Nur die Spitze des Eisbergs

Die Energie- und Klimawochenschau: AKW-Stresstestbericht wird überarbeitet, unabsehbar teure Altlasten, Forderung nach einer fairen EEG-Umlage

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Manch einen hat es vor allem verwundert, dass schon die vorab bekannt gewordenen Ergebnisse des EU-AKW-Stresstests so deutlich ausgefallen sind und dass darin flächendeckend Mängel bei den Sicherheitskonzepten der europäischen AKWs benannt werden (Unstressiger Stresstest fördert massig AKW-Sicherheitsmängel ans Licht). Zu deutlich? Jetzt sollen die beunruhigenden Ergebnisse der Vorabversion anscheinend doch noch einmal überarbeitet werden. Die Sprecherin von EU-Energiekommissar Günther Oettinger, Marlene Holzner, gab bekannt, dass der Bericht noch intern diskutiert werde und der Abschlussbericht der EU-Kommission dann nicht wie angekündigt heute, sondern erst Mitte Oktober veröffentlicht werden soll.

Vorgeschichte: Im Juni letzten Jahres hatten sich die EU-Mitgliedsländer auf einen einheitlichen Fragenkatalog geeinigt. Untersucht werden sollten die Folgen von Naturkatastrophen, technischem und menschlichem Versagen, von Hochwasser, Kälte- und Wärmeperioden.

Beteiligt haben sich die 14 EU-Staaten, die AKWs betreiben, dazu kamen die Schweiz und die Ukraine. Anfangs sollte nur ein Reaktor in jedem Land vor Ort angeschaut werden (in Deutschland Grafenrheinfeld). Das wurde etwas nachgebessert und so wurden auch Grundremmingen, Temelin und Fessenheim inspiziert. Letztendlich gab es bei 23 AKWs Vor-Ort-Termine, also nur bei einem Drittel der AKWs, die in der EU am Netz sind. Der Rest wurde per Fragebogen an die Betreiber "untersucht".

Außen vor blieben dabei eine mögliche Verkettungen widriger Umstände (etwa menschliches Versagen und Trockenheit), ebenso wie Terrorangriffe, was viele in Zeiten von Stuxnet verwundert hat. Auch die möglichen Auswirkungen von Flugzeugabstürzen wurden nicht europaweit betrachtet, nur in Deutschland hatte es dazu letztes Jahr einen Bericht der nationalen Reaktorsicherheitskommission gegeben. Ergebnis: Selbst im Land der extra gebauten Reaktorkuppeln bestünde im Falle eines Absturzes größerer Flugzeuge bei keinem Reaktor ein ausreichender Schutz - damit hatte sich eine euroweite Untersuchung quasi erübrigt. Doch auch so fallen die weiteren Mängel der AKWs im EU-Vorabbericht deutlich aus:

  • Schwerwiegende Mängel gab es gleich bei mehreren Kraftwerken,
  • in zehn Reaktoren sind keine Erdbebenüberwachungsgeräte installiert,
  • in vier AKWs können die Notstromaggregate nur weniger als eine Stunde den Betrieb aufrechterhalten,
  • nur sieben Länder verfügen über mobile Generatoren, die im Störfall zu den Kraftwerken transportiert werden können.

Dazu kommt, dass sich das Sicherheitsniveau auch unter den Ländern stark unterscheidet und eher nationalen Gewohnheiten folgt als technischen Notwendigkeiten. So sind die französischen Kraftwerke besonders aufgefallen, weil sie nur einfach redundante Notstromaggregate vorsehen. Sollten diese ausfallen oder erst gar nicht anspringen, bzw. eingeschaltet werden, sind diese AKWs damit im Störfall näher dran am Ausfall der Kühlsysteme. Dazu kommen noch diverse weitere Mängel. Die Kosten für ihre Beseitigung beziffern die Autoren der Untersuchung auf 25 Mrd. Euro.

