Die Verantwortung übernehmen

Die Energie- und Klimawochenschau: Von sozialisierten Risiken, globalen Preiskämpfen, untergehenden Inseln und neuen Versprechen der Weltbank

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Die Betreiber von Kohle- und anderen Großkraftwerken versuchen einmal mehr, die neue Runde der Strompreiserhöhungen dem Ausbau der Erneuerbaren anzulasten. Um stattliche 12 Prozent steigen die Preise im Durchschnitt der 468 Versorger, die bisher Verteuerungen angekündigt haben, berichtet das Portal verivox.

Verteuert wird der Strom für die privaten Verbraucher aber auch durch höhere Netzentgelte, von denen die Industrie ausgenommen ist. Auch für Haftung bei verzögerter Netzanbindung von Offshore-Windparks sollen die Verbraucher aufkommen. Wenn Netzbetreiber Tennet (ehemaliges E.on-Netz) nicht dafür sorgt, dass ein neuer Park rechtzeitig Strom einspeisen kann, hat dessen Besitzer Anspruch auf Schadenersatz. Die Bundesregierung hat dieser Tage beschlossen, dass davon nur 20 Millionen Tennet bezahlen muss, der Rest darf auf die Stromrechnungen umgelegt werden.

Natürlich schreit an dieser Stelle keiner der üblichen Verdächtigen, dass der Strom zu teuer wird. Denn schließlich geht es ja nicht um Bürgerwindparks oder kleine Solarzellen von Eigenheimbesitzern, sondern um Großprojekte milliardenschwerer Investmentfonds und nicht zuletzt der großen Stromkonzerne. Da interessiert es auch keinen mehr, dass der Offshore-Strom inzwischen die teuerste Variante sauberer Energie darstellt. Selbst Fotovoltaik ist billiger.

Das liegt vor allem am Preisverfall bei den Solarmodulen, der munter weiter geht. Kristalline Solarmodule aus Deutschland kosteten im Oktober am Spotmarkt nur noch 0,83 Euro pro Watt Peakleistung (Euro/Wp), berichtet der Brancheninformationsdienst IWR. Das seien 3,5 Prozent weniger als im Vormonat gewesen. Für vergleichbare Module aus China würde nur noch 0,57 Euro/Wp verlangt. Damit seien die Preise für kristalline Solarmodule seit zwei Jahren ohne Unterbrechung Monat für Monat gesunken. Auch andere Modultypen verbilligen sich weiter. Je nach Art und Hersteller seien die Module 30 bis 40 Prozent billiger als noch vor einem Jahr.

Überproduktionskrise

Für die Energiewende sind das gute Nachrichten, für die meisten Produzenten eher weniger, denn Gewinne sind bei dem anhaltenden Preiskampf kaum zu machen. Die SolarWorld AG erlitt zum Beispiel im dritten Quartal einen heftigen Umsatzeinbruch und schmerzhafte Verluste. Nach einem Bericht der New York Times geht es der chinesischen Konkurrenz nicht viel besser, die zum Teil erheblich überschuldet ist. Der Markt wird offensichtlich von einer ausgewachsenen Überproduktionskrise durchgeschüttelt.

Immerhin führt der Preisverfall aber dazu, dass die Fotovoltaik wahrscheinlich trotz verstärkter Degression der Vergütung, die inzwischen im Monatstakt abgesenkt wird, eine lohnende Investition bleibt. Steigende Verbraucherpreise tragen ein Übriges dazu bei, für Eigenheimbesitzer und Gewerbebetriebe die Attraktivität der Selbstversorgung zu erhöhen. Für eine Kilowattstunde (KWh) Solarstrom einer neuen Dachanlage gibt es zur Zeit je nach Anlagengröße zwischen 12,39 und 17,90 Cent. Zum 1.12. sinkt die Vergütung auf 12,08 bis 17,45 und zum 1.1. auf 11,78 bis 17,02 Cent pro KWh.

Diese Kosten sind übrigens für die nächsten 20 Jahre fix. Geht man davon aus, dass es eine jährliche Inflation von rund zwei Prozent in dieser Zeit geben wird, dann wird der Solarstrom aus den heute installierten Anlagen in zwei Jahrzehnten real nur noch rund sechs bis neun Cent kosten. Bei den fossilen Energieträgern kann man hingegen davon ausgehen, dass ihr Preis steigen wird, und zwar sicherlich stärker als die Inflationsrate. Hinzu kommen noch schwer zu kalkulierende Zusatzrisiken, wie zum Beispiel die sogenannten Ewigkeitskosten des deutschen Bergbaus, Schäden durch Schadstoffe wie Quecksilber, Schwermetalle Arsen und Schwefeldioxid oder auch durch den Klimawandel, die die Gesellschaft zu tragen haben wird.

