Architektur und lokale Wertschöpfung

Bild: Roman Keller

Auf unprätentiöse Weise setzt das "Sportzentrum Sargans" von blue architects + Ruprecht Architekten Nachhaltigkeit in Szene

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Es gibt ein Gleichnis von Aristoteles, demzufolge ein Lebewesen nicht an seiner Erscheinung, sondern an seinem Tun und den Reaktionen auf seine Umwelt zu erkennen sei. Wäre dies nicht auch ein überzeugender Maßstab für die Architektur? Schließlich stellt das "nachhaltige Bauen" heute keine Option, sondern eine gesellschaftliche Notwendigkeit dar. Was wiederum der Grund dafür ist, dass Zertifikate, welche mehr bewerten als nur den Energieverbrauch, immer wichtiger werden.

Seit 1998 prüfte etwa die US-Agentur LEED (Leadership in Energy and Environmental Design) Tausende von Immobilien auf Nachhaltigkeit, die Schweiz hat sich mit "Minergie" ein eigenes Label geschaffen, in Großbritannien gibt es BREEAM, und seit Anfang 2009 verleiht auch die Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB) ein eigenes Siegel. Fraglos bieten solch "grüne" Zertifikate gewisse Vorteile: Häuser lassen sich genauer bewerten, ihre Betriebskosten besser berechnen. Allerdings: Architektur ist mit abstrakten Normen und Analysemethoden allein nicht zu fassen.

Was das vor kurzem fertiggestellte Sportzentrum Sargans im Schweizer Kanton St. Gallen auf unprätentiöse Weise sinnfällig macht. Wobei blue architects + Ruprecht Architekten (Zürich) zunächst einmal auf eine Situation reagieren mussten, für die es keine Ideallösung gibt. Der vorgegebene Stadtraum - disperse, in ihren Volumina wie auch im Verhältnis zueinander heterogene Bauformen - konnte nicht komplett neu erfunden werden, bedurfte daher einer einleuchtenden, aber auch verträglichen körperlichen Präsenz. Zugleich stellen große Mehrfeldsporthallen fast zwangsläufig erratische Solitäre dar. Sich sowohl formell als auch maßstäblich in das Gesamtbild des Ortes einzufügen, war hier weder möglich noch sinnvoll.

Nun prägt ein Gebäude von stringenter Struktur und durchaus beeindruckender Größe den Ort. Freilich ist die Vierfach-Halle mehr als nur eine Campus-Arrondierung; sie ist ein statement. Kommt doch der Architektur die Aufgabe einer gewissen Gratwanderung zu, das heißt die Kluft zwischen einer Askese, die der ökologische Purismus diktiert, und unserem Dasein, das Behaglichkeit, Komfort und Bequemlichkeit - zumindest bis zu einem gewissen Maße - zwingend vorausetzt, zu schließen. Zum einen braucht "nachhaltiges Bauen" endlich eine überzeugende sinnliche Präsenz. Zum anderen müssen bestimmte Traditionsbestände der Architektur revitalisiert werden. Das meint weniger ein überkommenes Stil- und Formenrepertoire als vielmehr die Fähigkeit zum Haushalten und kongeniale Kreativität im Umgang mit Ort, Klima und Material.

Das Sportzentrum hält das Gleichgewicht, trägt beiden Aspekten in augenfälliger Weise Rechnung. Und es repräsentiert, was der renommierte Architekt Matthias Sauerbruch unlängst betont hat, dass nämlich "Nachhaltigkeit nicht bloß eine Frage der Technik ist. Vielfach wird geglaubt, mit einem neu aufgetauchten Problem werde man am besten fertig, indem man eine Maschine erfindet, die es lösen soll. Aber diese Einstellung führt oft dazu, mit unnötig komplizierter Technik auf Aufgaben zu antworten, die sich mit etwas gesundem Menschenverstand einfacher bewältigen ließen. Ein Bau muss sicherlich funktional und dauerhaft sein, aber gleichzeitig muss er auch die Vorstellungskraft entzünden."

