Kein Wachstum mehr ab 2050?

Wachstum des realen Pro-Kopf-BIP 1300-2100. Quelle: Robert J. Gordon

Die seit zweieinhalb Jahrhunderten permanent steigenden Pro-Kopf-Einkommen könnten sich in den USA, aber auch in anderen Ländern als einmalige Episode erweisen

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Prognosen sind bekanntlich besonders dann fragwürdig, wenn sie die Zukunft betreffen. Und so bleibt angesichts der enormen Abhängigkeit der westlichen Staaten von positiven Wachstumsraten also noch immer die Hoffnung, dass sich die Erwartungen von Robert J. Gordon, Ökonomie-Professor an der Northwestern University in Chicago, nicht bewahrheiten. Denn Gordon nimmt in einer Studie an, dass - unabhängig von allen zyklischen Trends - das Wirtschaftswachstum in den USA in absehbarer Zeit zum Stillstand kommen wird, wobei sich seine Analyse wohl für alle führenden Industriestaaten übernehmen lässt.

Demnach sei es an der Zeit, die seit den 1950er Jahren von Ökonomen vertretene Annahme zu überdenken, dass das Wirtschaftswachstum ein kontinuierlicher, ewig währender Prozess sei. Immerhin habe es vor 1750 so gut wie kein Wachstum gegeben, und es gebe keine Garantie, dass dies nicht wieder so kommen werde. Gordon zufolge sind die enormen Produktivitätsfortschritte der industriellen Revolution nicht wiederholbar, so dass sich die mittlerweile zweieinhalb Jahrhunderte andauernde Phase mit fast permanent steigenden Pro-Kopf-Einkommen in der menschlichen Geschichte folglich als einmalige historische Episode erweisen.

Gordon analysiert dazu Daten zum Pro-Kopf-Einkommen im industriell jeweils führenden Land, wobei er von 1300 bis 1906 Daten für Großbritannien und daraufhin für die USA heranzieht. Demnach sei das Wachstum ab 1750 graduell angestiegen, habe Mitte des 20. Jahrhunderts ein Maximum erreicht, wofür enorme, durch Innovationsschübe bedingte Produktivitätssteigerungen verantwortlich waren.

Allerdings gehe das Wachstum seither zurück und laut Gordon könnte unser zumeist deutlich positives Wirtschaftswachstum eine einmalige Angelegenheit sein, die sich auf die Zeit von 1750 bis ungefähr 2050 konzentriere. Und da es auch zuvor kein Wachstum gegeben hatte, sei gut möglich, dass nach 2050 nur noch minimales Wachstum verzeichnet werde.

Not just that economic growth was a one-time thing centred on 1750-2050, but also that because there was no growth before 1750, there might conceivably be no growth after 2050 or 2100.

Robert Gordon

Die ungewöhnlich hohen Wachstumsraten der vergangenen 250 Jahren waren durch drei Innovationsschübe bedingt, die im Zuge ihrer Umsetzung mit einiger Verzögerung zu enormen Produktivitätssteigerungen geführt haben. Den ersten Schub verortet Gordons in die Jahre von 1750 bis 1830, als Maschinen für die Textilindustrie, Dampfmaschinen, Eisenbahnen und Dampfschiffe entwickelt wurden, wobei es aber mindestens 150 Jahre gedauert habe, bis diese Innovationen ihre volle Wirkung entfalten konnten. Dafür brachten Kraftmaschinen und der Ersatz von Tieren als Transportmittel nicht nur enorme Produktivitätsfortschritte, sondern revolutionierten zudem die Hygienestandards und erhöhten die Lebenserwartung.

Eine zweite "Industrielle Revolution" fand zwischen 1870 und 1900 statt, als innerhalb weniger Jahre fließendes Wasser samt Toilette, elektrisches Licht und Elektro- und Verbrennungsmotor sowie die Petrochemie aufkamen, zudem Autos, Flugzeuge, Telefon, Plattenspieler und Kino sowie alle möglichen Haushaltsgeräte erfunden wurden. Das führte neuerlich zu enormen Anschlussinvestitionen etwa in Kanalnetze, Autobahnen und E-Werke, wobei es nun rund hundert Jahre dauerte, bis das volle Potential dieser Innovationswelle ausgeschöpft war.

Die dritte Welle werde laut Gordon zwar zumeist mit der Einführung von Internet und Mobilfunk Mitte der 1990er Jahre angesetzt, habe laut Gordon jedoch bereits in den 1960er Jahren eingesetzt, als Computer begannen, standardisierbare Büroarbeiten zu übernehmen, was neuerlich große Produktivitätssteigerungen ermöglicht hatte.

Die größten Fortschritte wurden dabei durch die 2. Innovationswelle erzielt, die um 1970 voll ausgeschöpft war, weshalb bis etwa 1995 nur sehr schwache Wachstumsraten verzeichnet wurden. Dann setzten die Wirkungen der 3. Welle ein, wobei der dadurch ausgelöste Wachstumsschub jedoch bereits 2004 wieder verebbt ist und sich nun die Frage stelle, welche Innovationen künftig vergleichbare Produktivitätsschübe hervorrufen könnten. So könnten die produktivitätssteigernden Wirkungen dieser Innovationen schlicht nur einmal wirksam werden, sind also bereits erfolgt und würden - etwa bei der Kommunikation, Urbanisierung, Transportgeschwindigkeit, Raumheizung und Klimatisierung etc. - künftig nur noch sehr bescheiden ausfallen.

Quelle: Robert J. Gordon

Allerdings verweist auch Gordon darauf, dass Innovationspessimisten bislang zumeist eher falsch gelegen sind - etwa IBM-Boss Thomas Watson, der den Weltmarkt für Computer mit fünf Stück beziffert hatte, oder Bill Gates, der 1981 gemeint hatte, 640 Kilobyte RAM müssten für jeden Bedarf ausreichen . Aber selbst wenn das Innovationstempo nun weiterhin die Rate der zwei Jahrzehnte bis 2007 beibehalten würde, wären die USA (ebenso wie die meisten anderen westlichen Staaten) nun dennoch sechs starken "Gegenwinden" ausgesetzt, die das langfristige Wachstum auf die Hälfte oder sogar deutlich die reale Wachstumsrate pro Kopf von 1,8 Prozent herunterdrücken, die zwischen 1860 und 2007 im Schnitt verzeichnet wurde. Gordon nennt hier die Demografie, mangelhafte Ausbildung, Ungleichheit, Globalisierung, Energie/Umwelt sowie ein Übermaß an öffentlicher und privater Verschuldung, die allesamt das Konsumwachstum pro Kopf der unteren 99 Prozent der US-Haushalte reduzieren werden, allenfalls bis auf eine Rate wie vor Beginn der Industriellen Revolution.