Zwischen Heidi Klum und Lilliefee

Stevie Schmiedel über die kulturelle Formung der Geschlechter

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Die Genderforscherin und Mitbetreiberin der Pinkstinks-Seite Stevie Schmiedel agitiert gegen die öffentliche und kommerziell ausbeutbare Festlegung der Frauen auf Role Models und legt sich dabei mit Lebensmittelkonzernen, der Spielwarenindustrie und PR-Agenturen an. Ein Gespräch mit der Lehrbeauftragten an der Universität Hamburg.

Sind diese Geschlechterklischees nur von der Werbung, Fernsehen und Lebensmittelindustrie nur künstlich aufgepappt oder gibt es in der Gesellschaft tatsächlich das Bedürfnis nach Geschlechterpolarisierung und Role Models, das Konsum- und Bewusstseinsindustrie nur aufgreifen müssen?

Stevie Schmiedel: Ja, natürlich haben wir eine große Sehnsucht nach klaren Vorbildern. Unsere menschliche Sprache lebt von Definitionen. Wir wollen genau wissen, was eine Frau denn nun ist. Und gerade, wenn durch die Frauenbewegung jahrtausendalte Grundwerte erschüttert wurden, es viel Definitionsfreiheit gibt, ist es nicht nur für Männer schwer, das auszuhalten. Als 1960 die Pille eingeführt wurde, war Twiggy, das erste Magermodel, auf dem Cover der Vogue. Soviel Freiheit – da musste ein Frauenbild her, das einengt: "Schaut mal, eigentlich sind wir ganz harmlos und klein, und ihr müsst auf uns aufpassen!" An diesem Bild arbeiten wir alle zusammen dran, aber verdienen tut an dieser Angst nur die Industrie.

"Verbindung zwischen Erwachsenenwelt und Spielwarenwelt"

Welche Auswirkungen haben "Prinzessin Lillifee" und "Germany`s Next Top Model" auf die Psyche der Kinder und Heranwachsenden?

Stevie Schmiedel: Ich erkläre es einmal anders herum: Man stelle sich vor, Spiegelburg würde eine Puppe für Jungen auf den Markt werfen. Vielleicht mit technisch anspruchsvollem Buggy und in blau gehalten, damit das Angebot nicht zu krass ist. Ein Junge mit solch einer Puppe würde mit seinen Eltern in den Urlaub fahren und hätte nun Sorgen, ob es in der Zwischenzeit der Puppe auch gut geht, ob sie gut zugedeckt ist und ob sich die anderen Kuscheltiere um sie kümmern. Hier fängt soziales Verhalten an. Das heißt: Wir glauben, dass Mädchen mit sozialem Verhalten auf die Welt kommen, aber es ist gerade die Spielwarenwelt um sie herum, also kleine liebe Püppchen mit einem süßen Augenaufschlag, die sich um die Tierchen kümmern, mit denen sie sich identifizieren.

Auch wenn die Rosa-Phase eines Tagen vorbei geht, bleibt das Modell an sich erhalten, bis zu "Barbie" und "Germany´s Next Top Model". Auch hier geht es um Personen, die durch ihr Äußeres und ihre harmlose Identität gefallen wollen. Das zieht sich dann leider weiter durch bis ins Jobleben, wo viele Frauen unter den nicht sozialen (traditionell männlichen), wenig familiengerechten Arbeitsverhältnissen leiden, aber sich dagegen nicht durchsetzen können. Und selber sexistische Bilder reproduzieren. Wir sagen nicht, dass es nicht starke Frauen gibt, die als Kinder mit "Barbie" gespielt haben. Wir versuchen die Verbindung zu ziehen mit einer Erwachsenenwelt, in der Frauen nach wie vor weniger verdienen und in der Werbung zum Objekt gemacht werden und einer Spielwarenwelt, in der Frauen keine Abenteuer bestehen, sondern sich um ihr Aussehen und das Essen für die Puppen kümmern.

Stevie Schmiedel. Foto: Pinkstinks

Warum werden Mädchen heutzutage wieder so früh sexualisiert und warum hat man sich den Körper auserkoren, um Kinder und Teenager als marktkonforme Untertanen heranzuziehen?

