Sind Nahrungsmittel mit genetisch modifizierten Bestandteilen giftig?

Die Studie eines französischen Wissenschaftler soll beweisen, was viele argwöhnen und die Industrielobby immer bestritten hat

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Die Studie ist eine Bombe, heißt es. Monsanto, sowie Lobbyisten in Brüssel, die sich für den Einsatz von gentechnisch verändertem Saatgut stark machen, und wahrscheinlich manche Wissenschaftsvereinigung dürfte an den Untersuchungen des Teams von Gilles-Eric Séralini wenig Gefallen finden, kommentiert die französische Zeitung Nouvel Observateur. Séralinis Studie führt den Nachweis, dass sich schon geringe Dosen von gentechnisch verändertem Mais sowie des Monsanto-Breitbandherbizids Roundup bei Ratten toxisch auswirken. Die Versuchstiere entwickelten auffallend oft Tumore, nicht selten tödlich.

Genaue Details zur Studie Long term toxicity of a Roundup herbicide and a Roundup-tolerant genetically modified maize wurden zunächst nicht bekannt gegeben, was die Aufmerksamkeit für ihre für heute spätnachmittags anberaumte Veröffentlichung zusätzlich schürte, umso mehr als der Neugier von Journalisten ein Riegel vorgeschoben wurde. Dennoch äußerten Wissenschaftskollegen bereits erste Bedenken, heftige Kontroversen sind in diesem Fall vorprogrammiert.

Unter größter Geheimhaltung und Abschottung wurde die Studie durchgeführt, berichtet der Nouvel Observateur. Zwei Jahre lang verabreichten die Forscher 200 Ratten drei unterschiedliche Dosen der transgenen Maissorte NK603 im Futter (11,22 und 33 Prozent) und zum Teil mit Trinkwasserbeigaben mit Roundup. Gegenüber einer Kontrollgruppe, die von solchen Zugaben verschont blieb, zeigten sich deutliche Auffälligkeiten.

50 Prozent der männlichen und 70 Prozent der weiblichen Ratten starben "vorzeitig", bevor sie das Alter erreicht haben, das als Lebenserwartung veranschlagt wurde. Dem Ko-Autor der Studie, Joël Spiroux, zufolge liegt diese bei etwa 2 Jahren. In der Kontrollgruppe lag der Prozentsatz der vorzeitig verstorbenen Ratten weitaus niedriger, bei 30 Prozent für die männlichen und 20 Prozent bei den weiblichen Versuchstieren.

Nach 13 Monaten, berichtet der Nouvel Observateur, seien alle Gruppen der Ratten, die entweder transgenen Mais oder mit Spuren von Roundup versetztem Trinkwasser verabreicht bekamen, von einer Vielzahl von schweren Krankheiten befallen worden. Bei den weiblichen Ratten entwickelten sich häufig Tumore an den Milchdrüsen; bei den männlichen Ratten wurden häuig Anomalien verschiedenen Grades in der Leber oder den Nieren beobachtet. Bei den Ratten mit der genveränderten Nahrung kamen die Tumore zwei bis fünfmal häufiger vor als bei der Kontrollgruppe, deren Nahrung keine gentechnisch veränderten Zutaten hatte. Die Mortalität der Weibchen lag zwei-bis dreimal höher. Die Geschwülste tauchten bei den mit genetisch modifizierten Beigaben gefütterten Ratten auch schneller auf. Bei den Männchen, die viermal so häufig an Tumoren erkrankten, bis zu 600 Tage früher.

Schon kleine Dosen sollen toxische Wirkung haben

Die Forscher legen - soweit dies aus den verlinkten Artikeln des Nouvel Observateur erkenntlich wird - großen Wert auf folgende Ergebnisse ihrer Untersuchung: Dass schon eine kleine Dosis von Beigaben genetisch modifizierten Maises in der Nahrung bzw. von Spuren Roundups im Trinkwasser toxische Wirkung bei den Ratten haben kann. Bei der Dosierung soll man als Maßgabe geschätzte Mengen genommen haben, die in den USA in bestimmten Nahrungsmitteln kursieren. Es wird darauf hingewiesen, dass bei Arzneimittelversuchen schon solche Minimal-Dosierungen den Ausschlag dafür geben könnten, dass das Medikament nicht auf den Markt käme oder vom Markt genommen würde.

Als Besonderheit der Studie stellen die Forscher den langen Zeitraum von etwa zwei Jahren heraus, über den hinweg die Ratten untersucht wurden. Das entspreche der durchschnittlichen Lebensdauer einer Ratte. Oft zeigten sich die toxischen Wirkungen erst später, weshalb andere Untersuchungen sie nicht erfasst hätten. Im Interview deutet Ko-Autor Joël Spiroux an, dass solche toxischen Wirkungen auch auf Menschen nicht ausgeschlossen werden könnten.

Das verleiht der Debatte, die, wie gesagt, schon vor der Veröffentlichung der konkreten Daten der Studie im US-Fachmagazin Food and Chemical Toxicology, gestartet wurde, zusätzlichen Zunder. Gilles-Eric Séralini hat in den Jahren zuvor Studien veröffentlicht, die gegen die Unschädlichkeit von Nahrung mit genetisch modifiziertem Saatgut argumentieren. Er ist bekannt und in gewissen Kreisen berüchtigt. Monsanto, wo man Séralini kennt, wird wahrscheinlich versuchen, seine Forschung als fehlerhaft darzustellen. Seralini wird politisch attackiert - wie ein Gerichtsurteil (das ihm Recht gab) aus dem vergangenen Jahr zeigt. Bei Lobbygruppen ist er nicht gerade beliebt und auch der etablierte Wissenschaftsbetrieb in Frankreich zeigte bisher offenbar wenig Interesse an seinen Forschungen.

Séralini, möglicherweise durch den politischen Gegenwind dazu gedrängt, hat sich jedenfalls dazu entschlossen, seine Erkenntnisse möglichst an ein größeres Publikum weiterzugeben. Aktuell erscheint nun auch ein Buch von ihm mit einem Titel, der besagt, dass wir alle Versuchstiere sind. Schon 1998 hatte der Wissenschaftler Arpad Pusztai darauf hingewiesen, dass bei Ratten genveränderte, gegen Pestizide resistente Kartoffeln zu gesundheitlichen Schäden führten. Er war daraufhin schnell entlassen worden, konnte aber seine Untersuchungsergebnisse bestätigen (Frankenstein-Lebensmittel). Ein ähnlicher Verdacht wurde bei einer von Monsanto selbst in Auftrag gegebenen Studie mit der Maissorte MON 863 laut (Genveränderte Maissorte unter Verdacht). Es hatten sich Veränderungen im Blutbild und bei der Niere gezeigt, die gegenüber den Kontrolltieren um durchschnittlich 7 Prozent kleiner war und Zeichen von Entzündung aufwies. Das könnte ein Hinweis auf eine Beeinträchtigung des Immunsystems sein. 2005 erhielt Pusztai auch den Whistleblower-Preis der Vereinigung Deutscher Wissenschaftler für seine Studien (Späte Anerkennung für das Enfant Terrible der Gen-Branche).