Steinbrück: Noch kein Bundeskanzler, aber schon Bilderberger

Der SPD-Kanzlerkandidat hat längst die Weihen der diskreten Macht erfahren

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Noch ist Peer Steinbrück, der frischgebackene SPD-Kanzlerkandidat, nicht im Zentrum der offiziellen Macht angekommen. Vor seinem Einzug ins Bundeskanzleramt stehen bekanntlich die Wahlen im kommenden Jahr. Die Initiation in die Reihen der diskreten Weltenlenker, den Souffleuren und Strippenziehern der inoffiziellen Macht hat der gebürtige Hamburger aber längst hinter sich gebracht. Peer Steinbrück, ehemaliger Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, war Teilnehmer der verschwiegenen Runde der Bilderberger, die 2011 für drei Tage fernab der Öffentlichkeit im beschaulichen St. Moritz zusammenkam.

Wenn sich auch der Machtelite-Zirkel Bilderberg in Geheimnisse hüllt, Steinbrücks Teilnahme an der Konferenz ist längst kein Geheimnis mehr. Die Öffentlichkeit des Internets diskutiert den Ausflug des Sozialdemokraten hoch und runter. In den großen Medien wird indes Steinbrück zwar durchleuchtet wie kaum ein Kanzlerkandidat zuvor; Steinbrücks Flirt mit der globalen Machtelite bleibt aber unter dem Radar der Berichterstattung. Ist die Teilnahme Steinbrücks an der Bilderberg-Konferenz ein Problem? Ja das ist sie.

Wem ist Peer Steinbrück näher: der Bevölkerung in Deutschland oder einer international agierenden Machtelite? Die Frage lässt sich leicht beantworten. Zumindest für die Zeit vom 9. bis zum 12. Juni 2011, als im schweizerischen St. Moritz die jährlich stattfindende Bilderberg-Konferenz ihren Lauf nahm, war der Mann, den der SPD-Parteivorstand einstimmig Anfang dieses Monats zum Kanzlerkandidaten der SPD nominierte, den Reichen und Mächtigen näher, als es manchem Genossen und Wähler lieb sein kann.

Peer Steinbrück, Foto: Dirk Vorderstraße, Lizenz: CC-BY-2.0

Wie in jedem Jahr seit 1954, fanden sich auch 2011 gut 140 handverlesene Persönlichkeiten aus der Wirtschaft, Hochfinanz, Politik, dem Militär, den Geheimdiensten, den Medien, dem Adel und Wissenschaft zusammen, um für drei Tage, abgeschottet von der Öffentlichkeit, in einem extra für das Treffen gemieteten Hotel über die großen Themen dieser Welt zu konferieren. Themen wie etwa "Die nationale Sicherheit im digitalen Zeitalter", "Die Herausforderung der Europäischen Union" oder die "Bereitschaft von Regierungen für Reformen" standen auf der Agenda.

Zu den langjährigen Bilderbergern David Rockefeller, Bankier und Milliardär, oder Henry Kissinger, ehemaliger Nationaler Sicherheitsberater und Außenminister der USA, gesellten sich der ehemalige Chef der Deutschen Bank, Josef Ackermann, Eric Schmidt, Chef des Internetkonzerns Google , der Mitbegründer des sozialen Netzwerks Facebook, Chris R. Hughes, oder der Direktor des US-Geheimdienstes National Security Agency (NSA), Keith B. Alexander. Und mittendrin: Peer "Ich lege alle Karten auf den Tisch" Steinbrück, der auf seiner Homepage eine interessante Frage aufwirft:

Bei wem liegt der Taktstock über das Geschehen und über den Weltenlauf? Bei anonymen, entgrenzten Märkten oder bei demokratisch legitimierten Institutionen?

Steinbrück scheint um die Bedeutung "demokratisch legitimierter Institutionen" zu wissen. Nur: Warum beschwört Steinbrück die Bedeutung demokratisch legitimierter Institutionen, wenn er zugleich Teil eines zutiefst undemokratischen vorgelagerten politischen Formationsprozesses ist, den die Elite der Elite nutzt, um Marschrichtungen, Ideen und Strukturveränderungen zu besprechen, bevor die Öffentlichkeit informiert wird?

Bodenhaftung verloren?

