Gemeinsam gegen die Euro-Zone

Die Wahlalternative 2013 will mit Hilfe der Freien Wähler die "Einheitsfront der Berufspolitiker" aufbrechen. Marktradikale Positionen und Anleihen am rechten Rand scheinen dabei kein Problem zu sein

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Der Euro ist derzeit keine Erfolgsgeschichte und um die Reputation der politischen Parteien steht es ebenfalls nicht zum Besten. Wer in dieser Situation mehr oder weniger generell dagegen ist, findet schnell 1.000 Freunde und allerhand Leute, die irgendwie "darüber sprechen". Doch die Wahlinitiative 2013 will mehr. Mit Hilfe der vorwiegend im Süden der Republik erfolgreichen Freien Wähler sollen "qualifizierte parteilose Kandidaten" aufgestellt werden. Zunächst für die anstehende Landtagswahl in Niedersachsen – später womöglich auch für die Bundestagswahl 2013.

Plakat der Wahlalternative 2013

"Politische Meinungsverschiedenheiten sind unbedeutend"

Wir werden zur Bundestagswahl 2013 antreten, indem wir mit einer politischen Partei kooperieren, die unsere Ziele teilt. Alle anderen politischen Meinungsverschiedenheiten sind angesichts der heutigen Herausforderungen unbedeutend.

Gründungsaufruf Wahlalternative 2013

So ähnlich sah das bereits Wilhelm II., der den kleinlichen Streitereien der nationalen Tagespolitik am 4. August 1914 den Rücken kehrte. Mit dem Bekenntnis, keine Parteien, sondern nur doch Deutsche zu kennen, zog der letzte Kaiser in den Ersten Weltkrieg.

Von militärischen Ambitionen ist die Wahlalternative weit entfernt, auch wenn machen Unterstützern das Eisen-und-Blut-Vokabular, wie wir später sehen werden, nicht ganz fremd ist. In Europa, da sind sich die Initiatoren allerdings sicher, muss Entscheidendes geändert werden, damit "Zahlmeister" Deutschland nicht Konkurs anmeldet. Zu diesem Zweck soll das Land nicht mehr für die Schulden fremder Staaten eintreten und Hoheitsrechte nur nach einer Volksabstimmung abtreten können. Im Zentrum des Gründungsaufrufs steht die Zerschlagung der Euro-Zone.

Das einheitliche Euro-Währungsgebiet wird aufgegeben. Es steht allen Staaten frei, aus dem Euro auszuscheiden, sich in geeigneteren Währungsverbünden (Nord- und Südeuro) zusammenzuschließen oder Parallelwährungen einzuführen.

Gründungsaufruf Wahlalternative 2013

Die Übereinstimmungen mit den Freien Wählern sind offensichtlich. Auch deren Bundesvorsitzender Hubert Aiwanger, der gerade zum Spitzenkandidaten für die bayerische Landtagswahl gekürt wurde, hat kein Faible für Berufspolitiker, polemisiert fleißig gegen "Teppichdiebe und gefälschte-Doktortitel-Besitzer" auf der Regierungsbank oder ganz allgemein gegen die "Schwarz-Rot-Grün-Gelbe Versagertruppe".

Die kritische Auseinandersetzung mit Europa steht im Zentrum des politischen Tagesgeschäfts, das auf Demonstrationen, durch immer neue Umfragen und Studien oder im Rahmen von juristischen Verfahren betrieben wird. Horrorszenarien aller Art gibt es inklusive. So bewerben die Freien Wähler im Oktober ein Exposé von Matthias Elbers, das den aufrüttelnden Titel "Das Euro-Desaster. Wie verblendete Politiker Europa ruinieren und unsere Demokratie zerstören" trägt und eindringlich vor der nahenden Apokalypse warnt.

Die Eurokrise hat das Zeug, die Fundamente, auf denen unser Gemeinwesen ruht, zu zerstören. Die Lage ist ernst: Demokratie, Rechtstaat, Frieden und wirtschaftliches Wohlergehen sind in Gefahr.

"Das Euro-Desaster"

Konservativer als die CDU und linker als Rot-Grün

Zu welchem Lager die "Freien Wähler", denen 2008 mit beachtlichen 10,2 Prozent der Sprung in den Bayerischen Landtag gelang, im Koalitionsfall gehören würden, ist schwer abzuschätzen. Ihre Mitglieder setzen sich aus Bürgerbewegungen und Aktionsgruppen zusammen und stammen zu einem nicht unerheblichen Teil aus den Frustecken von CDU/CSU und FDP.

Folgerichtig fragt auch die Wahlalternative auf ihrer Homepage, ob es sich bei den geneigten Usern möglicherweise um "enttäuschte Wähler von CDU, CSU oder FDP" handelt. Wenn ja, haben sich die neuen Interessenten womöglich nicht nur über die Europapolitik, sondern auch über die weitreichende Erosion des konservativen Markenkerns geärgert.

Denn auch in vielen anderen Politikfeldern (Aufgabe der Wehrpflicht, der Gesundheitsprämie, der Steuerreform, der Kernenergie, des dreigliedrigen Schulsystems, Einführung von Mindestlöhnen) sind Union und FDP nicht wiederzuerkennen.

