Umweltminister Peter Altmaier bringt Dividende für Netzausbau ins Spiel

Wie bezahlt der Bürger am Ende die Energiewende?

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Jetzt darf das Wahlvolk bei der Energiewende auch finanziell an vorderster Front mitmischen. Jeder von uns kann sich mal ein paar Euro beim Netzausbau dazu verdienen. Haben wir es hier bei der finanziellen Bürgerbeteiligung mit einer neuen "Black Box Bank" zu tun, so wie bei der Riester-Rente, oder kommt hier gar was Seriöses zustande?

Bekanntlich versteht der neue Macher der Energiewende, Bundesumweltminister Peter Altmaier (CDU), sich Partei übergreifend exzellent mit Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP). Nun aber gibt es bei dem neuen Dreamteam ein kleines Problem: Die Energiewende kostet (zu) viel Geld, was beide Ressorts nicht sonderlich gerne mögen. Und genau deshalb ziehen der Philipp und der Peter plötzlich an einem Strang.

In einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung ließ Bundesumweltminister Peter Altmaier (CDU) dieser Tage mit einem Geistesblitz aufhorchen. Denn das Schwergewicht bringt für die Finanzierung der Energiewende eine leichte Anleihe mit Bürgerdividende ins Spiel. Sie soll dazu beitragen, den milliardenschweren Netzausbau auf elegante Art und Weise vorzufinanzieren. Das Volumen dieser Bürgeranleihe wäre auf rund fünf Milliarden Euro angesetzt, rund 15 Prozent des für den Netzausbau benötigten Finanzvolumens.

In welcher Form das Zukunftsprojekt zur dezentral vom Bürger co-finanzierten Energiewende auf die Spur gebracht werden soll, blieb bei dieser Verlautbarung über das führende Wirtschaftsmedium FAZ wieder einmal im Unklaren. Wie hätten Sie es denn gern, ein Genussschein? Darlehen? Oder möchten Sie eine Schuldverschreibung? Mit den klein gedruckten Details in komplizierten Finanzfragen möchte uns das Bundesumweltministerium (BMU) nicht weiters belästigen. Der Bürger hat vom Geld doch sowieso keine Ahnung, es sei denn, es dreht sich um höhere Steuern.

Der Bürger wird zum Investor

Das Kalkül dahinter: Der vom BMU zum Investor geadelte Staatsbürger wäre ab 500 Euro bei der Energiewende als aktiver Gestalter eingekauft - und würde im Gegenzug, von wem auch immer, eine garantierte Rendite von fünf Prozent einstreichen. Das wäre immerhin deutlich mehr als jeder Guthabenzins bei einer Bank, mag da mancher Investitionswillige ungeprüft in den Chor einstimmen. Ob der durch steigende Strompreise genervte Verbraucher aber wirklich zugreift bei diesem verlockenden Angebot, das steht, wie so vieles andere bei der Energiewende, noch in den Sternen.

Immerhin gab es mal so was wie eine Finanzkrise, und nicht jeder Anleger hat vergessen, dass hinter manch einem komplexen Produkt meist ein X für ein U steht. Wer soll also den vermutlich nicht ganz so sanften Übergang ins Zeitalter der erneuerbaren Energien bezahlen, lautet die Preisfrage. Am Ende dürften sich wohl alle Bürger in irgendeiner Form an der Finanzierung der Energiewende beteiligen. Fragt sich nur, ob zum eigenen Nachteil, oder ob es gelingt, andere für den steigenden Strompreis in die Kollektivhaftung hinein zu ziehen.

Zum Hintergrund, dessen Faktenlage ebenso umstritten ist wie die Gefühlslage der Bundesbürger zur Energiewende überhaupt, fest steht nur: Die Kosten sind hoch für den Ausstieg aus der Atomenergie und den allmählichen Umstieg ins Zeitalter der erneuerbaren Energien. Ein Basisinvestment für die Energiewende von mindestens 200 Milliarden Euro allein für die kommenden zehn Jahre hat dazu das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) angesetzt.

Kosten zum Netzausbau unklar

Noch detaillierter sind die Angaben vom Hamburgischen WeltWirtschaftsInstitut (HWWI). Die gemeinnützige Einrichtung hat jüngst den Barwert der Kosten bei der deutschen Energiewende bis zum Jahr 2030 auf insgesamt 335 Milliarden Euro taxiert. Für die Förderung der erneuerbaren Energien sind dabei 250 Milliarden Euro angesetzt. Weitere 85 Milliarden Euro fielen für zusätzliche Investitionen, Anlagen, Leitungen, Speicher und Kraftwerkskapazitäten an.

