Wer ist der bessere Schauspieler?

Der Kampf der Generationen zwischen Paul Ryan und Joe Biden endet in einem Scharmützel ähnlich einer Abendessen-Diskussion zwischen Vater und Sohn.

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Die obligatorische Debatte zwischen den Vizepräsidenten ist generell nicht dafür bekannt, im Rennen um das Weiße Haus die Karten neu zu verteilen. Aber nach Romneys erfolgreichem rhetorischen Überfall letzte Woche und Obamas traniger Darbietung hat sich die Wetterlage gedreht: laut einer aktuellen Umfrage führt Romney im umkämpften US-Bundesstaat Colorado, wenn auch nur mit einem Prozentpunkt, und hat Obamas Vorsprung im Swing-State Wisconsin halbiert. Die VP-Debatte hat für die Demokraten also über Nacht eine neue Bedeutung bekommen. Joe Biden muss richten was Obama verpennt hat: angreifen.

Screenshot aus dem YouTube-Videos der Debatte

Zwar ist Biden (69) im Vergleich zu Ryan (42) erfahrener, was Debatten angeht, doch seine geistreichen Bemerkungen können auch nach hinten losgehen. In einem Interview mit ABC forderte Obama gleichwohl sein Schicksal heraus. Gefragt was er von Joe Biden in der Debatte heute Abend erwarte, sagt er: "Joe needs to be Joe."

Zu gewinnen und verlieren gab es in den gut 90 Minuten im Centre College in Danville, Kentucky, zwei Trophäen: Auftritt und Inhalt. Ryan bestätigte seine selbstsichere Art aus Interviews und lieferte seine Stichpunkte zu jedem Zeitpunkt ruhig und souverän ab. Beim Thema Wirtschaft konnte er durch faktenreichen Zahlenspiele punkten, aber nicht, weil sie richtig oder falsch sind, sondern weil er schlicht der bessere Schauspieler beim Vortragen ist. Tatsächlich war das der stärkste Kontrast zwischen beiden Kontrahenten.

Die beiden stritten sich über Themen wie Abtreibung, Steuern und die Wirtschaft. Bei der Außenpolitik nahm die Kontroverse um den Terror-Anschlag in Benghazi die meiste Zeit ein. Ebenso wurde das Thema Iran, das von der Moderatorin Martha Raddatz als "biggest national threat" eingeführt wurde, diskutiert. Laut Ryan wären die Sanktionen gegen das Mullah-Regime in den letzten vier Jahren völlig verwässert worden. Er warf der Obama-Regierung daher ein Glaubwürdigkeitsproblem vor, Iran davor abhalten zu können, eine Atombombe fertig zu stellen. Worauf Biden mit Nachdruck antwortete: "This President doesn't bluff!"

Insgesamt machte Ryan den Eindruck, als würde er ein auswendig gelerntes Drehbuch vorlesen. Eins, dass er allerdings nahezu fehlerlos aufgeführt hat. Er beherrscht das Spiel vor dem Fernseher beängstigend virtuos. Verlangt die Diskussion nach einem ruhigen Moment - und davon waren einige nötig - nahm Ryan Geschwindigkeit raus, fuhr seine Stimme runter und bettete sein Argument und Zahlen in eine persönliche Geschichte mit emotionalem Anstrich. Ein abgedroschenes Stilmittel, aber Ryan konnte es jederzeit verkaufen.

Paul Ryan

Stand er einer potentiell kritischen Frage gegenüber, ließ er sich nicht aus der Ruhe bringen. Er rückte zurück, dann nagelte er charakterstark Stichpunkte in den Bildschirm: 1. Was ist das Problem? Obamas Führungsschwäche; innenpolitisch und außenpolitisch (Obama is "projecting weakness abroad") 2. Das ist unser Ziel. Auf Details musste man allerdings ähnlich wie bei Romney ein weiteres Mal warten. Mehr Substanz als effektvolle Soundbites lieferte Ryan selten ab: "We need real reform, for real recovery." Dann betete er Romneys 5-Punkte-Plan herunter.

Joe Biden dagegen hat das geleistet, was Obama von ihm erwartet hat: er war Joe. Und das war streckenweise problematisch. Der Vizepräsident hat sich zwar keinen verbalen Fehltritt geleistet, dafür aber musste er starke Abzüge bei der Haltungsnote hinnehmen. Er wirkte streckenweise genervt und so frustriert mit Ryans wie Werbversprechen vorgetragenen Lösungen, dass er den Kongressmann wieder und wieder unterbrach: "Show me a policy where you take responsibility!" Zunächst versuchte er Ryans Botschaften noch mit einem kraftvollen "Marlarkey!" - Unsinn - zu erden. Als das nicht funktionierte, wollte er sie weglachen, mit einem Grinsen so breit, dass es Warren Beatty neidisch machen würde. Beim Thema Medicaid sprach er sogar direkt in die Kamera und appellierte an die Menschen, nicht Ryans Behauptungen, sondern ihrem gesunden Menschenverstand zu vertrauen.

Joe Biden

Ryan ließ sich kein einziges Mal aus dem Rhythmus bringen, Bidens Verhalten schien ihn gar noch selbstsicherer zu machen. Der Vizepräsident schien dann Lügen mit Tatsachen bekämpfen zu wollen und verwandelte sich zum Echtzeit-Faktenchecker. Biden konterte die Behaupten Ryans leidenschaftlich mit Daten und Erfahrungsberichten. Dass sein Mikrofon dabei von Anfang bis zum Schlussstatement stark raschelte, verbesserte seinen dabei zeitweise verzweifelten Eindruck nicht. Seine aufgebrachte Art lässt sich allerdings nachvollziehen. Laut Fact-Check der Tampa Bay Times lag Ryans in der Kategorie Mostly False Statements mit 31 Prozent deutlich vor dem Demokraten, der mit 15 Prozent "nur" halb so oft die Wahrheit zurechtbog.

Am Ende muss man Ryan den "Sieg" zugestehen, was die Art des Auftritts angeht. Biden bleibt jedoch als durchaus kämpferisch in Erinnerung. Beim Inhalt könnte man sich auf ein Unentschieden einigen. Ingesamt würde demnach Ryan ein minimaler Vorsprung zustehen. Das Ergebnis bestätigte auch die CNN-Post-Debate Umfrage. Da ging Ryan mit 48 zu 44 Prozentpunkten als knapper Sieger hervor. Verglichen zur Debatte zwischen Romney und Obama war sie für den Zuschauer überaus unterhaltend. Einen faden Nachgeschmack hinterlässt sie dennoch. Heute mehr noch als vor einer Wochen wurde offensichtlich, dass Romney und Ryan ähnlich wie Bush unter Karl Rove im Medientheater auf einer anderen Bühne spielen als die Demokraten. Sowohl Obama als auch Biden wirken mit dem Versuch, eine ernsthafte Diskussion über Themen führen zu wollen, beunruhigend ineffektiv. Das Publikum wird entscheiden, wem eher zu glauben ist.

Biden derweil hat seine Rolle erfüllt. Als eine Art Davy Crockett konnte er heute dem Sturm der Republikaner etwas Einhalt bieten. Obama hat nun Zeit, seine Kräfte zu mobilisieren, um dann nächste Woche wieder selbst in den Ring zu steigen.