Droht eine Heuschreckenplage in der Sahel-Zone?

Bild: FAO

Die politische Instabilität im Norden Malis hat eine Bekämpfung der Wüstenheuschrecken unmöglich gemacht. Der Region droht ohnehin eine Hungerkrise

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Eigentlich hätten die Sahelstaaten Niger, Mali und Mauretanien schon genügend Probleme. Insbesondere Mali leidet unter dem Zusammenbruch der staatlichen Ordnung im Norden des Landes. Nun kommt noch eine drohende Heuschreckenplage dazu, die mangels Sicherheit und Stabilität derzeit nicht zu bekämpfen ist.

Heuschreckenschwarm. Bild: FAO

Dass sich derzeit in der Sahara Heuschrecken zusammenrotten, ist auch eine Spätfolge der libyschen Revolution. Denn im Grunde wissen die nordafrikanischen Staaten, wie man mit Wüstenheuschrecken umgeht, und gerade Libyen hat ein effektives Kontrollsystem aufgebaut. Allerdings war die Situation Ende 2011 an der Grenze zu Algerien so unsicher, dass man nicht rechtzeitig reagieren konnten, als sich, angeregt durch starke Regengüsse im Oktober, Schwärme formierten.

Zwar wurden die Schwärme in Libyen bald unter Kontrolle gebracht, doch sie haben sich zu großen Teilen nach Süden abgesetzt. Also durch die Sahara nach Niger und Mali, wo sie Ende Mai erstmals gesichtet worden sind. Die Food and Agricultural Organisation der UN (FAO) hat schon zu diesem Zeitpunkt gewarnt, dass intensive Kontrollen und der Einsatz von Pestiziden nötig wären, um eine Katastrophe im Herbst zu verhindern, die die Ernährungsgrundlage von 50 Millionen Menschen gefährden kann.

Ernte im Herbst von Heuschrecken bedroht

Wüstenheuschrecken sind eine alte Plage. Die Wanderheuschrecken leben in unwirtlichen, trockenen Gebieten. Fällt ungewöhnlich viel Regen, vermehren sie sich jedoch rasant: Nachdem die Tiere Eier gelegt haben, schlüpft der Nachwuchs nach zehn Tagen, dann dauert es fünf Wochen, bis den "Hüpfer" genannten Jungtieren Flügel wachsen, und noch einmal drei Wochen, bis die Heuschrecken geschlechtsreif sind und Eier legen. Auf diese Weise kann eine Population bei günstigen Bedingungen bis zu viermal jährlich brüten und ihre Anzahl vervielfachen. Wenn es dann im Herbst trocken wird, konzentrieren sich die Heuschrecken zu Schwärmen und ziehen weiter; sie lassen sich vom Wind treiben und legen so auf der Suche nach Nahrungsmitteln bis zu 200 Kilometer am Tag zurück.

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Das von der FAO berechnete Worst Case Szenaria war, dass die Heuschrecken im Sahara-Gebiet im August eine zweite Brut legen würden. Dann könnte sich ihre Anzahl um den Faktor 250 erhöhen, die Heuschrecken würden dann ab Oktober in Schwärmen auf die Felder einfallen und die Ernte der ohnehin von Hungerkrisen bedrohten Region dezimieren.

Ein effektives Vorgehen hätte dieses Szenario verhindert. Es wurde aber bislang durch die politische Instabilität, vor allem in Mali, verhindert. Das zeigt sich schon daran, dass der Niger das starke Glied in der Kette ist – eines der zehn ärmsten Länder Welt, das eine Analphabetismusrate von 74 Prozent (bei Frauen 90 Prozent) hat und regelmäßig unter Dürren und Hungersnöten leidet. Die Heuschrecken haben sich im Nordosten Nigers und im Nordwesten Malis niedergelassen. Die Teams in Niger haben Kontrollen durchgeführt, so dass man relativ genau Bescheid weiß, wie viele Heuschrecken dort sind, und sie haben Pestizide versprüht, so ein FAO-Mitarbeiter per Email.