Kalkulieren wir einmal mit dem guten alten Rechenschieber des Wahlvolks kurz mit: Nun setzt der neue Umweltminister für den Netzausbau lediglich eine Summe von 34 Milliarden Euro an, wenn der Bürger davon 15 Prozent übernähme, sprich fünf Milliarden Euro. Diese leicht untertriebene Kapitalbedarfsprognose klappt aber - ähnlich wie beim Berliner Großflughafen - nach Lesart vom HWWI nur, wenn man wesentlich weniger neue Trassen verlegt als die in der Netzplanung ursprünglich verankerten mehrere Tausend Kilometer.

Auch hier wollen wir nicht zu sehr ins Detail gehen. Am besten man nutzt effizientere Technologien oder buddelt die Leitungen statt über die Oberlichttrasse gleich in die Erde ein. Das spart viel Geld. Selten aber kamen bei Großprojekten die besten Lösungen zum Zug. Auch unter den Technikexperten gibt es zu technischen Machbarkeitsstudien ebenso viele Meinungen wie Fachleute.

Wer auch immer für die Finanzierung herangezogen wird, der Strompreis wird wohl bis 2020 um mindestens ein Drittel steigen. Parallel dazu verschlingt neben der Integration der Erneuerbaren der Netzausbau mit, sagen wir, mehr als 3.000 Kilometer neu zu installierender Stromtrasse, einen größeren zweistelligen Milliardenbetrag, oder war es doch ein dreistelliger?

50 Billionen Euro aus der Rentenkasse für die Energiewende

Insofern wird ein bisschen Anleihenkauf mit dem grünen Geschmacksverstärker einer Bürgerdividende die finanzielle Herausforderung nicht meistern können. Hinzu kommt, dass auch die Experten aus der etwas grüblerisch veranlagten Finanzindustrie derzeit kaum ein Gedankenspiel auslassen. Die Vorschläge für neue Finanzinstrumente reichen von Rentenfonds, Private Equity, Infrastruktur- und Energiefonds bis hin zu Versicherungen. Denn es sucht neben dem Bürger auch viel institutionelles Geld nach lukrativer Anlagemöglichkeit. Bald wird wohl die Allianz & Co. einen Energiefonds der Marke Peter Altmaier auflegen.

Der Clou: Auch die professionellen Akteure benötigen den privaten Anleger, um sich zu refinanzieren. Doch die Bürger zeigen sich etwas irritiert, ob ihnen am Ende die nicht ganz so nette Versicherung oder ein Rentenfonds das Geld nicht nur elegant aus der Tasche zieht. Mal ehrlich, es ist schon gewagt, die Energiewende als ebensolch sichere Insel für die Investoren zu verpacken, wie weiland die angeblich völlig sichere Staatsanleihe.

Rechtlich ist das Ganze jedenfalls noch keineswegs in trockenen Tüchern. "Jetzt privates Kapital für die globale Energiewende mobilisieren", so lautet dennoch die Überschrift eines Diskussionspapiers vom Wissenschaftlichen Beirat der Bundesregierung (WBGU), das im September in die fürsorgliche Obhut eben jenes durch die Bürgerdividende vorgepreschten Bundesumweltminister Peter Altmaier gelangte.

Der Bericht vom WBGU lässt sich so pointieren: Man könne doch die rund 50 Billionen Dollar an privater Altersvorsorge, die Sparer bei Versicherungen und Pensionskassen gebunkert hätten, nun auch zum Ausbau der Stromnetze verwenden. Passt das Puzzle zusammen oder droht hier gar eine neue Spekulationsblase?

Aus Investorensicht erschweren gerade jene unkalkulierbaren politischen Rahmenbedingungen den soliden Planungshorizont. Die anhaltende Diskussion um die Kürzung von Einspeisevergütungen oder der ebenfalls in der Debatte stehende nach oben gedeckelte Ausbau einzelner Ressourcen sind dabei nur die Spitze des Eisbergs. Beispiel Offshore-Windenergie: In Deutschland steht mit Alpha Ventus erst ein Testfeld an der Nordsee. Die übrigen Projekte sind verzögert oder stecken in den Genehmigungsverfahren.

Offshore-Windenergie auf rauer See

So macht derzeit das geflügelte Wort "Haftungsrisiko" nicht allein mehr in Expertenkreisen die Runde. Auch die Politik kennt den Begriff. Wenn Stromkabel vom Meer über Land bis zu den bayrischen Verbrauchern verlegt werden, wer bezahlt das denn? Nur die Bayern, die dann auf die Barrikaden steigen? Wie teilen sich die Protagonisten die Verantwortung für die Millionen- und Milliardenbeträge auf, wer haftet letztlich wofür?