Wahlalternative 2013

Die Wahlinitiative bietet nun eine umfassende Sanierung und Wiederherstellung des parteipolitischen Erbes an.

Wenn Sie wollen, dass diese Parteien sich wieder ihrer traditionellen Programmatik verpflichtet fühlen, dann müssen Sie sich jetzt von ihnen abwenden!

Wahlalternative 2013

Das gleiche Angebot gilt – wie kaum anders zu erwarten – für die bisherigen Wähler von SPD und Grünen, die "ihre" Opposition nur noch als Teil der Regierungsstrategie erleben.

Inhaltliche Präzisierungen, die über die Kritik an der Europapolitik hinausgehen, finden nicht statt. Auf die Frage, ob es für die Wahlinitiative noch andere Schwerpunkte gebe, antwortete Sprecher Bernd Lucke, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Hamburg:

Nein, denn wir sind keine Politiker, die auf alles und jedes eine Antwort zu haben glauben. Wir konzentrieren uns auf die Euro-Krise, weil sie unseren Wohlstand bedroht: Durch Schuldenberge, gefolgt von Inflation und Steuererhöhungen.

Bernd Lucke, 4. Oktober 2012

Neue Heimat für Hans-Olaf Henkel

Ob es der Wahlalternative gelingt, ihre diffusen Vorstellungen in eine Art politisches Programm zu gießen, werden die nächsten Monate zeigen. Einen Zweck erfüllt sie schon jetzt, denn der ehemalige BDI-Präsident Hans-Olaf Henkel, der schon seit längerem mit den Freien Wählern sympathisiert, scheint endlich eine neue politische Heimat gefunden zu haben. Noch vor einem Jahr fühlte sich der "Ohne-Wenn-und-Aber"-Freund von Thilo Sarrazin mitten in Europa "gnadenlos verfolgt", weil er "von der herrschenden Political Correctness abweichende Positionen" vertrat.

Doch Henkel sagte dem "Gesinnungsterror" – in eben dem Blatt, das Luckes Sprecher-Kollege Konrad Adam von 2000 bis 2008 als Chefkorrespondent vertrat - den Kampf an und war selbstverständlich nicht bereit, dem "Marsch der Lemminge in die organisierte Verantwortungslosigkeit" zu folgen.

Stattdessen marschierte der Ex-Manager von einer Talkshow zur nächsten, um dort Thesen zu vertreten, die Beobachter an ein politisches Phänomen aus einem ganz anderen Kulturkreis erinnerten. Der liegt Henkels "Kerneuropa" geografisch allerdings noch ferner als die EU-Mitgliedsstaaten, die er gern als "Olivenländer" bezeichnet.

Die Parallelen zwischen Henkel und der Tea-Party-Bewegung sind erdrückend. Beide Seiten polemisieren gegen den Zentralstaat, gegen Sozialsysteme, gegen Steuern, gegen Konjunkturprogramme und gegen Einwanderer. Das Washington der Tea-Party-Bewegung ist für Henkel Brüssel.

Jens Berger

"Wir sind unfähig, nationale Interessen zu formulieren"

Zu den Unterstützern der Wahlinitiative zählen neben Henkel eine Reihe weiterer Unternehmer, Wissenschaftler und Publizisten, die in einem "Who's Who der deutschen Marktradikalen" womöglich gut aufgehoben wären.

Das Sammelsurium aus eigenwilligen Währungsreformern, erklärten Gegnern des Sozialstaats und Freunden der neuen Rechten könnte die Freien Wähler in erhebliche Erklärungsnöte bringen. Darin steckten sie schon im Mai, als sich ungebetene Gäste der Demonstration "ESM stoppen!" anschließen wollten, weil es dabei "um das NPD-Thema schlechthin" gehe.

Die Freien Wähler in München gaben sich empört, doch wenige Monate später dachte man auf der Homepage ihrer Frankfurter Parteifreunde über neue Formen des Totalitarismus nach. Da war dann vom "staatlich erzwungenen Nebeneinander nicht verträglicher Fremdkulturen" die Rede – eine Sprachregelung, die bei der NPD sicher erneuten Beifall findet.

Der Name für diese neue Diktatur eines modernen Totalitarismus lautet "Vielfalt" oder "Diversität". Die Propaganda-Bilder für jene Vielfalt zeigen lachende Menschen mit vielfältiger Hautfarbe, die Frieden, Eintracht und eine glückliche soziale Gemeinschaft symbolisieren. Doch die Realität des staatlich erzwungenen Nebeneinanders nicht verträglicher Fremdkulturen ist den Menschen des Alltags auf der Straße nur zu bekannt. Es sind die negativen Folgen einer staatlich verordneten Zwangsvermischung von Völkern und Kulturen, die sich teilweise gegenseitig ausschließen und wohl niemals zusammenfinden werden.