Meinungsumschwung

Während hierzulande das konzentrierte Propagandatrommelfeuer der Energiekonzerne, des Bundes der deutschen Industrie und neoliberaler PR-Maschinen wie der industriefinanzierten Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft droht, die positive Stimmung umzudrehen, die bisher in der Bevölkerung dem Klimaschutz und der Energiewende gegenüber herrscht, zeichnet sich in den USA eine gegenteilige Tendenz ab. Wirbelsturm "Sandy" hat bei den dortigen Wählern offensichtlich ein Umdenken verursacht. Nach einer Meinungsumfrage, über die das Magazin Forbes Mitte des Monats auf seiner Webseite schreibt, sind derzeit fast 70 Prozent der Wähler sehr oder zumindest etwas wegen der wachsenden Risiken und Kosten besorgt, die vom Klimawandel ausgehen. 57 Prozent sind überzeugt, dass der Klimawandel Extremereignisse wie "Sandy" verschlimmert, 65 Prozent der Befragten erwarten, dass die gewählten Vertreter Maßnahmen gegen den Klimawandel ergreifen sollen, um Schaden von künftigen Generationen abzuhalten.

Den Republikaner sollte besonders zu denken geben, dass die Gruppe der Spanisch Sprechenden zu jenen gehört, die sich am meisten Sorgen über Umweltprobleme im Allgemeinen und Klimawandel im Besonderen macht. Diese Gruppe neigt, abgeschreckt von der rigiden bis offen rassistischen Migrationspolitik der Republikaner, zunehmend den Demokraten zu und gab bei der letzten Wahl den Ausschlag für Obama. Für die Republikaner wird deren Entfremdung zum strukturellen Problem, weil die Einwanderer aus dem Süden und ihre Nachkommen zusammen mit den Nachfahren der Mexikaner in den 1848 annektierten Gebieten, die am schnellsten wachsende Bevölkerungsgruppe der USA darstellen.

Versprechen einlösen

Bleibt abzuwarten, ob es sich wirklich um einen nachhaltige Verschiebung im öffentlichen Bewusstsein handelt. Ein Kommentar im New Scientist fordert den gerade im Amt bestätigten US-Präsidenten Barack Obama jedenfalls auf, nun seine bereits 2008 abgegebenen klimapolitischen Versprechen umzusetzen.

Es werde nun langsam klar, dass der Klimawandel sogar schlimmer als erwartet ausfalle. Der letzte IPCC-Bericht von 2007 habe seine Folgen und sein Tempo eher unterschätzt. Die zwei Grad Erwärmung gegenüber dem vorindustriellen Niveau, das gefährliche Maß, das nicht überschritten werden dürfe, werde vermutlich schon früher als gedacht erreicht. Obama müsse endlich die Subventionen für fossile Energieträger einstellen und stattdessen deren reale Kosten über eine Kohlenstoffsteuer einpreisen.

Was ist gefährlich?

Was das Zwei-Grad-Ziel angeht, haben sich ja hierzulande in letzter Zeit einige regierungsnahe Politologen in Klimaprognosen versucht, und gemeint, ein solches Maß an Erwärmung sei doch gar nicht so schlimm. In vielen der ärmsten Entwicklungsländer und vor allem in den Inselstaaten hat man darüber allerdings eine ganz andere Meinung. Da schon eine solche relativ gemäßigt erscheinende globale Erwärmung das grönländische Eisschild erheblich schrumpfen lassen wird, fordern sie, dass der Klimawandel auf einem niedrigeren Niveau aufgehalten werden muss.