Die Teilnahme Steinbrücks an der Bilderberg-Konferenz verrät viel über den Mann, der bald als mächtigster Mann im Staate das Zepter schwingen möchte. Die Nähe zur Geldelite, die Nähe zu den Einflussreichen und Mächtigen, die Steinbrück offensichtlich auch zu akzeptieren bereit war, trotz fragwürdiger Rahmenbedingungen, nämlich dem Ausschluss der Öffentlichkeit, lässt nichts Gutes erahnen.

Steinbrücks unbeschwerter Eintritt in die Zirkel der verdeckten Macht, die für jeden echten Demokraten ein Dorn im Auge sein müssten, Steinbrücks hohe Honorare, die er für Reden und publizistische Tätigkeiten einstreicht, Steinbrücks Bitte um die Million für ein fragwürdiges Schachturnier, sind Anzeichen dafür, dass ein weiterer Wasserprediger und Weintrinkender den (politischen) Olymp zu erklimmen versucht.

Hat ein Politiker, der mindestens vierstellige Beträge für einen Vortrag einstreicht, nicht bereits die Bodenhaftung verloren? Kann ein Politiker, der der mehr als 7000 Euro für einen Vortrag annimmt, überhaupt noch verstehen, was es heißt, wenn Teile der Bevölkerung nicht wissen, wie sie es mit ihrem spärlichen Lohn überhaupt durch den Monat schaffen sollen?

Was bewirkt es in einem Menschen, in einem Politiker, wenn er in ein, zwei Stunden durch einen Vortrag mehr verdient als manch arbeitender Bürger im ganzen Jahr? Warum, und diese Frage ist einer vielen Fragen, die von den Medien nicht aggressiv genug gestellt und diskutiert werden, werden Spitzenpolitikern überhaupt Honorare in vier, fünf- und sechsstelliger Höhe gezahlt, wie es etwa auch bei Rudolf Scharping der Fall war?

Welche Unternehmen, welche Kreise, haben welche Interessen, dass ihnen ein Vortrag überhaupt so viel Geld wert ist? Der reine Inhalt des Vorgetragenen kann es nicht sein, denn solche Vorträge beinhalten in aller Regel nichts, was nicht öffentlich für jeden zugänglich wäre. Also muss es etwas anderes sein.

Wenn ein Unternehmen, 10.000, 20.000 Euro und mehr für einen simplen Vortrag zahlt, dann geht es immer um eine gegenseitige Befruchtung der Elite untereinander. Ein Peer Steinbrück soll eine Veranstaltung mit symbolischem Kapital aufladen und aufwerten. Das symbolische Kapital, über das ein Spitzenpolitiker dank seiner Position verfügt, überträgt sich an solch einem Vortragsabend auf die Zuhörer, die mit dem Gefühl nach Hause gehen können, einem "Großen" "ganz nahe" gewesen zu sein. Es überträgt sich auch und vor allem auf den Veranstalter, der sich, bildlich gesprochen, den eingeladenen Politiker wie einen kostbaren Pelz um den Hals hängen kann, was ihn schmückt und gut zu Gesicht steht.

Doch so sehr ein Unternehmer auch für Statussymbole empfänglich sein mag. Ein Unternehmer ist ein Unternehmer ist ein Unternehmer. Er wäre ein denkbar verschwenderischer Unternehmer, wenn Beträge bis zu einer sechsstelligen Höhe nur für etwas symbolisches Kapital gezahlt würden, das sich auf ihn, sein Unternehmen überträgt.

Es dürfte sich hierbei, und man muss mit Blindheit geschlagen sein, wenn man das nicht sieht, in vielen Fällen um verdeckte Finanzierungen von Politikern handeln, von denen irgendwann einmal ein "Gefallen" erwartet wird. Ein Hofstab will schließlich auch entlohnt werden.

Und damit sind wir beim Kernproblem, was die Bilderberg-Konferenz und die Teilnahme von Spitzenpolitikern angeht. Welche Beziehungsgeflechte mit welchen Auswirkungen entstehen, wenn sich die Mächtigen der Welt in solch einem Ausmaß ohne die kritischen Augen der Medien und der Öffentlichkeit treffen? Was spräche dagegen, diese Konferenzen auch für nicht eingeladene Gruppen, wie beispielsweise NGOs zu öffnen? Was kann ein Politiker zu einem Wirtschaftsboss "off the record" entspannter sagen, als wenn er im Lichte der Öffentlichkeit steht?

