer, "es könnte Öl ins Feuer gegossen werden", bestätigte sich nicht.

Ausschnitt aus dem YouTube-Trailer

Ganz anders liegt der Fall bei dem eingangs genannten Filmausschnitt, dem alles fehlt, was den Blick erweiteren oder das Verständnis des Themas vertiefen könnte, der der bösen, gnadenlosen Überzeichnung mit verstehender Intelligenz, etwa mit Menschenkenntnis, beikommt. Anders als Morris hat der israelisch-amerikanische Bauunternehmer Sam Bacile aus Kalifornien, der als Produzent und Regisseur des "Filmdramas", aus dem der Ausschnitt stammt, genannt wird, miserabel oder gar nicht recherchiert, weswegen ihm durchaus üble Absichten unterstellt werden können.

[Einfügung: Hinweise (hier) darauf, dass es sich bei dem Namen Sam Bacile um ein Pseudonym handelt, sind bislang sehr viel überzeugender als Hinweise darauf, dass es einen Filmregisseur mit diesen Namen überhaupt gibt. Zwar ist in einigen Berichten (etwa im Wall Street Journal oder von AP) von einem Telefoninterview mit einem Mann dieses Namens die Rede. Allerdings heißt es, dass er derzeit "auf der Flucht" sei. Aus den Aussagen des Interviews über "eine kalifornische Telefonnummer", die wiedergeben, was auch hier erwähnt wird - das angebliche 5 Millionen-Budget; dass der Islam "cancer" sei - kann natürlich nicht auf die Existenz eines Mannes mit diesem Namen geschlossen werden, der laut ausgesprochen Ähnlichkeiten mit "Imbecile (Dummkopf) hat - wobei es bei Künstlernamen große Vielfalt gibt. Einigermaßen verbürgt ist ein wenig vertrauenswürdiger Mann namens Steve Klein, der als selbsternannter Terroristenexperte vorgestellt wird, der sich als Berater für den Film ausgewiesen wird. ]

Im Mittelpunkt des Films, der laut New York Times "Die Unschuld der Muslime" ("Innocence of Muslims") steht, folgt man dem knapp 14-minütigen Ausschnitt, eine episodenhafte, sketchähnliche Darstellung des Lebens des Propheten Muhamed in amerikanischer Sprache, getragen von einem obsessiven, missionarischen Willen zur infantilen Übersteigerung der Figur zu einem jünglingshaft beschränkten Gewaltprediger, dem primitive, Lüsten und Trieben ausgelieferte, dumme Rabauken beigesellt werden. Selbstverständlich werden Bildtabus, die im Islam mit dem Propheten verknüpft sind, gebrochen. Klar, er wird beim Sex mit gefügigen, ihm unterworfenen Frauen gezeigt. In einem Interview soll Bacile den Islam als "Krebs" bezeichnet haben. Nach Informationen der New York Times soll er fünf Millionen Dollar, von "hundert jüdischen Geldgebern", für seinen Film gesammelt haben. Der zweistündige Film soll im vergangenen Jahr in Kalifornien gedreht worden sein.

Im "The Lede"-Blog der Zeitung ist auch zu erfahren, dass der genannte Film-Ausschnitt schon seit Juli auf YouTube gepostet war und bis vergangene Woche, bis eine arabische Version auftauchte und bald kopiert wurde, kaum Aufmerksamkeit fand.

Die Ausschreitungen

Das ist seither anders. Auf den Filmausschnitt wurde unter anderem von einem amerikanischen Kopten, ägyptischer Herkunft, namens Morris Sadek, laut NYT berüchtigt für verbale Angriffe gegen Muslime, in einem arabischsprachigen Blog verwiesen, er machte die Runde im Netz, ägyptische Publikationen berichteten davon. Die Aufmerksamkeit war da, zumal auch das ägyptische Fernsehen einen Auschnitt brachte.

Am gestrigen Dienstag, dem Jahrestag von 9/11, stürmten wütende Demonstranten Mauern vor der amerikanischen Botschaft in Kairo. Im libyschen Bengasi griffen Empörte ebenfalls die amerikanische Vertretung, ein Konsulat, an und töteten dabei einen höheren Angestellten des US-Außenministeriums. [Update: Laut einer neueren Meldung wurden gestern in Bengasi der amerikanische Botschafter und drei Botschaftsangehörige getötet, als das Auto des Botschafters, mit dem sie vor den Ausschreitungen zu flüchten versuchten, mit Raketen beschossen wurde]. Auch Außenministerin Clinton verwies in ihrer Reaktion auf die Ausschreitungen auf den Filmauschnitt im Internet als möglichen Anlass:

"Some have sought to justify this vicious behavior as a response to inflammatory material posted on the Internet," she said. "The United States deplores any intentional effort to denigrate the religious beliefs of others. But let me be clear: There is never any justification for violent acts of this kind."

Pastor Jones und andere Dunkelmeister

Im Hintergrund tauchen ominöse Figuren wie Pastor Terry Jones von Gainesville auf, der vor zwei Jahren international durch die Ankündigung einer Koranverbrennung bekannt wurde (Terry Jones, die Karikatur und die Angst vor dem Chaos). Eine ägyptipsche Zeitung mutmaßte, dass er an der Produktion des Filmes beteiligt sei. Ob dies bloß ein Gerücht ist, ist nicht mit völliger Sicherheit geklärt. Doch machte die Beteiligung Jones am Film die Runde und dürfte die Erregung noch zusätzlich angestachelt haben. Auch die bekannte ägyptische Bloggerin Zeinobia nahm die Behauptung in ihrer Schilderung der Ereignisse vor der US-Botschaft in Kairo auf. Sie berichtet, dass dazu das Gerücht gestreut wurde, dass sämtliche US-TV-Sender den Film am Jahrestag der 9/11-Anschläge ausstrahlen würden. Bemerkenswert ist ihre Beobachtung, dass "ironischerweise jene, die den Film online weiterverbreiteten, meistens Islamisten waren".

Jones bestätigte nicht, dass er an der Produktion des Films beteiligt war, nahm aber die Gelegenheit wahr, die Aufmerksamkeit für Selbstdarstellung und Verbreitung eigener islamophober Ansichten zu nutzen. Der Film zeige auf satirische Art das Leben Muhamads, er sei nicht (!) daraufhin angelegt, Muslime anzugreifen, sondern auf die destruktive Ideologie des Islam hinzuweisen.

Dieser schlichten Auffassung des Predigers stehen allerdings Beobachtungen gegenüber, die auf komplexere Hintergründe deuten. So fragt sich die ägyptische Bloggerin, die bei dem Protest vor der US-Botschaft in Kairo al-Qaida-Flaggen gesehen hat und viele, zum Teil bekannte, Salafisten, warum ihnen bei der Stürmung der Mauern der US-Botschaft gelang, was bei einem kürzlichen Protest vor der nur einige Blocks weiter entfernten syrischen Botschaft nicht gelang, weil die syrische Botschaft besser abgesichert war. Andere, in den Kommentaren zu den Berichten der Ausschreitungen, fragen sich, ob es nur Zufall war, dass nahezu zeitgleich US-Botschaften in Libyen und in Ägypten von einem wütenden Mob angegriffen wurden.