Beseelte Tiere?

Kürzlich wurde von Biologen, wie sie in PloS One berichten, eine noch unbekannte Affenart im Regenwald Ostkongos entdeckt. Cercopithecus lomamiensis hat ein ganz erstaunlich ausdrucksstarkes Gesicht, das irgendwie weise und melancholisch in die Welt blickt. Foto: Maurice Emetshu/Creative Commons Attribution License (CCAL)

Philosophische Kolumne: Von schubsenden Ziegen, fliegenden Schildkröten, schamlosen Hunden und nachdenklichen Philosophen, Teil II

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Die Geschichte der philosophischen Thesen über Tiere ist eine Geschichte des Geistes, des Geistes der Tiere, die entweder begeistern oder auf den Geist gehen - und dementsprechend sprechen die Philosophen den Tieren entweder einen Geist zu oder ab.

Allein der Mensch hat eine unsterbliche vernunftbegabte Seele, meint zum Beispiel Augustinus; das sehe man schon daran, dass immer nur Menschen Tiere dressierten und niemals umgekehrt - was natürlich als Einschätzung weit entfernt ist von der heutigen Epoche, in der mehr die Hunde ihre Herrchen durch die Gegend zerren als umgekehrt. Wer da wen zieht und wer da wen erzogen hat, ist fraglich.

Augustinus zufolge ist jene Seele, die dem Menschen eignet, immateriell, und das ist auch gut so: Als Kenner der Beziehungen zu Frauen und zu Gott ist Augustinus erleichtert darüber, dass zumindest bei letzterem Größe keine Rolle spielt, da sonst Elefanten gegenüber dem Menschen gewisse Vorteile in der Größe ihrer Seele hätten. Die nachfolgende Diskussion bis Thomas von Aquin kommt zu dem Ergebnis, dass Tiere zwar auch eine Seele haben, das aber ist eine sterbliche Seele, da Tiere sich nicht mit ewig-unsterblichen geistigen Wahrheiten befassen. Als beseeltes Lebewesen steht der Mensch demnach noch auf demselben Boden wie die Tiere, ragt aber das kleine entscheidende Stück weit daraus hervor.

Dennoch bleiben Unsicherheiten. Bereits im Mittelalter geht es auf den Geist, dass Affen so menschenähnlich sind. Da der Schöpfungsglaube und der damalige Forschungsstand evolutionäre Erklärungen ausschließt, bleibt nur die Annahme übrig, diese Tiere versuchten auf teuflische Anstiftung hin den Menschen nachzuahmen, also "nachzuäffen". Die prophylaktische Unterstellung eventuell böser und täuschender Absichten zieht sich auch bis in die Gerichtsurteile dieser Zeit, zum Beispiel bei Fällen von sexuellem Missbrauch von Tieren.

Wenn aber schon per definitionem vernunftlose Tiere den Menschen dermaßen hintergehen können, wem kann man da noch trauen? Sobald die Philosophie damit angefangen hat, sogar den Tieren zu misstrauen, wo soll sie dann noch aufhören?

Bestenfalls komplizierte Maschinen

René Descartes antwortet zu Beginn der neuzeitlichen Philosophie darauf: Bei der Selbstvergewisserung des menschlichen Geistes. Das berühmte "Ich denke, also bin ich", "cogito ergo sum" führt bei ihm nicht zu einer Ausweitung auf Tiere (speziell auf Bienen unter dem Motto "cogito ergo summmm"), im Gegenteil: Tiere werden als prinzipiell nicht-denkend abqualifiziert.

Der radikale Zweifel, eine Lieblingsbeschäftigung der Philosophen, von den Tieren über die Automaten (denn bei Descartes sind Tiere nichts anderes als komplizierte organische Automaten) bis hin zum Prinzipiellen, zeigt sich bei Descartes so: Nachdem er sich vergewissert hat, dass er denkt, denkt er sich: Ich bin mir sicher, dass ich denke, aber ich bin mir nicht sicher, ob ich einen Körper habe, also ist mein Denken von meinem Körper verschieden. Mein Körper ist ein materielles System, das endlich viele Zustände annehmen kann. Da mein Denken vom Körper verschieden ist, kann es daher unendlich viele Zustände annehmen.

Ein Automat, egal ob Hund, Schildkröte oder Pferd, wäre in seinen Verhaltensweisen ziemlich beschränkt, da es sich bei ihm nur um ein materielles System handelt. Automaten können daher nicht auf die gleiche beliebig variierbare Weise handeln und sprechen wie ich. Und alles, was sich als Verhalten eines Automaten darstellen lässt, ist auch ein Automat, ein materielles System ohne denkenden Geist.