Die Antworten auf diese Fragen sind denkbar leicht. Und trotzdem liegen sie schwer im Magen und bereiten Übelkeit.

Schattensystem an Elite-Zirkeln

Fragen muss man auch: Wie viel Ausdifferenzierung der Elite aus dem normalen gesellschaftlichen System, wie viel Heimlichkeit verträgt eine Demokratie? Wann ist das Maß an informellen Gesprächsrunden und Hinterzimmer-Treffen voll? Wie viel blindes Vertrauen kann ein Politiker von den Bürgern und Wählern erwarten?

Bilderberg, das darf man nicht außer Acht lassen, ist nur ein Treffpunkt, an dem sich die Weltenlenker und Wirtschaftskapitäne abseits der Öffentlichkeit treffen. Die Machtstrukturforschung hat eindrucksvoll aufgezeigt, dass es ein Schattensystem an Elite-Zirkeln gibt, die sich der Öffentlichkeit mal mehr, mal weniger stark entziehen; wie stark der Einfluss dieser Gruppierungen auf die Politik ist, mit der die Bürger dieses Landes und der Welt letztlich konfrontiert werden, darüber kann nur gemutmaßt werden.

Umfangreiche Studien, wie beispielsweise die langjährige Auseinandersetzung des Forschers Bernhard Walpen zur Mont Pelerin Society und deren Wirken zur Verbreitung der neoliberalen Ideologie oder die Erforschung des Treffens am Bohemian Grove durch den US-amerikanischen Politikwissenschaftler G.William Domhoff, sind selten.

Die Sozialwissenschaften wissen leider noch immer viel zu wenig über Netzwerke der Elite. Doch, und daran sollte kein Zweifel bestehen: Ein gesundes Misstrauen ist angebracht, wenn Amtsträger aus der Politik, die aufgrund ihrer Position alles andere als ohne Handlungsmächtigkeit sind, zu nahe in die Gravitationszentren der informellen Macht gezogen werden.

Ein beliebter Einwand, der an dieser Stelle immer wieder von Politkern und anderen Sympathisanten der "Off the record"-Meetings angeführt wird, lautet, dass es doch auch Politikern gestattet sein müsse, sich im Stillen mit anderen führenden Persönlichkeiten zu treffen und auszutauschen. Schließlich könne doch ein guter Dialog unter hohen Funktionsträgern auch der Allgemeinheit zu Gute kommen.

Dies ist ein Einwand, dem man gewiss nur zustimmen kann. Selbstverständlich soll es Politikern auch gestattet sein, ohne die Bild-Zeitung im Schlepptau zu haben, mit dem Vorstandschef eines großen Unternehmens zu reden. Treffen, auch mehr oder weniger diskrete Treffen, unter den Eliten aus den gesellschaftlichen Teilbereichen wie Politik und Wirtschaft, sind nicht grundsätzlich verwerflich. Aber, um die Frage noch einmal zu stellen: Was ist von einem Politiker zu halten, der die Angst und das Misstrauen der Wähler und der Bevölkerung mit einer arroganten Bemerkung vom Tisch zu wischen versucht?

Privates Treffen auf Kosten des Staates

Doch alleine schon die Symbolwirkung einer Machtelite, die sich für drei Tage ein eigenes Hotel mietet, mit ihren privaten Flugzeugen, Hubschraubern und Luxuslimousinen anreist, ihr eigenes Sicherheitspersonal in der Umgebung Stellung beziehen lässt und dann noch ein Heer an staatlichen Sicherheitskräften für ihr "kleines privates Treffen" aktiviert, ist verheerend für jede Demokratie, die beansprucht, ernst genommen zu werden. Demonstranten, die von aggressiv vorgehendem Sicherheitspersonal verhaftet werden, Fotografen und Journalisten, die vor Ort an der Ausübung ihres Berufs gehindert werden, erwecken den Eindruck einer Elite, die jeden demokratischen Anstand mit den Füßen zu treten scheint.

