Stifter aus Gütersloh

Bertelsmann ist "wachstumsdynamisch" unterwegs

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Ein großer Auftritt jetzt, in der deutschen Hauptstadt, mit dem Thema "Der Wert Europas". Guido Westerwelle sprach, internationale Prominenz diskutierte, arte und deutschlandradio übertrugen - verantwortlich für das Ereignis waren das Außenministerium und die Bertelsmann-Stiftung. Elmar Brok (MdEP) wirkte mit, lange Jahre ein personales Beispiel für das Funktionieren von "Public-Private-Partnership"; er war zugleich als europäischer Spitzenparlamentarier und als Manager von Bertelsmann tätig. Auch Peter Sloterdijk fehlte nicht, der Theoretiker eines von Steuern befreiten Gemeinwesens. Steuerbegünstigt immerhin sind die der Politik hilfreichen Stifter in Gütersloh.

Reinhard Mohn war ein begabter Unternehmer: Aus einem ostwestfälischen Provinzverlag wurde unter seiner patriarchalischen Führung der größte europäische Medienkonzern, mit dem Gewinnbringer RTL-Group, dem weitverzweigten Verlagsnetz von Random House, dem Zeitschriftenverlag Gruner+Jahr, dem Dienstleister Arvato, Druckereibetrieben und der Verwertung von Musikrechten. Mit vaterländisch-protestantischer Erbauungsliteratur hatte Bertelsmann begonnen - jetzt präsentiert sich der Konzern mit Erotikbeststellern und der Suche nach dem Superstar. Die Bilanz ist eindrucksvoll: 15,3 Milliarden Euro Jahresumsatz, 1,7 Milliarden Gewinn, 100 000 Beschäftige, Platz 8 im Ranking der Branche weltweit.

Mohn, der stets herausstellte, unternehmerische Aktivitäten müssten "wertorientiert" betrieben werden, beließ es nicht bei Bertelsmann im Markt - besitzrechtlich verbandelt mit dem Konzern etablierte sich die politikberatende, als "gemeinnützig" anerkannte Bertelsmann-Stiftung. Als "Nebenregierung" wird sie vielfach gewürdigt oder auch kritisiert; ihre Konzepte fanden Umsetzung in wichtigen bundesrepublikanischen "Reformwerken", von den Hartz IV-Gesetzen bis zu einem neuen Hochschulrecht. Ideelle Macht hat sich bei der Stiftung angesammelt, mit einer eindeutigen Zielsetzung: Bisher staatliche oder kommunale Institutionen zu erschließen für unternehmerische Denkmuster und Interessen, bisher öffentliche Dienstleistungen zu "privatisieren", und dies stets mit dem Argument, so sei "Bürgernähe" herzustellen.

In der Vorgehensweise hat man in Gütersloh eine sehr effiziente Form von Synergie entwickelt: Die Stiftung macht gesellschaftliche Probleme zum Thema, erst einmal ganz "unternehmensneutral"; sie offeriert eine "Philosophie", die problemlösend wirken werde. Die nahestehenden Medien machen dementsprechende Meinung, in vielen Varianten. Der Bertelsmannkonzern steht dann bereit mit seinem breiten Angebot, um den so entstandenen Bedarf profitabel zu decken. Auf diesem Wege verwandelt sich Gemeinnützigkeit in Firmennutzen.

Der Stiftung kommt dabei zugute, dass sie nicht im Verdacht steht, einer politischen Partei hörig zu sein. Sie kommt mit Sozialdemokraten und Grünen ebenso gut zurecht wie mit Christdemokraten, Hauptsache, man ist einig in dem Glauben, nur unternehmerisches Verhalten könne Dynamik in die sonst erstarrenden gesellschaftlichen Verhältnisse bringen. Mit einer Fülle von Konferenzen, Workshops, Bürgerdialogen und ähnlich angenehmen Veranstaltungen wird ein bertelsmännisches Gemeinschaftsgefühl herausgebildet, vom Minister, Wirtschaftsredakteur und anderer Prominenz bis zum Gymnasiasten als "Partner" - und stets wird das Gemeinwohl beschworen, da redet keiner vom profanen Gewinnstreben.

