Sparflamme für die syrische Revolte

Die Aufständischen sollen weder aufgeben noch siegen

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In einem Punkt scheinen sich die westlichen und die syrischen Interessen zu kreuzen: Die Lösung des Konflikts lautet "Bürgerkrieg". Die Rebellen werden daher weiterhin auf ihre Waffen warten.

Seit Monaten sprechen Politikexperten und internationale Medien derart geballt von einer Präsenz al-Qaidas in Syrien, dass man meinen könnte, es mit dem neuen Tummelplatz des Terrornetzwerkes zu tun zu haben. Der renommierte libanesische Journalist Fidaa Itani, der unlängst vier Wochen im umkämpften Aleppo zubrachte, erdet den Eindruck indes wieder.

Natürlich seien al-Qaida-Kämpfer vor Ort, erklärt er nüchtern. Ihre Anzahl aber sei begrenzt. So gebe es etwa die "Jabhat al-Nusra" (Front für den Sieg) - eine dschihadistische Gruppierung, die sich Ende 2011 gebildet und unter anderem die Bombenanschläge auf Regierungseinrichtungen in Aleppo im Februar und in Damaskus im März verübt habe. In ihren Reihen befänden sich durchaus al-Qaida-Kaempfer, die vermutlich aus dem Irak eingereist seien, doch man könne deshalb nicht darauf schließen, dass die "Jabhat" selbst ein bewaffneter Zweig des Terrornetzwerks sei.

Itani zeigt sich vielmehr überzeugt: "Das Syrien von heute ist nicht der Irak von gestern". In seiner Ansicht bestätigen ihn neben den eigenen Erfahrungen vor allem die zahlreichen Videoaufnahmen diverser Rebelleneinheiten. Darin schwenken diese fast immer die syrische Unabhängigkeitsflagge. Al-Qaida aber ist bekanntlich nicht an der Errichtung eines syrischen, sondern eines islamischen Staates interessiert. Die einzige Flagge, die das Terrornetzwerk daher hisst, ist die, auf der der Koranvers "Es gibt keinen Gott außer Gott" in weißer Schrift auf schwarzem Grund steht. Entsprechende Bildbelege aber existieren kaum.

Chaos, Kalaschnikows und Rivalitäten

Itani zufolge kämpfen in Aleppo denn auch vor allem Einheimische - und das mitunter im engsten Wortsinn. Viele von ihnen entstammen den umliegenden Dörfern und also jener ruralen Schicht, von der die Revolte hauptsächlich ausgeht. Ihre religiöse Gesinnung entspricht dem, was in Syrien bislang die Regel ist: Ein überaus konservativer, aber nicht dschihadistischer Islam. Im Zug der Land-Stadt-Flucht wanderten sie in Aleppiner Stadtviertel ab, wo sie aktuell kämpfen - und zwar mit reichlich unorganisierten Nadelstich-Taktiken. Mehr, so Itani, vermögen sie auch nicht: Ihr Waffenarsenal bestünde vorwiegend aus billigen Handfeuerwaffen und einfachen Panzerfäusten.

Otfried Nassauer vom Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit überrascht dies nicht. Bereits das ins Internet gestellte Bildmaterial, so der Waffenexperte, zeige so gut wie nie adäquate Geschütze gegen die Artillerie, noch tragbare Flug- oder Panzerabwehrraketen mittlerer oder größerer Reichweite, die die syrische Luftwaffe behindern könnten. Stattdessen seien vor allem Kalaschnikows zu sehen, was Nassauer zur Frage bringt, was aus den 200 Millionen US-Dollar geworden sei, die Saudi Arabien und Katar Anfang April den Rebellen als Unterstützung zugesichert haben.

Allzu viel könne davon bei den Rebellen nicht angekommen sein. Damit legt er den Finger auf ein Hauptproblem der syrischen Rebellen: völlige Intransparenz. Geschuldet ist sie nicht zuletzt den heillos unkoordinierten Kontaktpersonen, neu gegründeten Kontrollbüros und zig Militärraketen, die meist vom grenznahen türkischen Antakya aus für Waffenlieferungen sorgen sollen.

Armee verkauft Waffen an Rebellen

So berichtet das US-amerikanische Time Magazine ausführlich darüber, wie Riad al-Asaad und Mustafa Scheikh, die beiden rivalisierenden Chefs der sogenannten Freien Syrischen Armee, sowie die Mittelsmänner Saudi-Arabiens und Katars vorrangig damit beschäftigt seien, sich gegenseitig auszubooten und eigene Klientelstrukturen aufzubauen - wobei nicht einmal garantiert sei, dass die Waffen ihre jeweiligen Günstlinge tatsächlich erreichen.

Itani kennt die Paradoxie und verweist trocken darauf, dass sie noch weiter gehe: Viele Rebellen griffen zur Selbsthilfe und kaufen ihre Waffen der syrischen Armee ab. Möglich macht dies sicherlich der Umstand, dass Zusatzverdienste und Bestechungsgelder stets willkommen sind. Zugleich wäre es nicht das erste Mal, dass die syrischen Sicherheitskräfte ihren Opponenten Waffen zukommen lassen, um den Bürgerkrieg gezielt zu schüren. Das Land, das für das Regime ohnedies zunehmend unregierbar wird, würde so aufgerieben, während den Machthabern die Chance auf ein Überleben in einem kleinen, aber vielleicht relevanten Stil bleibe - etwa in den alawitischen Stammgebieten der Küsten- und Bergregion um Lattakia.

Ein Teil der Bürgerkriegsstrategie, erzählt Itani, werde in Aleppo so umgesetzt: Nicht Alawiten, sondern vor allem Sunniten würden dort als Schläger auf ihre rebellierenden Konfessionsbrüder losgelassen. Parallel hetze man die Konfessionen gegeneinander auf. Besonders bemerkenswert seien die Vorgänge in dem Aleppiner Viertel Zachra', in dem Sunniten und Alawiten lange koexistiert hatten. Ohne jedweden nachvollziehbaren Anlass sei dort eine gegenseitige Entführungswelle ausgebrochen.

Dass ausländische Geheimdienste - die mit dem Regime ebenso gut verbündet wie verfeindet sein können - hier eine Lunte gelegt haben, schließt der Journalist keineswegs aus. Schließlich komme ein Bürgerkrieg, der das Regime schwäche, ohne es mit allen riskanten Implikationen gleich zu stürzen, dem Westen gleichfalls gelegen - zumindest bis zum Ausgang der US-Wahlen im November. Daher, prognostiziert Itani, werde die Revolution bis auf Weiteres am Köcheln gehalten, aber nicht mit durchschlagenden Waffen aufgerüstet.

Risiko der Radikalisierung

Die Gefahr bei alldem bleibt freilich die dritte Interessenspartei: Die der Aufständischen selbst. Dass sie jemals wieder klein beigibt, ist kaum vorstellbar. Allein die Vehemenz, mit der sie sogar Gespräche mit den Oppositionellen ausschlägt, die auch nur ansatzweise über Verhandlungen mit den Machthabern nachdenken, beweist wie kompromisslos sie den Regimesturz will. Ohne Waffen bleibt der aber in weiter Ferne. Entscheidend ist daher, ob und wann diese eintreffen. Und vor allem, von wem. Bislang nämlich hat der radikale Islam in der traditionell merkantilen syrischen Gesellschaft keine Wurzeln. Ein mehrjähriges Ausbluten des Landes aber kann dies ändern - und das momentan aufgeblasene al-Qaida-Szenario doch noch real machen.