Obama regeneriert sich - ein bisschen

Beide Kandidaten gingen streitlustig in die vorletzte Runde

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"Man kann jemanden nicht einfach in Ruhe lassen, während dieser die Wahrheit missbraucht und nichts dagegen unternehmen", sagte Obamas Chefberater David Axelrod über den glanzlosen Auftritt seines Chefs vor knapp zwei Wochen. Und während Romney über das Wochenende Zeit fand, um im Swing-State Ohio den Vorteil aus der ersten Debatte weiter in Wählerstimmen umzumünzen, musste Obama nachsitzen. In einem Golf-Resort in Virginia übte er bis Montag für die Debatte im Town-Hall-Format. Diesmal würde Obama den "gewieften Serienschwindler" Romney entblößen, prophezeite Axelrod, und der Nation noch einmal "leidenschaftlich" seine Vision für das Land aufzeigen. Die Voraussetzungen für ein Comeback des Präsidenten standen gut.

Screenshot aus dem YouTube-Debattenvideo

Das Town-Hall Format sollte ihm zugute kommen, so die Meinung: Denn im Gegensatz zu Romney hatte Obama bisher eine gute Figur im Umgang mit fremden Menschen machen können. In der New Yorker Hofstra University saßen den beiden Kontrahenten zweiundachtzig dieser unbekannten und dazu unentschlossenen Bürger an diesem Abend gegenüber. Geschätzte 15 Fragen sollten aufgegriffen werden. Am Ende waren es elf, die Debatte ging knapp zehn Minuten länger als die geplanten 90, es gab einige heftige Streitereien, und Obama hatte sich drei Minuten länger erklärt, als Romney sprach.

Erstmals ging es neben Innen- und Wirtschaftspolitik auch um die Außenpolitik. Und damit unausweichlich um den Angriff auf das US-Konsulat am 11. September in Bengasi, Libyen, bei dem vier Menschen ums Leben kamen, unter ihnen der US-Botschafter Chris Stevens. Obama umging die Frage aus dem Publikum, warum die Botschaft nicht ausreichend gesichert war, und Romney verpasste die Chance nachzuhaken. Beide hielten sich nur zehn Minuten mit dem Thema auf. Tatsächlich war es die einzige Frage über Außenpolitik. Die Situation im Nahen Osten, Israel und Irans Atomprogramm, scheint reserviert für die letzte Debatte am 22.10.

Dieses Mal lag der Fokus deutlich auf der Wirtschaft. Die ersten zwei Fragen zu Arbeitsplätzen und Benzinpreisen nahmen zusammen über 20 Minuten des Abends ein. Die wenigsten hätten wohl voraussehen können, dass sich die beiden den ersten heftigen Streit über die Ölproduktion im eigenen Land liefern sollten. Romney ging dabei in die Offensive und versuchte von Obama wiederholt eine Antwort zu erpressen: "Let's look at the president's record as opposed to the rhetoric." Obama habe die Herausgabe von Lizenzen an Firmen für Ölbohrungen eingeschränkt, so Romney. Das Resultat: die Erzeugung sei in den letzten Jahren zurückgegangen. Obama erklärte dagegen, die Ölproduktion sei so hoch wie seit acht Jahren nicht mehr. Beiden warfen sich gegenseitig vor, nicht richtig zu liegen.

Ein FaktenCheck der Richmond Times-Dispatch ergab: Beide hatten Recht. Die Förderung ist demnach gegenwärtig höher als zur zweiten Amtszeit von Bush junior, zugleich aber ist sie im Zuge der Deep-Horizon-Katastrophe im Golf von Mexiko zurückgegangen. In diesem bereits für die beiden anderen Debatten typischen Graubereich spielte sich der Großteil der Antworten und Vorwürfe an diesem Abend ab.

"Wie ist Ihre Position bei Steuerabzügen (tax deduction) und Steuergutschriften (tax credits)?", war die dritte Frage. Romney blieb bei seinen Zahlen, versprach flächendeckend eine Steuersenkung um 20 Prozent und beantwortete die Details mit dem Mantra seiner Kampagne: "I know what it takes to get the economy moving. I've been in the privat sector my whole life. I've run the Olympic Games and balanced the budget." Obama hingegen machte das, was er bei der ersten Debatte vergaß: Er konterte Romneys Steuerrechnung mit einem kräftigen "the math does'nt add up!" und besann sich auf die Botschaft seines Wahlkampfes.

Screenshot aus dem YouTube-Debattenvideo

Er gehe ihm nicht um kurzfristige Effekte, erklärte er. Stattdessen arbeite er für den langfristigen Erfolg. Als "moralische Verpflichtung" gegenüber zukünftigen Generationen. Es war der Versuch, das Leitmotiv seines Wahlkampfes wiederzubeleben, also dass es zwei Auswahlmöglichkeiten für die Bürger gibt: Romney Pro-Reich, Obama Pro Mittelschicht. Zwei Kandidaten, die sich in ihrer Philosophie fundamental unterscheiden. In den 99 Minuten kam Obama immer wieder auf diesen Pfeiler seiner Kandidatur zurück, wobei er zeitweise mit alter Überzeugungskraft Punkte sammeln konnte. Und aggressiv-verzweifelt klang, wenn er die zwei Minuten Redezeit auf seiner Uhr überschritt und er von der Moderatorin Candy Crowly zur Ordnung gerufen wurde.

Fazit: die Debatte kam ohne Fettnäpfchen aus, niemand schaute auf die Uhr wie 1992 George H.W. Bush oder rückte medienwirksam einem Betroffenen aus dem Publikum nahe wie einst Bill Clinton. Die größte Überraschung war wohl, dass Romney durchweg authentisch wirkte. Obwohl man ihm nicht nur das für eine erfolgreiche Performance in Bürgerforum-Atmosphäre nötige "Normal-Guy-Gen" bereits abgesprochen hatte, sondern sogar kurzerhand "Autismus" in diesem Zusammenhang unterstellte.

Abseits von der Frage nach dem Stil, muss man feststellen: Es gab Themen wie Einwanderung, Waffenkontrolle und Lohngleichheit für Frauen, die ernsthaft besprochen werden sollten, deren Handhabung an diesem Abend aber lediglich einem billigen Gerichtsdrama gerecht wurde. Letztlich muss man sich daher fragen, ob das Gezanke dieser beiden Politiker einem bisher unentschlossenen Bürger die Wahl erleichtern kann.

Die CNN-Post-Debate Umfrage ergab zwar, dass 46 Prozent Obama als Gewinner sahen, 39 Prozent stimmten für Romney. Allerdings: Bei fast allen wichtigen Themen, ob bei der Handhabung der Wirtschaft, der Gesundheitsfürsorge oder der Staatsverschuldung lag dagegen Romney deutlich mit mehreren Prozentpunkten vor Obama. In sieben landesweit ausgeführten Umfragen vor der Debatte führte Romney im Durchschnitt mit nur 0.4 Prozentpunkten vor Obama. Es sieht danach aus, dass die Wahl am 6. November ebenso knapp ausgehen könnte.