Das Gesamtunternehmen Bertelsmann ist familiär, nichts läuft ohne Liz Mohn und ihre Kinder, weder bei der Stiftung noch beim Konzern. Das hat Probleme im Geschäftsbetrieb zur Folge, auch manche Reibungsverluste im Führungspersonal. Der Wandel im Medienmarkt hat auch in Gütersloh seine Spuren hinterlassen, der Übergang in elektronische Mediennutzung brachte Verluste bei gedruckten Produkten, dort sinkende Werbeeinnahmen, auch den Zwang, in neue Angebote zu investieren. Der Bertelsmannkonzern hatte Schulden abzutragen, er ist auf Wachstum angewiesen, dafür braucht er externes Kapital.

Ein Gang an die Börse? Dieser Weg ist bei Bertelsmann umstritten. Jetzt ist unternehmensrechtlich aus der früheren AG eine komplizierte neue Konstruktion geworden, die" Bertelsmann- SE&Co KG aA" (Europäische Kommanditgesellschaft auf Aktien), verbunden mit der "Europäischen Gesellschaft Bertelsmann Management" und beide gesteuert durch die "Bertelsmann Verwaltungsgesellschaft". Auf diese Weise soll erreicht werden, dass Fremdkapital zufließt, ohne die Vorherrschaft der Familie Mohn anzutasten; und die Ausgabe von Aktien an der Börse kann begrenzt werden auf Teilfirmen des Bertelsmann-Imperiums.

Die Gütersloher haben Großes im Sinn

"Wir wollen Gas geben", sagt Thomas Rabe, Musikliebhaber und früher Finanzchef, jetzt Vorstandsvorsitzender beim Bertelsmannkonzern. Der europäische Markt soll noch besser genutzt, der in Asien und Amerika erst richtig erschlossen werden, vor allem China, Indien und Brasilien sind im Visier. Die elektronischen Angebote sollen ausgeweitet werden, "dynamisch und digital" heißt die Devise in Gütersloh.

In außerdeutsches Terrain stärker vordringen, will auch die Bertelsmann-Stiftung unter ihrem neuen Vorsitzenden Aart Jan De Geus, einem politikerfahrenen Niederländer, früher für die OECD tätig. Die Projekte sollen auf beschleunigten Effekt der "Beratung" ausgerichtet werden. Die anderen Kontinente - "Konzern und Stiftung marschieren beide dort hin, aber getrennt", erklärt Gunter Thielen, Seniorführer in der Gütersloher Spitzenmannschaft, die Dynamik-Methode. Nach dem getrennten Marschieren kommt das vereinte Schlagen, ganz zivilgesellschaftlich, das versteht sich.

Ein Kampfplatz ist für die Zukunft besonders aufmerksam ins Auge gefasst: der "Education"-Markt, die Rendite aus privatwirtschaftlichem Bildungsservice. "Der Rückzug des Staates aus diesem Sektor eröffnet schnell wachsende unternehmerische Möglichkeiten", freut man sich in Gütersloh, der künftige globale Umsatz der Bildungsbranche insgesamt wird auf 1000 Milliarden Dollar jährlich geschätzt. Soziale Ungleichheit, meint De Geus, sei ein Motor für die Bildungsmaschine, für den Wunsch nach "Aufstieg durch Lernen", die Entwicklung von Bildungsbedarf also, der kommerziell gesättigt werden kann, die Kassen der Anbieter füllend.

Der Wille nach oben, er wird, güterslohisch formuliert, mit "sense of purpose" angestachelt, systematisch gepflegt und bis zum Bildungszertifikat geführt. Das zahlt sich aus - jedenfalls für Bertelsmann. Die staatlichen, regionalen oder kommunalen Träger von Schulen, Universitäten etc. werden froh sein, dass ihnen von der privaten Wirtschaft Arbeit abgenommen wird - zumindest dann, wenn sie von der Bertelsmann-Stiftung gedankliche Hilfe bekamen. Die ist bekanntlich wertorientiert tätig.