Diese hohen Kosten dürften das Ende vieler alter Reaktoren beschleunigen. Im französischen AKW Fessenheim gab es noch Anfang September einen Zwischenfall. Der französische Präsident François Hollande kündigte daraufhin an das AKW bis 2016 stilllegen zu lassen. Auch in Belgien, das mit 51,6% noch vor zwei Jahren nach Frankreich und der Slowakei den dritthöchsten Anteil von Kernkraft am Stromverbrauch in der EU hatte, rudert man bereits seit letztem Herbst zurück und machte den Ausstieg aus dem Atomausstieg wieder rückgängig. Bis 2025 soll dort der letzte Reaktor vom Netz sein. Man will lieber in den Ausbau der Erneuerbaren investieren, anstatt weiter über Jahre Unsummen in die Reparatur leckender AKWs wie Tihange nahe der deutschen Grenze oder den baugleichen, schon dreißig Jahre alten Reaktor Doel 3 bei Antwerpen zu versenken.

Gefährliche und unabsehbar teure Altlasten

Doch Greenpeace befürchtet, die mit dem Stresstest offenbar gewordenen schweren Versäumnisse belegten nicht nur ein beunruhigendes Desinteresse der Nuklearindustrie an der Sicherheit, sie seien wohl auch nur die "Spitze eines Eisbergs". In diesem Zusammenhang fordert der Verband NaturFreunde Deutschlands, dass keine weiteren Steuermillionen für die Reaktoren des Tschernobyl Typs ausgegeben werden und Deutschland deshalb aus dem EURATOM-Vertrag aussteigen müsse.

Denn angesichts der geplanten Laufzeitverlängerung für ukrainische Atomreaktoren vom Typ Tschernobyl sei Deutschland wegen seiner EURATOM-Mitgliedschaft mit Zahlungen von 500 Mio. Euro mit dabei. Uwe Hiksch vom Bundesvorstand der Naturfreunde: "Durch die Finanzspritzen aus EURATOM erhöht sich die nukleare Sicherheit in der Ukraine nicht … wenn die Uralt-Reaktoren 20 Jahre länger laufen - finanziert mit Steuergeldern - erhöht sich stattdessen das Risiko eines atomaren Unfalls."

Und auch bei der Endlagerfrage herrscht weiter totales Chaos. Eigentlich war die Rückholung der Atommüll-Fässer aus dem maroden Salzbergwerk Asse vorgesehen. Jetzt stellte der Regierungsberater Michael Sailer das Vorhaben wieder in Frage. Das Bundesumweltministerium verweist auf das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS), das die technischen Fragestellungen zu bewerten habe. Ausgeschlossen wird aber nicht, dass es letztendlich doch keine Rückholung geben wird.

Sailer, Vorsitzender der Entsorgungskommission des Bundes, hatte dagegen Tacheles geredet und in Frage gestellt, dass es überhaupt noch möglich sei, die 126.000 Fässer mit schwach- und mittelradioaktivem Abfall sowie die 28 Kilo Plutonium aus der Asse zu bergen. Denn das Lager ist einsturzgefährdet und es drohen Wassereinbrüche. Schon seit 1998 ist bekannt, dass täglich 11.000 Liter Wasser in die Salzstollen laufen. Als Alternative zur Bergung schlägt er "Dichtbarrieren" vor den Müllkavernen und ein Verfüllen der restliche Hohlräume in der Asse mit Feststoffen vor. Eine Bergung würde dagegen bis zu 40 Jahre dauern, denn es müssten ein neuer Schacht und ein großes oberirdisches Zwischenlager gebaut werden.

Heftige Kritik an Sailers Vorschlägen kommt auch von Politikern und Bürgerinitiativen in der Region. Der Landrat des Landkreises Wolfenbüttel sagte, auch die unterirdischen Barrieren gegen den Austritt von Radioaktivität seien spätestens nach 150 Jahren kaputt. Die geforderte Langzeitsicherheit des Endlagers sei damit nicht gegeben, die Verseuchung des Grundwassers komme damit nur etwas später. Doch auch mit der oberirdischen Lagerung hätte man den Abfall wieder vor der Haustür, und zwar diesmal - nach nur wenigen Jahren Zwischenlagerung - in kaputten Fässern. Wie man's dreht und wendet, die Atompolitik bleibt Stückwerk.

