US-Debatten: Die gelenkte Diskussion

Es sind nicht nur die Kandidaten, die bei den US-Wahldebatten eine Show abliefern. Es ist vor allem der für das Format und die Auswahl der Fragen zuständige Ausschuss

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Kurz vor der zweiten Debatte zwischen Obama und Romney steht die Kritik am Moderator der ersten, Jim Lehrer, nach wie vor im Raum: Er hätte das Format aus dem Ruder laufen lassen, hieß es. Romney und Obama hätten auf seine Anweisungen hören sollen, stattdessen hätte er sich nach den beiden Protagonisten gerichtet. Außerdem ließen seine Fragen an Schärfe vermissen.

Screenshow aus dem Video von der ersten, von Jim Lehrer geleiteten Debatte zwischen Obama und Romney

Hatte Lehrer einen schlechten Tag erwischt? Keineswegs. Es war Lehrers 12. Diskussionsrunde, er gilt als Veteran auf diesem Gebiet. Dazu gemacht hat ihn die Commission on Presidential Debates (CPD). Ein Ausschuss, der den Eindruck der politischen Unabhängigkeit vermittelt, obwohl er ein gemeinsames Projekt von Demokraten und Republikanern ist. Seit 24 Jahren wählt die CPD Moderatoren aus, ist für das Format, den Ablauf und die seichten Fragen zuständig. Er wurde gegründet, weil das ursprüngliche Gremium den Parteien zu kritisch wurde.

Bevor die CPD die Bühne betrat, war die League of Women Voters (LWV) für die Ausrichtung der TV-Debatten zuständig. Vier Rededuelle 1960, 1976, 1980 und 1984 betreute die League, eine aus der Frauenbewegung der 1920er Jahre hervorgegangene Vereinigung, die sich seitdem für die Rechte aller Wähler einsetzte. Sie war parteiunabhängig, stand für politische Aufklärung und eine aktive Teilnahme an demokratischen Abläufen. Entsprechend organisierte sie die Fernsehauftritte. Den Politikern stand ein Podium aus vier kritischen Journalisten gegenüber. Die LWV hielt sich an den "Geist der Debatte". Ihre Journalisten durften bei auswendig gelernten Antworten der Gefragten nachhakten, "um ohne Vorbehalt mit Unwahrheiten aufzuräumen."

Die dritte Debatte 1976 zwischen Amtsinhaber Ford und Herausforderer Carter, deren Themenspektrum "offen" war - jede Frage über jedes Thema konnte gestellt werden -.ist nur ein Beispiel, wie es damals aussah. Bereits die Eingangsfrage war anders als heute. Es ging nicht um die Visionen der Kandidaten. Ein Produkt, das sich daher immer gut verlaufen lässt, weil es die Hoffnung der Menschen anzapft und den Politiker gut dastehen lässt. Der Kolumnist Joseph Kraft fragte Ford und Carter nach dem Preis. Nach dem Opfer, das die Bürger jeweils von ihrer Regierung in den kommenden vier Jahren erwarten müssten zu leisten. Ein Herauswinden war nicht möglich. Kraft hakte allein bei Fords Antwort dreimal nach.

Das Konzept der League of Women Voters - herausfordernde Fragen und kritisches nachhaken - funktionierte. Es stand der Vorzeige-Demokratie USA gut zu Gesicht. Das letzte Wort hatte die LWV. Das stieß vier Jahre später allerdings Amtsinhaber Jimmy Carter schwer auf.

Als 1980 die erste Fernsehdebatte anstand, sollten nicht nur Carter und Ronald Reagan antreten, sondern auch John B. Anderson. Ein ehemaliger Republikaner, der sich als unabhängiger Kandidat durch kritische und innovative Positionen bei den Wählern einen Namen gemacht hatte. Carter bockte. Er wollte nicht mit Anderson zusammen auf einer Bühne stehen. "Einmal ein Republikaner, immer ein Republikaner", spekulierte Anderson Jahre später in einem Interview über Carters Motive.

Das Drängen des US-Präsidenten auf Ausschluss eines Konkurrenten ging der LWV zu weit. Anderson kam in Umfragen auf die von der LWV festgelegten 15 Prozent an erforderlichen Wählerstimmen. Er durfte antreten, die Bürger hatten ein Recht darauf, ihn anzuhören. Ende September duellierten sich Reagan und Anderson vor 55 Millionen zuschauern - der 39. Präsidenten der USA saß zu Hause und schaute im Fernsehen zu. Medien feierten die harte, aber konsequente Entscheidung der LWV als wertvollen Präzedenzfall, unabhängige Kandidaten mit einzubeziehen in die Wahlen.

