Die Segel flattern lose im Wind

Erwartungsvoll. Bild: R. Maresch

Am Wochenende hielten die bayerischen Piraten ihren zweiten Landesparteitag ab. Die Partei verbiss und verzettelte sich in Formalien, Postengeschacher und Verfahrensfragen

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Demokratie ist anstrengend und mitunter eine überaus zähe Angelegenheit. Dies gilt erst recht für Basisdemokratie, die sich obendrein als "liquide" ausweist und dadurch von ähnlichen Grasswurzelformen unterscheiden will. Diese Erfahrung müssen nicht nur Sympathisanten und Parteimitglieder machen. Auch neutrale Beobachter kommen nicht umhin, diese neue Art von Mitmachdemokratie als manchmal nervtötend, zeitraubend und ermüdend zu empfinden. Umso mehr ist zu bewundern, mit welcher Ausdauer, Geduld und mit welchem Sitzfleisch die Versammlung der bayerischen Piraten am Wochenende die Kür ihres neuen Personals erduldeten.

Demokratie 2.0

Wenn jeder zu Diesem und Jenem eine Meinung hat, jederzeit und allerorten alles sagen darf und sie auch noch an "politischen Netzstammtischen" kundtun kann, "liquid feedback" genannt, dann hält das vielleicht die Diskussion lebendig und in Trab. Aber ob Vielfalt, Vielstimmigkeit und ewige Diskussion tatsächlich immer auch zu politisch guten oder besseren Ergebnissen führten als in herkömmlichen Formen, das sei mal dahingestellt.

Zumal es auch mutige, frustrationserprobte und/oder -resistente Leute geben muss, die diese Flut von Kommentaren und Wortmeldungen in endlosen Stunden sichtet, ordnet und auswertet, sie anschließend in politische Thesen verpackt und später auch nach außen vertritt. Und es muss natürlich auch jemanden geben, der den immerwährenden Kommunikationsfluss anhält, ihn zeitlich und inhaltlich begrenzt und für eine Weile mal beendet.

Im Stimmungstief

Zuletzt waren die Schlagzeilen für die Piratenpartei nicht gerade berauschend. Auf Bundesebene genauso wie auf Landesebene. Nach dem Stimmungshoch im Herbst letzten Jahres, als man in Berlin mit Pauken und Trompeten in den Senat der Bundeshauptstadt einzog, ist das Interesse potentieller Wähler an den Piraten laut Meinungsumfragen (Werden die Piraten versenkt?) wieder merklich gesunken. In der Wählergunst hat man innerhalb eines Jahres über die Hälfte der Votings eingebüßt.

In der Sonntagsfrage kommt die Partei bundes- und landesweit nur noch auf knapp sechs bis sieben Prozent. Das ist zwar immer noch genug, um nächstes Jahr erstmals in den Bundes- und/oder bayerischen Landtag einzuziehen, um dort das Zünglein an der Waage bei der Regierungsbildung zu spielen; aber auch nicht unbedingt ausreichend, um sich bequem zurückzulehnen und schon mal vorab diverse Posten an Personen zu verteilen.

Interne Querelen

Und auch der bayerische Landesverband, der stärkste innerhalb der Partei, machte in den letzten Monaten mehr durch Querelen innerhalb der Führung auf sich aufmerksam als durch programmatische Statements. Zwar hatte sich die Mitgliederzahl binnen Monaten fast verdreifacht, von gut 2.500 auf nahezu 7.000. Das sind mehr als bei den Linken bzw. den Freidemokraten und fast so viele wie bei den Grünen.

Doch eine größere Austrittswelle in der letzten Zeit, Streit in der und um die Partei sowie die Rücktritte zweier Schatzmeister in den letzten Jahren hatte der Attraktivität der Partei geschadet und die Begeisterung für sie doch merklich abebben lassen. Als notwendigen "Reinigungsprozess" und "Profilschärfung" hatte der Vorsitzende Stefan Körner versucht, diesen Umstand der Öffentlichkeit zu verkaufen und kleinzureden.

Zudem hatte es zuletzt massive Probleme mit der Zahlungsmoral der Mitglieder gegeben. Offensichtlich waren viele zwar in die neue Partei eingetreten, weil sie dort Chancen für die Realisierung eigener oder politischer Ziele sahen, ihren damit verbundenen Zahlungsverpflichtungen waren sie aber anscheinend nicht nachgekommen. Als die säumigen Mitglieder von der Partei elektronisch aufgefordert worden waren, noch ausstehende Beiträge zu entrichten, erklärten augenscheinlich viele ihren Austritt aus der Partei.

Schließlich scheint bislang auch der Informationsfluss innerhalb der Parteiführung nicht immer der allerbeste gewesen zu sein. Die linke Hand wusste scheinbar nicht immer was die rechte Hand gerade im Schilde führt. Und das ausgerechnet bei einer Partei, die sich so viel auf ihre Medien- und Informationskompetenz einbildet und sich für deren Förderung und Ausweitung stark macht.

Bild: R. Maresch

Abhilfe schaffen

So hatte beispielsweise ihr Pressesprecher, der erst im Frühjahr von der CSU zu den Piraten gestoßen war, die massenhaften Zahlungserinnerungen zum Anlass genommen, bereits im August erst zurück- und dann wieder auszutreten. Davon erfahren hatte der Vorsitzende Körner allerdings erst aus der Zeitung, weil die Email, worin dieser seinen Rücktritt begründet hatte, verschlampt und ihm nicht zugestellt worden war.

Diesen organisatorischen und programmatischen Missstand wollte man beim zweiten Landesparteitag der bayerischen Piraten, der dieses Wochenende im oberpfälzischen Maxhütte-Haidhof stattfand, endlich beheben. Etwa 320 Parteimitglieder waren am ersten Tag erschienen (am zweiten Tag waren es nur noch 270), um über eine neue Führungsmannschaft zu befinden, die die Partei nächsten Herbst wohl auch in den bayerischen Landtagswahlkampf führen soll.

Gleichzeitig wollte man eigentlich über ein fast 200 Seiten umfassendes Antragswerk abstimmen, über deren Gewichtung und inhaltliche Relevanz die Mitglieder zuvor per Mausklick hatten entscheiden dürfen.

Um allerdings zu den Wahlen und Debatten zugelassen zu werden, mussten die Parteimitglieder bei ihrer Akkreditierung am Samstagmorgen erstmal einen Nachweis abliefern, dass sie mit ihren Beiträgen nicht mehr als drei Monate lang im Rückstand lagen. Vielleicht war diese sorgsame Prüfung mit ein Grund, warum der Parteitag trotz der umfassenden Agenda, die man sich auferlegt hatte, erst mit einer halbstündigen Verspätung begann.

Hinzu kam, dass es den Technikern nicht gelungen war, einen funktionierenden Netzzugang für alle aufzubauen. Über eine Stunde dauerte es, bis wenigstens die Tagesordnung auf die große Leinwand gebeamt werden konnte. Und weiterer zwei Stunden bedurfte es, um das "Gezwitschere", das Piraten so lieben, im Saal für jedermann sichtbar zu machen. Für eine Partei, die mit ihrer Technikaffinität und digitalen Kompetenz prahlt, war das ein ziemlich erstaunlicher, wenn nicht gar höchst erbärmlicher Umstand.