Beschneidung: Ende der Debatte?

Das Kabinett beschließt Vorlage zur Neuregelung

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Der Gesetzesentwurf zur Beschneidung von Jungen wurde vom Kabinett beschlossen. Da der Entwurf auf Antrag der Regierungskoalition sowie der SPD erstellt wurde (Die Beschneidung gesetzlich zulässig machen), wird er aller Wahrscheinlichkeit nach das Parlament passieren. Dass sich das Bundesverfassungsgericht mit dem Thema befassen wird, gilt dagegen, auch wenn dort Anträge auf ein Normenkontrollverfahren eingereicht werden, als eher unwahrscheinlich. So äußerte etwa der Hamburger Rechtsprofessor Reinhard Merkel: "Eine realistische Prognose würde wahrscheinlich sagen, das Verfassungsgericht wird sich da heraushalten."

Die Debatte über die Beschneidung von Jungen schlug hohe Wellen. Ob sie nun fortgeführt wird? Was wird von ihr bleiben? Wie werden wir in fünf oder zehn Jahren darüber denken? Was hat sich gezeigt? Eine ausgeprägtere Sensibilität von Teilen der Gesellschaft gegenüber Kindern und dem Kindeswohl? Eine neue Sensibilität gegenüber dem Recht auf die Unversehrtheit des Körpers? Eine über die letzten Jahrzehnte gewachsene Abneigung und das Unverständnis einer säkularen Gesellschaft gegenüber Religionen, die auf jahrhundertealten Ritualen bestehen, um das Recht auf Unversehrtheit des Körpers zu missachten? Oder eben doch nur, was viele vorgebracht haben, alte antisemitische Ressentiments, die einen neuen Anstoß gefunden haben?

In der Regierung und beim Zentralrat herrscht erstmal Erleichterung. "Es ist ein guter Tag, der dazu beiträgt, dass wieder mehr Rechtssicherheit eintreten wird", freut sich die Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. Und das Lob des Präsidenten des Zentralrats der Juden, Dieter Graumann - "Der Gesetzentwurf ist sehr gelungen und geglückt" - wird alle diejenigen beruhigen, die sich Sorgen machten über das jüdische Leben in Deutschland. Wie aufgeheizt sich die Debatte entwickelt hatte, zeigte etwa der Kommentar der ehemaligen Präsidentin des Zentralrates, Charlotte Knobloch mit der Frage "Wollt ihr uns Juden noch?". Jetzt hofft sie, "dass dieses Thema endlich aus der öffentlichen Diskussion verschwindet".

Ob dem so sein wird? Kritiker werden von dem Gesetzesentwurf, der ja in Grundzügen schon seit längerem bekannt war, nicht überzeugt sein. Ihrem Leitthema, dass es sich bei der Beschneidung um Körperverletzung handelt, wird darin nicht ausdrücklich Rechnung getragen. Der neue Paragraf, § 1631d, der dem BGB zu den gesetzlichen Bestimmungen über Inhalt und Grenzen der Personensorge hinzugefügt wird, lautet gemäß Entwurf:

§ 1631d
Beschneidung des männlichen Kindes

(1) Die Personensorge umfasst auch das Recht, in eine medizinisch nicht erforderliche Beschneidung des nicht einsichts- und urteilsfähigen männlichen Kindes einzuwilligen, wenn diese nach den Regeln der ärztlichen Kunst durchgeführt werden soll. Dies gilt nicht, wenn durch die Beschneidung auch unter Berücksichtigung ihres Zwecks das Kindeswohl gefährdet wird.

(2) In den ersten sechs Monaten nach der Geburt des Kindes dürfen auch von einer Religionsgesellschaft dazu vorgesehene Personen Beschneidungen gemäß Absatz 1 durchführen, wenn sie dafür besonders ausgebildet und, ohne Arzt zu sein, für die Durchführung der Beschneidung vergleichbar befähigt sind.´

Die "Regeln der ärztlichen Kunst" gebieten "eine im Einzelfall angemessene und wirkungsvolle Betäubung", heißt es in der mehr als 20-seitigen Begründung, in die der Wortlaut des Gesetzestextes eingerahmt ist. Das lässt Spielraum darüber, welche Schmerzen als "unangemessen" gelten.

Als Resultat der Debatte lässt sich immerhin erkennnen, dass Schmerzlinderung und Schmerzbehandlung in den Gesetzesentwurf eingegangen sind. So sind dürfen zwar nun auch mit Unterstützung des Gesetzgebers Personen Beschneidungen durchführen, die keine Ärzte sein müssen, aber nur wenn sie "besonders dafür ausgebildet" sind. Auch hier müssen die Maßgaben der ärztlichen Kunst gewahrt bleiben. Das stellt neue Anforderungen an die Autorisierung der Mohalim. Laut Zentralratspräsident Dieter Graumann gab es "diese Dinge bisher nicht". "Hier müssen wir auch selbst unsere Hausaufgaben machen", wird er zitiert.

Dem Einwand, der von Medizinern geäußert wurde, wonach der Eingriff problematisch ist, stellt die vom Justizministerium ausgearbeitete Begründung empirische Untersuchungen gegenüber, welche die chirurgisch durchgeführte Zirkumzision als "komplikationsarm" bewerten:

Komplikationen seien aber "sehr selten und meist unbedeutend" (Schreiber/Schott/Rascher/Bender, Klin Pädiatr 2009; 221: 409 <411>). Die Häufigkeit von Komplikationen soll bei etwa zwei Prozent, bei Neugeborenen nur bei 0,2 Prozent liegen (Stark/Steffen, Urologe 2003; 42: 1035; ähnlich: Stehr/Schuster/Dietz/Joppich, Klin Pädiatr 2001; 213: 50 <53>).

Hierzu dürfte es bestimmt Gegenstimmen, die mit anderen eigene Erfahrungen und anderen Untersuchungen aufwarten, geben. Ob sie die Debatte noch einmal anstoßen können, ist fraglich.

Weltweit ist kein Staat bekannt, in dem eine mit Einwilligung der Eltern fachmännisch fehlerfrei durchgeführte Beschneidung von männlichen Kindern, jedenfalls wenn sie aus religiösen Gründen erfolgt, ausdrücklich verboten wäre; auch strafrechtliche Verurteilungen aufgrund allgemeiner Vorschriften sind nicht bekannt.

Gesetzentwurf der Bundesregierung