Klima: Schneller Atomausstieg möglich - CO2-Minderung durch AKWs gering

Vieles spricht also dafür, die Ära der AKWs möglichst schnell zu beenden. Sogar Günther Oettinger, EU-Kommissar für Energie, sagte nach dem GAU von Fukushima noch, die Energiepolitik beginne jetzt "von Grund auf neu". Doch möchte er auch auf Zeit spielen, man könne sich nicht "von heute auf morgen Früh" der AKWs und ihrer Rolle bei der Stromerzeugung entledigen, deshalb sollten zuerst Länder wie die USA, China und Russland in die Debatte eingebunden werden, um weltweite Konsequenzen zu erarbeiten etc. - sprich eine durchgreifende Änderung soll hinausgezögert werden.

Es stimmt, weltweit setzen tatsächlich viele Länder bei der Stromerzeugung auf Atomkraft, doch oft scheint es dabei vor allem um Eitelkeiten und Fragen nationalen Prestiges zu gehen. Aktuell sind laut Atomforum 443 Kernkraftwerke in 30 Ländern am Netz, die 14 Prozent der globalen Stromversorgung liefern. Sie steuern aber zum Weltenergiebedarf von insgesamt 140.168 Mrd kWh pro Jahr und davon beim gegenwärtigen Weltstromanteil von 17 Prozent effektiv nur 2,38 Prozent des Weltenergiebedarfs bei und entsprechend gering ist auch der Beitrag aller AKWs zur Treibhausgasvermeidung.

Dafür beanspruchen sie wirklich ein überproportional großes Betriebsrisiko, Externe- und Folgekosten. Zu dem stellt das Potsdam Institute for Climate Impact Research (PIK) in seiner Studie "Economics of nuclear power and climate change mitigation policies" auch noch fest, dass ein Atomausstieg bis 2020 nur zu einer Absenkung des globalen Bruttoinlandsprodukts von 0,07% bis 2020 führen würde. Das heißt, auch wirtschaftlich sind AKWs weltweit nicht so bedeutend, wie gerne suggeriert.

EEG-Umlage fair aufteilen

Mitte Oktober geben die Übertragungsnetzbetreiber die EEG-Umlage für das Jahr 2013 bekannt. Nach Berechnungen des Bundesverband Erneuerbare Energie (BEE) wird die EEG-Umlage 2013 voraussichtlich auf 5,2 Cent steigen, allerdings nicht wegen der Erneuerbaren Energien, sondern wegen der intransparenten Umnutzung dieser Umlage. Die reinen Förderkosten für Sonnen-, Windstrom und Co. würden sich eigentlich nur um etwa 0,2 Cent auf 2,3 Cent pro Kilowattstunde Strom erhöhen. Das sei der Anteil der Umlage, der direkt für den Ausbau Erneuerbarer Energien verwendet wird.

Dafür, dass die Umlage aber voraussichtlich um insgesamt 3,6 Cent auf 5,2 Cent pro Kilowattstunde ansteigen wird, seien die vielen Sonderregelungen, die ausgeweitete Industrieförderung durch Befreiungen, sinkende Strompreise an der Börse und ein nachträglicher Ausgleich geringer werdender Einnahmen aus herkömmlichen Kraftwerken im laufenden Jahr verantwortlich. Allein 2012 wird sich die Entlastung der privilegierten Unternehmen auf rund 2,5 Mrd. Euro belaufen. "Für diesen Betrag kommen statt der Industrie die Privathaushalte und der Mittelstand auf", sagt Philipp Vohrer, Geschäftsführer der Agentur für erneuerbare Energien. Die Ausnahmeregelung führt dazu, dass die privilegierten Unternehmen zwar 18 Prozent des gesamten Stroms verbrauchen, allerdings nur einen Anteil von 0,3 Prozent an der EEG-Umlage zahlen.