Unabhängige islamische Republik Azawad

Anders in Mali. Hier konnte die FAO nur durch informelle Netzwerke punktuelle Informationen gewinnen. Ein Kontroll-Koordinator aus Mali hat im Juli von Heuschreckenschwärmen berichtet, die 800 Meter breit und 10 Kilometer lang waren. Der Koordinator erklärte aber auch, dass unter den gegenwärtigen Umständen ein Eingreifen unmöglich sei. Nord-Mali gilt als neues Somalia oder Afghanistan: ein failed state, der zum Zufluchtsort islamischer Terroristen wird. Vor kurzem hat der neue Staatschef Malis, Diouncounda Traore, offiziell die Gemeinschaft westafrikanischer Staaten (ECOWAS) um militärische Hilfe gebeten, um den Staat zu stabilisieren und den Norden zu befreien – was andere Beobachtern, etwa dem südafrikanischen Institute for Security Studies, als gefährlich werten, da sich so die ohnehin verworrenen Zustände in dem dünn besiedelten Wüstengebiet noch weiterer verkomplizieren könnten. Die den Norden beherrschenden islamistischen Gruppierungen haben auf die Möglichkeit einer internationalen militärischen Intervention bereits reagiert, indem sie Kämpfer rekrutiert haben, darunter, so die UNICEF, auch Kinder.

Mali und die Nachbarstaaten. Bild: CIA

Letztendlich ist auch das, womit die Regierung in Malis Hauptstadt Bakamo zu kämpfen hat, eine Spätfolge der Unruhen in Nordafrika: In Gaddafis Armee haben zahlreiche Tuareg gekämpft. Nach dem Fall des Regimes kehrten sie zurück nach Mali, besser bewaffnet als die Armee des Staates. Die Tuareg schlossen sich zur Nationalen Bewegung für die Unabhängigkeit des Staates Azawad (MNLA) zusammen; nachdem die Regierung in Bamako unentschlossen gegen diese vorging, kam es im März 2012 zu einem Militärputsch, bei dem der Präsident Amadou Toumani Touré gestürzt wurde. Die Tuareg nutzten die Handlungsunfähigkeit der Regierung und besetzten erst Kidal, dann Gao und schließlich Timbuktu, womit sie den Norden des Landes – den Azawad – unter Kontrolle hatten. Anschließend erklärten sie gemeinsam mit der islamistischen Gruppe Ansar Dine Azawad zur unabhängigen islamischen Republik.

Der Fluss Niger fließt durch Mali. Bild: Jacques Descloitres, MODIS Land Rapid Response Team, NASA/GSFC

Allerdings erkannte kein Staat die Republik an, und nur eine Woche später zerbrach das Bündnis wegen verschiedener religiöser und politischer Ziele. So strebten die eher säkularen Tuareg die nationale Unabhängigkeit an, während Al Danse darauf drang, die Scharia einzuführen. Die islamistische Gruppierung verbündete sich daraufhin mit der Bewegung für die Einheit und den Jihhad in Westafrika (MUJAO) und vertrieb die Tuareg aus den Städten, was von deren Bewohnern zum Teil begrüßt wurde, weil sie, etwa in Gao, die kurze Herrschaft der Tuareg als Ausbruch von Anarchie und willkürlicher Plünderung erlebt hatten. Ab dem 12. Juli hatten die islamistischen Gruppierungen den gesamten Norden unter Kontrolle; sie haben die Scharia eingeführt, es gibt Berichte von Steinigungen, von Gewalt gegen Journalisten, von der Zerstörung der Mausoleen in Timbokto und mehr. Das ist der derzeitige Zustand im Norden des Landes.

Wüstenheuschrecken fressen täglich ihr Gewicht. Bild: FAO

Zweite Generation geschlüpft

Während dieser Kämpfe wurde in Gao auch das einzige Pestizide-Lager in Malis Norden geplündert. Die Gegend gilt als vollkommen unzugänglich, ein Vorgehen gegen die Heuschrecken ist so gut wie unmöglich. Dementsprechend ist Mali auf der aktuellen Locust-Watch-Karte der FAO ein weißer Fleck, während für den Niger die Heuschrecken relativ genau verzeichnet sind und auch in Mauretanien Gruppen festgestellt wurden, was für eine massive Wanderung durch Nordmali spricht.

Schätzungen zufolge befinden sich in Nordmali rund 400.000 Menschen auf der Flucht. Die Felder wurden nicht oder zu spät bewirtschaftet. Die FAO warnt bereits seit einigen Monaten vor einer Hungerkrise in der Sahelzone, von der Tschad, Mauretanien, Mali und Niger bereits betroffen sind; der Zustrom an Flüchtlingen aus Mali bringt auch Burkina Faso in Not. Verstärkt wird diese Lebensmittelkrise durch die steigenden Preise. Die Locust-Watch-Abteilung der FAO hat am 3. September berichtet, dass die Heuschrecken in Niger gebrütet haben und eine zweite Generation schlüpfen wird. Für Mali wird dasselbe vermutet.