"Betrug am Wähler"

Der Erfolg stellte sich allerdings als Pyrrhussieg heraus. 1984, vier Jahre später, muckten beiden Parteien geschlossen auf. Ihnen war offensichtlich ein Licht aufgegangen. Solange die League of Women Voter an den Hebeln der Macht saß, mussten sie kuschen. Kurzerhand lehnten sie 80 der 83 von der LWV vorgeschlagenen Journalisten für die erste TV-Diskussion zwischen Reagan und Walter Mondale ab. Auf den nötigen vierten Reporter wollten sie sich partout nicht einigen. Erst als die LWV sich öffentlich über Einmischung in den Ablauf und Behinderung seitens der Parteien beklagte, riss man sich auf Angst vor schlechter PR zusammen. Aber der Schaden war angerichtet. Republikaner und Demokraten verzogen sich ins politische Hinterzimmer. 1988 überraschten sie die LWV mit einem "Memo of Understanding"

Darin festgelegt war der zukünftige Ablauf der Debatten. Unter anderem sollten die Parteien nun die Auswahl der Moderatoren- und Diskussionsleiter übernehmen. Übersetzt hieß das: handverlesene Reporter, die keinem wehtun und für etwas Prime-Time-Ruhm das politische Spiel mitspielen. Außerdem war es ab sofort verboten, dass die Kandidaten sich gegenseitig Fragen stellen. Die LWV lehnte eine Zusammenarbeit unter diesen Voraussetzungen ab. Das Ziel sei offenkundig eine substanzlose Debatte, ohne Spontaneität und ohne ehrliche Antworten durch kritische Fragen, ließ die Vorsitzende, Nancy M. Neuman, verlauten. Das wäre "Betrug am Wähler". Die League würde sich nicht der Mittäterschaft bei der Täuschung der amerikanischen Öffentlichkeit schuldig machen.

Keine kritischen Fragen, keine Kandidaten anderer Parteien mehr

Die LWV stieg aus der Betreuung der TV-Diskussionen aus, und die The Commission on Presidential Debates übernahm. Eine Organisation, die zufällig ein Jahr zuvor von Frank Fahrenkopf und Paul Kirk, den Vorsitzenden beider Parteien, gegründet wurde, schreibt die Organisation Open Debates, die sich seit 2003 für Reformen einsetzt.

Seitdem fehlen kritische Fragen ebenso wie Kandidaten anderen Parteien; so wie dieses Jahr Jill Stein von der Green Party oder Rocky Anderson von der Justice Party. Ross Perots Auftritt 1992 ist der bisher Einzige eines dritten Kandidaten bei einer Präsidentschafts-Debatte. Er durfte teilnehmen, weil Amtsinhaber George H. W. Bush darauf spekulierte, Perot würde dem demokratischen Herausforderer Clinton Wählerstimmen wegnehmen. Vier Jahre später wollte Perot erneut, aber Clinton, diesmal Amtsinhaber, ließ ihn nicht mehr.

Seit 1988 ist auch Jim Lehrer dabei. Dieses Jahr holte man ihn sogar aus dem Ruhestand, in dem er seit 2011 lebte. Kritik an ihm verbot sich die CPD dann auch. Lehrer hätte das Format dieses Jahr genau so ausgeführt, wie es geplant war. Es ist aber nicht nur Lehrer, der mit seiner zahnlosen Art überzeugt. Auch bei kommenden Debatten dürfen sich die US-Bürger sicher wieder auf Fragen von der Stange freuen - und auf immer dieselben ausgetretenen Antworten. Auf Halbwahrheiten, glatte Lügen und PR-geprüfte Satzteile, die erst, nachdem die Lichter aus und die Zuschauern bereits im Bett sind, durch Fact-Checker geprüft werden. Er sei lange genug dabei, so George Farah, Anwalt und Vorsitzender von Open Debates, um zu wissen, dass die CPD eine harte Nuss sei. Um sie zu knacken und Reformen durchzuführen, wird es noch etwas Zeit brauchen.

Mittlerweile hat er bei seinen Bemühungen Unterstützung bekommen. Ende September haben über 18 Pro-Democracy-Gruppen eine gemeinsame Presseerklärung abgegeben, in der sie die Monopolstellung der CPD beklagen und die Offenlegung des geheimen Vertrags zwischen den Romney- und Obama-Kampagnen einfordern.

Die kommende Debatte im Town-Hall Format am Dienstag, bei dem Wähler aus dem Publikum Fragen stellen dürfen, wird dies freilich nicht ändern. Der Ablauf ist längst festgeschrieben: Stellt ein Zuschauern seine Frage, soll ihm gleich danach das Mikrofon ausgestellt werden. So war es immer, seit das Format, von Bill "es menschelt" Clinton Mitte der 90er angeregt und von der CPD schlussendlich ins Leben gerufen wurde. Ein Nachhaken ist nicht erwünscht, ebenso wenig Überraschungen: Die Fragen aus dem Publikum müssen vorher durch die CPD autorisiert werden.