Die äusserst schlanke, additive Tragstruktur in Holz rhythmisiert und prägt das Gebäude maßgeblich. Es reflektiert eine traditionelle Materialverwendung und adaptiert sie für - und in - einen modernen Bautypus, den es in der vernakulären Architektur nicht gab. Über Jahrhunderte hinweg war Holz der universelle Werkstoff schlechthin und meist der einzige unmittelbare Energielieferant. Seit man sich intensiv mit Ökobilanzen, Energieeffizienz und Aspekten der Behaglichkeit unterschiedlicher Materialien befasst, gewinnt es zunehmend neue Anhänger. Nicht zuletzt, weil es mit seinen bauphysikalischen Eigenschaften überzeugt. Seine Festigkeit und Tragkraft sind im Verhältnis zum Gewicht groß und im Vergleich mit Stahl oder Beton nur schwer zu übertreffen. Und anders als Stahl, Glas und Zement muss bei Holz kaum Energie eingesetzt werden, um es für den Einbau vorzubereiten.

Bild: Roman Keller

In Sargans wird Nachhaltigkeit als etwas Integriertes und dem Entwurf grundsätzlich Inhärentes begriffen. Anschaulich wird das etwa an der Ventilation, die sich als kongeniale low-tech-Lösung erweist: Der Materialraum hinter der Halle fungiert, technisch gesehen, als außerordentlicher Lüftungskanal. Zwei seitlich angebrachte Lüftungsaggregate verursachen einen Überdruck im gesamten Raum. Somit konnte auf teure und raumaufwendige Kanäle verzichtet werden. Sorgfältig platzierte Schlitze zwischen Materialraum und Halle geben nun frische Luft in die Halle ab, die wiederum auf der anderen Seite im Obergeschoss nach außen abgesaugt wird.

Zugleich verweist dieses Beispiel auf einen überaus bedeutsamen, wiewohl oft verkannten Aspekt: Das werkgerechte Know-how und damit der Zugang zum Verständnis für die Produktion. Denn die konkrete Ausgestaltung und Detaillierung des Gebäudes verdankt sich dem engen Zusammenwirken zwischen Architekten und den - in der Tradition des Holzbaus verankerten - Handwerkern.

Dergleichen ist notwendig, um Nachhaltigkeit nicht bloß "am grünen Tisch" zu formulieren, sondern um mit den alltäglichen Herausforderungen der Baupraxis kreativ umzugehen und Lösungen gleichsam "in-situ" zu finden. Wenn es gelingt - wie es hier der Falls war -, die komplexen Anforderungen an ein solches Bauwerk von vornherein gemeinsam abzuklären, in einem engen Zusammenspiel von Entwerfenden und Ausführenden, dann kann das Nährboden für innovative Lösungen sein - und im Ergebnis zugleich marktfähig und technisch durchdacht. Freilich fehlt es dafür häufig an Voraussetzungen, weil entweder die Architekten an diesen (produktions)technischen Aspekten wenig Interesse haben oder seitens des Handwerkes keine Ambitionen hinsichtlich des "Mit-Entwickelns" bestehen.

Zudem darf Architektur nicht so komplex sein, dass sie dem Nutzungsalltag der Menschen - welcher ja keineswegs von ökologischen Verhaltensmustern geprägt ist - widerspricht. Das Projekt der Sportanlage beruht auf einem ganzheitlichen Ansatz, ist nutzerfreundlich und macht lokale Stoffströme zu seinem Thema. Die mittlerweile vorliegenden Daten sprechen diesbezüglich eine klare Sprache: 1.230 Kubikmeter Holz wurden verbaut, wovon 63% effektiv aus der Schweiz stammen und die restlichen 27% aus den grenznahen Gebieten in Österreich und Deutschland. 94% des Holzes wurde in der Schweiz vom Rohmaterial zu fertigen Produkten verarbeitet. Dies ist durchaus bemerkenswert, da in diesen Verarbeitungsprozessen der größte Anteil der ökonomischen Wertschöpfung stattfindet.

Das neue Sportzentrum in Sargans versteht sich als praktisches Beispiel, das den Gebrauch von altbewährtem Baumaterial auf neue Art einübt, das eine Symbiose zwischen Tradition und zeitgemässen Produktionstechniken herstellt. Es nimmt, einfach und klar in Gestalt und Materialisierung, Bezug auf die Gegebenheiten. Innere Erschließung und Raumaufteilung folgen einer unmittelbar eingängigen Logik und genügen allen praktischen Alltagserfordernissen. Die Beschränkung auf wesentliche Elemente und Eigenschaften stärkt den architektonischen Ausdruck und reduziert zugleich die Baukosten sowie den Ressourcenverschleiß. Just damit setzt das Projekt Zeichen: Es lässt etwas von der Selbstverständlichkeit erahnen, die der Holzbau historisch besaß, und führt auf so beiläufige wie elegante Art und Weise einen wunderbaren natürlichen Werkstoff vor, dessen Potenzial noch lange nicht ausgeschöpft ist.