Europolitik als Simulation

Wie Demokratie zur Gaukelei wird

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In Karlsruhe wurde der Weg freigegeben für den Beitritt der Bundesrepublik zum europäischen "Rettungswerk". Die deutschen Verfassungsrichter fanden den Fiskalpakt ganz ok, er demontiert ja auch, so scheint es gegenwärtig, nur die demokratischen Rechte der Parlamente in anderen Ländern, den Schmuddelkinderstaaten. Beim Europäischen Sabilitätsmechanismus ESM haben die Hüter des Grundgesetzes Vorbehalte angemeldet, die den Gang der Dinge aber nicht aufhalten werden, denn sie lassen sich in vertragsrechtlich dubiose protokollarische Erklärungen ummünzen. Das Bundesverfassungsgericht äußerte sich nur vorläufig, die Hauptverhandlung kommt erst später. Für die politischen Realitäten hat diese dann allerdings keine Bedeutung mehr, und der mediale Effekt ist jetzt verbraucht.

Als "Schicksalsstunde" wurde der Auftritt in Karlsruhe in der veröffentlichten Meinung dargestellt, als solche war die juristische Mühewaltung simuliert. Die Bundeskanzlerin, der Mangel an politischem Berechnungsvermögen gewiss nicht vorzuwerfen ist, hat keineswegs befürchtet, die Verfassungsrichter würden sie ins Stolpern bringen. Sie kann jetzt einmal mehr auf Legitimation ihres europapolitischen Kurses verweisen. Zufrieden sind die Strategen der Regierungskoalition und der SPD wie auch der Grünen - die ganz große Koalition in Sachen Euro-"Rettung" ist verfassungsrechtlich abgesegnet. Nicht unzufrieden sind Anführer der Partei Die Linke, sie können ihre Klage als doch irgendwie wirksam hinstellen, weil das Bundesverfassungsgericht seinem "Ja" ein kleines "Aber" beigab.

Wenig beachtet wurde beim Echo auf die richterliche Entscheidung, dass diese, wie der Präsident des Gerichts es ausdrückte, die "Sinnhaftigkeit" der Europolitik gar nicht betrifft. Es handelt sich also möglicherweise um politischen Unsinn, der da vor sich geht - die Richter hatten nur zu entscheiden, ob und wie dabei die verfassungsmäßigen Spielregeln einzuhalten sind.

Und so ist nun noch einmal bekräftigt, dass in der Bundesrepublik, die ja bekanntlich eine Parlamentsdemokratie ist, die "haushaltsrechtliche Verantwortung des Bundestages gewahrt bleiben muss", auch das Informationsrecht dieser Institution, wenn der finanzeuropäische "Mechanismus" die Bundesrepublik über das vorgesehene Volumen hinaus in Haftung nehmen will. Das Bundesverfassungsgericht wünscht, es möge bei den jetzt vereinbarten 190 Milliarden Euro bleiben. Auf Misstrauen stieß bei den Richtern die Europäische Zentralbank. Sie steht im Verdacht, sich in eine Gelddruckerei verwandeln zu wollen. Bei alledem gibt es einen grundlegenden Sachverhalt, über den Politiker und Verfassungsjuristen nicht gern sprechen: Das große "private" Kapital hat seine eigenen Regeln und Gesetze, es schafft Bedingungen und Situationen, auf die staatliche Politik und Rechtsprechung nur reagieren können, Überraschungen eingeschlossen…

Die Mitglieder des Deutschen Bundestages sind zu bedauern. "Verantwortung" mutet ihnen das Bundesverfassungsgericht zu - aber wie sollen sie sich im Irrgarten der europäischen Finanzwelt gedanklich zurechtfinden? Woher könnten sie wissen, ob dieser oder jener kreditpolitische Weg zum Ziel der "Stabilität" führt? Ob der ESM (und den EFSF gibt es auch noch) oder die EZB zum "Hebeln" geeignet sind? Und ab welcher Milliarde sich die Mechaniker überheben und einen Bruch holen? Selbst der Bundesfinanzminister, gewiss ein fleißiger Mann, ist da überfordert. Bei den Experten der Wirtschaftswissenschaft ist Hilfe nicht zu finden, sie haben zu viele und einander widersprechende Ratschläge anzubieten, sie verstehen sich auf private Aufmerksamkeitsökonomie, nicht auf jenes Gemeinwohl, dem die Volksvertreter ja dienen sollen.

Dennoch - zur Panik im Parlamentarismus besteht kein Grund. Denn in der europäischen Finanzarena ist das Budgetrecht des deutschen Bundestages nur Simulation, und da werden unsere Abgeordneten doch wohl imstande sein, einigermaßen zufriedenstellend mitzuspielen. Es ist ihnen vermutlich nicht entgangen, dass es ein höheres Wesen gibt, dem es obliegt, reale Entscheidungen zu treffen. Der Finanzmarkt, deutsche Banker haben es schon vor Jahren erklärt, hat sich als Vierte Gewalt etabliert.

Gewaltenteilung ist ein hehres Prinzip, jedoch muss die Gewalt deshalb nicht gleichmäßig verteilt sein. Die Exekutive wird für die politische Administration der gewaltigen Marktinteressen gebraucht, da geht es um Realien, dem Spielerischen sind beim Regieren Grenzen gesetzt. Die Legislative ist entlastet, nicht von der Verantwortung, aber von der wirklichen Gewalt, hier darf Politik als Fiktion aufgeführt werden. Und die Verfassungsgerichtsbarkeit kann juristisch finassierend mittun - bei der Simulation "Wir retten die Demokratie". Ob dieses Spiel das Publikum auf Dauer fesseln kann, ist eine offene Frage.