Mit diesem logischen Hopplahopp-Ritt, auf dessen Untiefen beispielsweise Ansgar Beckermann hingewiesen hat, mobbt Descartes nicht nur künftige Zeitgenossen wie Haushaltsroboter, sondern auch und gerade die Tiere. Er meint, alles, was Tiere tun, kann auch von Automaten getan werden, so wie es zu seiner Zeit mechanische Enten taten, die, sobald einmal aufgezogen, durch die Gegend watscheln, Gras rupfen und mittels Chemikalien in ihrem Eisenmagen "verdauen" konnten. Die Cartesianer ziehen daraus den Schluss, dass Tiere nichts anderes als komplizierte Maschinen sind. Stößt ein Tier etwas aus, das wir als Schmerzensschrei interpretieren, ist das in Wirklichkeit nichts anderes als eine mechanische Reaktion; Tiere empfinden ebenso wenig Schmerz wie eine Orgel, wenn man eine ihrer Tasten drückt. Bei Vivisektionen von Hunden zu medizinischen Zwecken Betäubung vorzunehmen, wird daher als sinnlos abgelehnt, gibt es da doch gar nichts zu betäuben. Der dabei entstehende Lärm sei zwar unangenehm, aber nur für die armen Menschen, die ihn anhören müssen.

Haben sie nicht nur Gefühle, sondern auch Bewusstsein?

Empörter Einspruch darauf kommt, nicht sehr erstaunlich, aus England. Dort leben bis heute vor allem die hohen Herrschaften auf vertrautem Fuß mit ihren Hunden und Pferden und geben zu viel Geld für sie aus, als dass sie sie zu bloßen Maschinen herabgewürdigt sehen möchten. Der englische Empirismus verallgemeinert diesen Eindruck: Dass ein Wurm Schmerz empfindet, sei eigentlich viel offensichtlicher als die Existenz eines immateriellen denkenden Geistes: Tiere sind empfindungsfähig, lehrt die Erfahrung, und aus der Fähigkeit, Schmerz und Lust zu empfinden, leiten wir Menschen gewisse Rechte und Pflichten ab - warum sollten wir die Tiere, die uns darin gleichen, davon ausschließen? Diese Argumentation zieht sich von David Hume durch bis hin zu Peter Singers "Animal Liberation".

Die Konfrontation zwischen kaltblütigen Rationalisten und tierlieben Empiristen dauert in gewandelter Form an. Nach wie vor steht Aussage gegen Aussage, Intuition gegen Intuition, und Philosoph gegen Philosoph. Die einschlägige Debatte wird heute insbesondere in der analytischen Philosophie des Geistes geführt, als Diskussion um das Bewusstsein der Tiere. Die einen meinen: Es sei ganz offensichtlich, dass Tiere Bewusstsein haben. Wenn ein Hund eine Katze verfolgt und dabei den falschen Baum anbellt, dann muss der Hund doch die leider (oder aus Perspektive der Katze gesehen glücklicherweise) richtige Überzeugung haben, dass die Katze auf diesen Baum geklettert ist. Die anderen meinen: Wenn der Hund diese Überzeugung hätte, müsste er auch darüber reden und daraus Schlüsse ziehen können; solange er das nicht kann, bleibt er ein gedankenloses Viech.

Helfen neben diesen theoretischen Erwägungen reale Erfahrungen mit Tieren weiter? Auch sie bleiben mehrdeutig: Raimond Gaita beobachtet, dass wir etwa Hunde an unseren Sprachspielen im Alltag teilhaben lassen, und meint damit Wittgenstein zu widerlegen, demzufolge Tiere a) nicht sprechen können und b) selbst wenn sie es doch könnten, sich uns nicht verständlich machen könnten. Mark Rowlands legt sich etwas zu, das er für einen Wolfswelpen hält, und erzählt, wie er im Umgang mit diesem fremdartigen Wesen von einem ausgelassenen Partylöwen zu einem gestandenen Familienvater wird - gerade weil der Vierbeiner, der die einzige Konstante in Rowlands Leben darstellt, eben kein Mensch ist, sondern ein ferner, fremder Spiegel bleibt.

Tiere sind und bleiben ein ungelöstes Problem der Philosophie, auch und gerade deshalb, weil die Philosophen sich nicht darüber einigen können, was Geist eigentlich sein soll. Und deshalb hilft die Philosophie auch hier wieder im Alltag nicht weiter. Viele Fragen bleiben offen, wie zum Beispiel: Darf man Tiere töten und ihr Tierfleisch essen? Sind Hundejäckchen albern? Warum sind Meerschweinchen nachtaktiv und werden als Haustier sowohl zum Streicheln als auch zum Braten genutzt, und warum gibt es Gesetze für die Haltung von Meerschweinchen, in denen die Einzelhaltung verboten wird, während die Haltung von Menschen in dieser Hinsicht ethisch unreglementiert ist und manchem nachts hellwach und einsam in seinem Bett liegenden Menschen die nachtaktiven Meerschweinchen anderer Menschen auf den Geist gehen? Es gibt viele Fragen zum Thema Tier, die die nachdenklichen Philosophen trotz allen Geistreichtums bislang nicht beantwortet haben.

Literatur