Ein Meeresspiegelanstieg von einem Meter, wie er bis zum Ende des Jahrhunderts zu erwarten wäre, stellt nämlich für viele Inseln bereits eine erhebliche Bedrohung dar. Und da der Meeresspiegel auch danach noch viele Jahrhunderte weiter steigen wird, wären auch bei einer Beschränkung der Erwärmung auf zwei Grad eine ganze Reihe von Inselnationen in ihrer Existenz bedroht, worauf unter anderem auch Cristiana Figueres verweist, die Chefin des Sekretariats der UN-Klimarahmenkonvention. Eine im Sommer veröffentlichte Studie des Potsdam Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) hat ergeben, dass auch bei einer globalen Erwärmung von lediglich zwei Grad Celsius der mittlere Meeresspiegel bis 2300 um 1,5 bis vier Meter steigen wird.

Vier-Grad-Welt verhindern

Und je mehr über die zwei Grad Celsius hinaus geschossen wird, desto schlimmer fällt der Klimawandel aus. Das PIK hat gerade für die Weltbank in einem Bericht zusammengestellt, wie die Erde bei einer globalen Erwärmung von vier Grad aussehe.

Wenig gemütlich, wie man sich vorstellen kann. Besonders die Tropen wären von schweren Hitzewellen betroffen, Hunderte Millionen Menschen wären von einem Anstieg des Meeresspiegels betroffen, Missernten würden die Ernährung der Weltbevölkerung gefährden. Einige Getreidearten würden sehr empfindlich auf Hitze reagieren. Besonders betroffen seien vor allem die Armen.

"Wenn wir uns weit über die Zwei-Grad-Linie hinauswagen, also in Richtung vier Grad, laufen wir Gefahr, Kipp-Punkte im Erdsystem zu überschreiten", meint PIK-Direktor Hans Joachim Schellnhuber. Verschiedene Komponenten im Klimasystem haben bestimmte Schwellenwerte, bei deren Übertreten irreversible Prozesse eingeleitet werden.

Das grönländische Eisschild zum Beispiel wird ab einer bestimmten globalen Mitteltemperatur unwiederbringlich, wenn auch langsam abschmelzen. Einige Wissenschaftler vermuten, dass diese Schwelle bereits bei zwei Grad liegen könnte. Die Schmelze würde Jahrtausende dauern, könnte aber schon bald unwiderruflich beginnen, so Schellnhuber. "Der einzige Weg, dies zu vermeiden, ist ein Bruch mit den vom Zeitalter fossiler Brennstoffe geprägten Mustern von Produktion und Konsum."

Der Report arbeitet den gegenwärtigen Stand der Forschung auf und liefert neue Analysen zu Hitzewellen und zum regionalen Meeresanstieg. Natürlich bleiben hierbei Unsicherheiten. Wir greifen das auf, indem wir Risiko definieren als "Schadenspotenzial multipliziert mit der Eintritts-Wahrscheinlichkeit". Auch ein relativ unwahrscheinliches Ereignis kann ein großes Risiko darstellen, wenn seine möglichen Auswirkungen groß genug sind.

Ko-Autor William Hare

Der neue Weltbank-Chef Kim Jim Yong fand zur Vorstellung des Berichts starke Worte: "Untätigkeit gegenüber dem Klimawandel droht, die Welt, die unsere Kinder von uns erben, zu einer ganz anderen zu machen als jene, in der wir heute leben. Der Klimawandel ist eine der größten Herausforderungen für die Entwicklung, und wir müssen die moralische Verantwortung dafür übernehmen, im Namen kommender Generationen zu handeln, besonders für die Ärmsten." Und: "Eine Vier-Grad-Welt kann und muss verhindert werden."

Knud Vöcking von der Umwelt- und Menschenrechtsorganisation urgewald, die seit Jahren gegen die klimaschädliche Kreditpolitik der Weltbank kämpft, hat sich wahrscheinlich die Augen gerieben, als er das Kim-Statement las. "Wir sind gespannt, ob und wie es Dr. Kim gelingen wird, seine hehren Ziele durchzusetzen", heißt es in einer Presseerklärung seiner Organisation.

Vöcking weist darauf hin, dass es schon bisher an derartigen Bekenntnissen aus der Washingtoner Bank nicht gemangelt habe. Schon 2004 sei eine Abkehr von Kohle und Öl gefordert worden. Dennoch würden aber weiter "riesige Kohlekraftwerke in Indien und Südafrika" gefördert. Auch Ölfirmen bekämen Kredite. Aktuell gäbe es Pläne für die Finanzierung eines Braunkohlekraftwerks im Kosovo. "Für uns ist dieses Kraftwerk ein erster Test für die Durchsetzungsfähigkeit von Dr. Kim", so Vöcking.