Stevie Schmiedel: Wenn Kinder schon früh damit beginnen, auf Körper und Aussehen zu achten und möglichst perfekt geformt sein wollen, was ihnen ja ständig durch die Werbung suggeriert wird, suchen sie sich auch Accessoires, um so auftreten zu können: Kosmetika, Mode und die dazu passenden Zeitschriften. Nichts ist schlimmer für eine Industrie, als wenn sich die Leute sich nicht um ihre Äußeres scheren.

Hat diese Entwicklung ökonomische Ursachen?

Stevie Schmiedel: Aber natürlich! Wir leben in einem komplett gesättigten Markt und diese Firmen müssen auch überlegen, wo sie ihre Einnahmen herholen. In einem Land, in dem kaum Kinder geboren werden, ist es für den Patenonkel, der bei Karstadt hereinstürmt, praktisch, wenn er einfach und schnell seine Schritte in die "Capt‘n Sharky"-Ecke für den Jungen oder in die "Lillifee"-Ecke für das Mädchen lenken kann. In den Siebziger Jahren war das alles noch viel komplizierter. Da war die Frage, was nehme ich dem Mädchen mit: Eine Puppe, einen Chemiebaukasten oder Bauklötze? Heutzutage meint man, dass Mädchen nur mit "Lillifee" spielen, weil sie ein Rosa-Gen haben und nicht mit Bauklötzen, weil sie kein räumliches Denken besitzen. Es ist spannend zu sehen, wie diese alten biologischen Studien immer wieder zitiert werden, um einen bestimmten Markt zu schaffen.

"Wir leben in einem großen Backlash"

Bis in die Neunziger Jahre hätte es ob dieses massiven sexuellen Rückschritts wahrscheinlich massive Proteste von linker, feministischer und auch christlicher Seite gegeben. Warum haben diese Gruppen keine mobilisierende Kraft mehr?

Stevie Schmiedel: Bei den Christen muss ich widersprechen: Gerade mit katholischen Verbänden haben wir oft zu kämpfen. Auch die "Offensive deutscher Christen" mag uns nicht. Die werfen uns vor, mit der Gender-Forschung ihre schönen Modelle durcheinanderzubringen, die sie durch ihre Theologie zementiert sehen wollen: Nämlich, dass Frauen für den Herd und Männer für die Arbeit geschaffen sind. Manche evangelischen Christen sind in ihren Geschlechterrollen vielleicht noch die liberalsten, aber auch nicht überall. Und kritisieren tun die ungern, weil sie um ihre Mitglieder fürchten.

Es gab aber vor zwanzig Jahren mehr Protest gegen Sexismus und tatsächlich leben wir in einem großen Backlash. Es ist jedoch schwer zu sagen, wer daran schuld ist. Wie gesagt, in dem Moment, in dem eine Gesellschaft nach vorne schreitet und in dem den Frauen suggeriert wird, sie müssten nicht mehr automatisch Kinder bekommen, könnten auch arbeiten gehen und wären ansonsten komplett frei, ist das für diese Frauen (die Jahrtausende in ihrer Kultur ein limitiertes Frauenbild erlebt haben) auch sehr einschüchternd. Und wenn da Magermodels, "Lillifees" und "Winx-Feen" daherkommen und ihre Verletzbarkeit und Unselbständigkeit ausdrücken, dann wird das auch angenommen, weil dieser Emanzipationsschwung auf einmal ganz schön viel war.

Wie alles bewegt sich auch die Emanzipation in Wellen und im Moment hat eben die Marktwirtschaft die Nase vorn. All die Kinder der Feministinnen der Siebziger Jahre, die ich als Studentinnen an der Universität betreue, finden die Kosumwelt, in der sie leben, auch erstmal ganz klasse und wollen vom Befreiungskampf nichts wissen. Das hängt auch damit zusammen, dass mittlerweile die Medien viel mehr Einfluss haben. Wir erleben also zurzeit in jedem Fall einen Backlash - obwohl ich finde, dass jetzt (wie die Diskussion um das Überraschungs-Ei zeigt) die Zeit reif ist, um wieder zu reflektieren, was wir überhaupt machen und neu aufzubrechen. Die Bilder sind zurzeit fest. Wir müssen dringend suggerieren: Lasst Mädchen und Frauen Raum einnehmen!