Genauso schwer wiegt es, dass Kosten für eine Konferenz, die von Bilderberg selbst als "privat" klassifiziert wird, offensichtlich zum Teil auch auf den Steuerzahler umgewälzt werden. Völlig ohne Schamgefühl berichtet der CDU-Politiker Eckhard von Klaeden darüber, dass seine Kosten zur Teilnahme an der Konferenz vom Deutschen Bundestag übernommen wurden.

Ein im Netz zu findendes Papier aus den Unterlagen des ehemaligen Bundespräsidenten und Ex-Bilderbergers, Walter Scheel (FDP), zeigt auf, dass zur Bilderberg-Konferenz 1980 in Aachen die Bundesregierung bereit war, 100.000 DM zur Verfügung zu stellen. Eine Anfrage an die Bundesregierung und das Auswärtige Amt darüber, ob tatsächlich Geld geflossen ist, ist seit Wochen auch nach mehrmaligem Nachfragen unbeantwortet. Die Recherchen seien schwierig und benötigten Zeit, ließ die Pressestelle der Bundesregierung verlauten.

Peer Steinbrück scheint sich jedoch nicht mit der Frage auseinandergesetzt zu haben, ob der Steuerzahler für eine Privatkonferenz der Machtelite herangezogen worden ist. Schaut man in das Portal Abgeordnetenwatch, so wird deutlich, dass Steinbrück im Allgemeinen ein sehr eigenwilliges Verständnis von Transparenz und Bürgernähe hat:

Sehr geehrter Herr Steinbrück,

trotz mannigfaltiger Fragen steht immer noch Ihre Antwort zu Ihrer Teilnahme beim Bilderberger Treffen 2011 aus. Wie kann es sein, dass ein vom Volk gewählter Politiker, der mit Banken und Wirtschaft dort gemeinsame Sache macht, dem Volk keine Auskunft gibt? Es entsteht der Eindruck, dass die Politiker die an solchen Treffen teilnehmen, die Interessen des Volks verraten. Wie ist Ihre Meinung dazu?

Fragt beispielsweise ein Bürger mit Namen Jürgen Simon. Die Antwort darauf lautet:

Sehr geehrter Herr Simon,

Peer Steinbrück bedankt sich für Ihre Frage über abgeordnetenwatch.de. Mit dieser Antwort möchten wir Sie bitten, sich mit Ihrem Anliegen direkt an das Bundestagsbüro von Herrn Steinbrück zu wenden….

Und mit dieser Standardantwort, die von Steinbrücks Büro-Team versendet wird, lässt der Politiker offensichtlich alle Anfragen bei Abgeordnetenwatch beantworten. Um Himmelswillen, so hat es den Eindruck, bloß kleine Öffentlichkeit.

Geradezu absurd mutet die jüngste Äußerung Steinbrücks in Bezug auf seine Vortragshonorare an: "Transparenz gibt es nur in Diktaturen", zitiert Bild.de den Mann, der bereits als Finanzminister im Kabinett von Angela Merkel ab 2005 im Einsatz war.

Aber könnte es sein, dass Steinbrück an dieser Stelle schlicht falsch zitiert wurde? Oder hat der Sozialdemokrat tatsächlich das gesagt, was derzeit in den Medien verbreitet wird? Diese Frage ist zu stellen, da Steinbrücks Aussage von Transparenz und Diktatur einen Grad des Realitätsverlustes offenbart, unter dem erfahrungsgemäß nur diejenigen leiden, die viele Jahre dem Rausch hoher formaler Macht ausgesetzt waren.

Wer als Politiker wegen diskussionswürdiger Nebeneinkünfte mit dem Rücken zu Wand steht und den Ruf nach Transparenz aus dem Volk und aus den Medien eben über diese Einkünfte dadurch abzuwenden versucht, indem er eine notwendige und völlig legitimen Bitte nach Klarheit mit den Verhältnissen in einer Diktatur vergleicht, dokumentiert mit Nachdruck, dass das kleine Einmaleins der Demokratie nicht verstanden wurde.

Kritikwürdige Nebeneinkünfte, die Nähe zu Bankenlobbyisten, die Teilnahme an einer abgeschotteten Konferenz der internationalen Machtelite: Ob mit einem möglichen Bundeskanzler Peer Steinbrück Intransparenz und eine Kultur der Hinterzimmerpolitik weiter ausgebaut werden?