"Geh' Deinen Weg" – Beitrag auf der Homepage der Freien Wähler Frankfurt

Kein Wunder also, dass bei den Freien Wählern auf dem Umweg über die Wahlalternative nun auch Zeitgenossen mitmischen möchten, die – wie etwa Alexander Gauland, ehemals Staatssekretär in Hessen – die Überzeugung vertreten, Deutschland sei "unfähig, nationale Interessen zu formulieren." Wie so etwas funktionieren kann, zeigte Gauland im Sommer, als er seinen Landsleuten ein "gestörtes Verhältnis zur militärischen Gewalt" attestierte und dafür eintrat, die kriegerische Auseinandersetzung doch eher als "Politik mit anderen Mitteln im Sinne von Clausewitz" zu betrachten.

Das aber setzt voraus, dass die Deutschen wieder eine Tatsache der Weltgeschichte akzeptieren lernen, die Bismarck in seiner ersten Regierungserklärung als preußischer Ministerpräsident 1862 in die berühmten Worte fasste: "Nicht durch Reden und Majoritätsbeschlüsse werden die großen Fragen der Zeit entschieden – das ist der große Fehler von 1848 und 1849 gewesen –, sondern durch Eisen und Blut."

Alexander Gauland, 23. Juli 2012

Gauland ist nicht der einzige Freund der Wahlalternative, der seine erzkonservativen Vorstellungen nah am rechten Rand züchtet. Der umstrittene Staatsrechtler Karl Albrecht Schachtschneider, der u.a. im März 2009 bei einer Veranstaltung von PRO Köln "über Fragen der Religionsfreiheit" sprach, gehört offenkundig zur privilegierten Gruppe der "Gründer und Hauptzeichner".

Die Wahlalternative in Niedersachsen

In Niedersachsen, wo im Januar ein neuer Landtag bestimmt wird, haben sich die Freien Wähler bereits entschieden und Bernd Lucke auf Platz 3 der Landesliste gesetzt.

Eine breitere Öffentlichkeit wurde erstmals 2005 auf den Hochschullehrer aufmerksam, als er den sogenannten "Hamburger Appell" initiierte, den die "Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft" mit einer Anzeigenserie begleitete – vermutlich, weil hier ein Idealbild marktkonformer Demokratie entworfen wurde.

Wer behauptet, Deutschland könne und müsse ein Hochlohnland bleiben, handelt unredlich oder ignorant. (...) Die unangenehme Wahrheit besteht deshalb darin, dass eine Verbesserung der Arbeitsmarktlage nur durch niedrigere Entlohnung der ohnehin schon Geringverdienenden, also durch eine verstärkte Lohnspreizung, möglich sein wird.

Hamburger Appell, 2005

Lucke beschäftigt sich mit allerlei interessanten Themen und geht beispielsweise der Frage nach, ob der Verbrauch nicht erneuerbarer Ressourcen ein Unrecht gegenüber kommenden Generationen sein könnte (Antwort: Nicht unbedingt). Lucke schreibt und gibt Interviews, etwa über das "Fiasko der Euro-Rettung", vor allem aber bildet Lucke Netzwerke. Nach der Verbreitung des "Hamburger Appells" gründete er das "Plenum der Ökonomen", das sich für "volkswirtschaftliche Ausnahmesituationen von herausragender nationaler Bedeutung" zuständig fühlt und umgehend gegen die Verlängerung des EU-Rettungsschirms opponierte. In dieser Angelegenheit engagierte er sich auch im selbsternannten "Bündnis Bürgerwille".

Viele Gleichgesinnte, so die Ökonomen Ulrich Blum, Carsten Herrmann-Pillath, Stefan Homburg, Jörn Kruse, Martin Leschke, Peter Oberender oder Joachim Starbatty folgten Lucke – vom "Hamburger Appell" bis zur Wahlalternative 2013.

Die Wähler in Niedersachsen dürften sich den marktbegeisterten Volkswirtschaftlern nur sehr bedingt anschließen. Derzeit werden Lucke kaum Chancen eingeräumt, über die Landesliste der Freien Wähler in den Landtag von Hannover einzuziehen.

Die Konservativen und die CDU

Dass die Wahlalternative der Union und Regierungschefin Angela Merkel gefährlicher wird als der "Berliner Kreis", der am eigenen Manifest scheiterte, der Dauerprotest der von Josef Schlarmann geführten Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung oder Seitenwechsel wie der jüngst vermutete des CSU-Landtagsabgeordneten Bernd Weiß, darf ohnehin bezweifelt werden.

Die Mehrheit der Mitglieder scheint sich mit der vielzitierten "Sozialdemokratisierung" ihrer Partei angefreundet zu haben – und sei es nur, weil die inhaltliche Neuorientierung in vielen Politikbereichen mittlerweile in der Merkel-Rubrik "Alternativlos" abgespeichert wurde.

Das Unwort des Jahres 2010 hat hier insofern seine Berechtigung, als es im sogenannten bürgerlichen Lager keine attraktiven Ausweichmöglichkeiten gibt. Eben deshalb musste sich Generalsekretär Hermann Gröhe bei der Beschreibung des künftigen Kurses auch keine besondere Mühe geben: "Wir sind auch konservativ, aber nicht nur."