"Es gibt viele Kulturen, die mit ihren Säuglingen anders umgehen"

Vertreten Sie die Ansicht, dass Männer und Frauen ursprünglich vollkommen gleich ticken und dass die geschlechtstypischen Verhaltensweisen erst anerzogen werden, oder können sie sich vorstellen, dass es aufgrund der unterschiedlichen Funktionen im menschlichen Reproduktionsprozess tatsächlich unterschiedliche Verhaltensmuster vorhanden sind, die gewissermaßen als Sexual-Atavismen immer wieder neu durchbrechen?

Stevie Schmiedel: Zu dieser Frage gibt es wunderschöne Studien, die sich aber nicht gut verkaufen. Vor zwei Monaten hatte die GEO das Thema auf dem Titel. In dem Artikel dazu wurde der aktuelle Forschungsstand hervorragend zusammengefasst. Nach Erkenntnissen der aktuellen Hirnforschung ist es ganz klar so, dass es kein männliches und weibliches Gehirn gibt. Dass zum Beispiel Männer eher ein räumliches Denken und Frauen eher ein soziales Verhalten haben, wird durch unsere Erziehung geformt. Das ist nichts, was man mit der Geburt mitbekommt. In der neuesten Hormonforschung ist mittlerweile auch belegt, dass Testosteron zwar Ratten aggressiv macht, Menschen aber nicht. Das kann zwar bislang keiner erklären, aber es ist so. Insofern ist also das eher energetische und aktive Verhalten von Jungs nicht anders zu erklären als durch die Erziehung: Jungs werden zur Aktion motiviert und Mädchen werden dazu angehalten, eher etwas ruhiger zu sein.

Die These, dass Frauen, weil sie Kinder gebären, auch andere Verhaltensmuster entwickeln, ist aus der Perspektive der neuesten Forschung nicht zu rechtfertigen. Das Theorem eines "Mutterinstinkts" ist vor langer Zeit bereits von der Ethnologie widerlegt worden: Es gibt viele Kulturen, die mit ihren Säuglingen anders umgehen und auch hier können Eltern in Kriegs- und Mangelsituationen ein Kind eher weggeben oder von anderen Verwandten aufziehen lassen, ohne stark darunter zu leiden. Die Art, wie wir bemuttern, ist also ganz stark von unserer kulturellen Situation abhängig.

"Märchen reproduzieren ein bestimmtes Geschlechterrollenbild"

Wie steht es generell an Kindergärten und Schulen mit der Geschlechtsneutralität in der Erziehung bestellt?

Stevie Schmiedel: Das kommt drauf an. Wenn sie in einen staatlichen Kindergarten gehen, können sie sicher sein, dass es dort eine Mädchen- und eine Jungenspielecke gibt. Auf Geschlechterneutralität wird in deutschen staatlichen Kindergärten immer noch viel zu wenig geachtet. Wenn Sie in eine kleine Elterninitiative gehen, wo die Eltern die Erzieher und Erzieherinnen selber anstellen, sieht es möglicherweise aber ganz anders aus.

In den Schulen finde ich dramatisch, dass zum Beispiel in Hamburg in der zweiten Klasse Märchen nach dem Lehrplan Pflicht sind. Das heißt, man muss wissen, was darin passiert und von wem sie geschrieben sind - etwa von den Gebrüdern Grimm oder Hans-Christian Andersen. Es ist aber nicht angegeben, inwieweit diese kritisch behandelt werden. Die Märchen reproduzieren ja auch ein bestimmtes Geschlechterrollenbild, das sich durch die Jahrtausende zieht. Die Märchen basieren auf Geschichten, die viele hundert Jahre alt sind. Es wird aber nicht aufgezeigt, dass wir dieses Bild – auch wenn es in der Vergangenheit für die Stabilität der Gesellschaft wichtig war – nicht mehr brauchen. Es wird einfach reproduziert und nicht kritisch hinterfragt.

Was meinen Sie: Werden wir es in 20 Jahren mit lauter Tussis und Machos zu tun haben?

Stevie Schmiedel: Man kann ganz klar sagen: Deutschland ist bereits ein Land, in dem lauter – wie sie sagen - Tussis und Machos herumspringen und wir haben immer noch eine sehr männlich geprägte Gesellschaft. Ich würde hoffen, dass der Diskurs, der langsam anfängt und auch etwas aufbricht, sich intensiviert und dann haben wir eine solche Gesellschaft in zwanzig Jahren hoffentlich nicht mehr.

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