Der dazu Ende August vom Kabinett schon einmal abgesegnete Gesetzesentwurf zieht nach Einschätzung von Experten für den Verbraucher jedenfalls wieder einmal deutlich höhere Strompreise nach sich. Die Mehrbelastung pro Haushalt durch die fehlende Offshore-Netzanbindung soll für uns großzügigerweise auf 0,25 Cent je Kilowattstunde oder maximal neun Euro pro Jahr begrenzt sein. Wir sagen artig, danke schön, du liebe Bundesregierung.

Die wichtigste gesetzliche Regelung mit Blick auf die Industrie und die Investoren lautet aber: Bei nicht rechtzeitiger Anbindung oder andauernder Störung einer Leitung soll ein betriebsbereiter Meeres-Windpark ab dem 11. Tag der ununterbrochenen Nichteinspeisung einen pauschalierten Schadenersatz erhalten. Verstehe das, wer will. In den Reihen der Industrie tobt seit Monaten, wenn nicht schon seit Jahren, das reine Chaos, wer wem am Ende den schwarzen Peter zuschieben darf, wenn ein Bauteil nicht geliefert oder wahlweise auch nicht bezahlt werden kann.

Die Bemessungsgrenze für die kleinen Haftungsschäden bei den deutlich verzögerten Offshore-Projekten liegt übrigens bei 90 Prozent der entgangenen Einspeisevergütung nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG). Dabei will der Gesetzgeber die Schadenssumme je Ereignis, um deren Aufteilung sich etwa die Netz- bzw. Verteilnetzbetreiber streiten - bei nicht vorsätzlich verursachten Schäden grundsätzlich auf 100 Millionen Euro begrenzen. Mit diesem Gesamtpaket hofft die Bundesregierung, neue Kraftwerke deutlich rascher als bislang ans Netz zu bringen.

Lediglich von kleinen Investitionshemmnissen zu sprechen, erscheint angesichts dieser nicht nur beim Offshore-Wind zu lösenden Herausforderungen reichlich vermessen. Die Rede ist längst nicht mehr nur von ungelösten Haftungsfragen, sondern auch von Schadenersatzforderungen, mit jeweils bis zu dreistelligen Millionensummen. Über deren Verteilungsschlüssel, so jedenfalls befürchten es Rechtsexperten, könnten sich betroffene Unternehmen nicht zuletzt vor Gericht einigen.

Und auch hier sitzt der Bürger wieder mit im Boot, ob mit oder ohne Bürgerdividende. Auch die Solarbranche scheint für das Gros der professionellen Investoren deutlich riskanter zu sein, mal abgesehen davon, dass der eine oder andere private Anleger mit geschlossenen Fonds nicht den Reibach gemacht, sondern ziemlichen Schiffbruch erlitten haben dürfte.

Verbranntes Kind scheut vielleicht das allzu blendende Licht. Im Solarsektor sind jedenfalls, abgesehen vielleicht von dem einen oder anderen innovativen Forschungsergebnis, die deutschen Modulanbieter kaum mehr als "das" einzige El Dorado anzusehen. Preisverfall, Überkapazitäten, die harte Billigkonkurrenz aus Fernost - und die damit einher gehenden Insolvenzen verunsichern die Investoren, wenngleich Deutschland in der High-Tech-Produktion weiter an der Spitze rangieren dürfte.

Energiegenossenschaften bereiten den Boden

Vergessen wir aber eines nicht: Trotzdem liegt die Bürgerbeteiligung weiter im Trend. Das Volumen, das bisher laut Angaben des Deutschen Genossenschafts- und Raiffeisenverbands (DGRV) in die meist kleineren Projekte der erneuerbaren Energien vor Ort geflossen ist, hat in diesem Jahr die Marke von 800 Millionen Euro überschritten. Damit sind laut DGRV bereits 80.000 Bürger an dezentralen Energievorhaben in der Region beteiligt.

Zwei Drittel der über 500 in den letzten Jahren neu gegründeten Genossenschaften bieten den Einstieg ab einem Mindestbetrag von 500 Euro an, andere setzen die Hürde ab 50 Euro sogar deutlich niedriger. Der Spitzenreiter ist das Land Bayern, gefolgt von Baden-Württemberg und Niedersachsen. 132 Regionen in Deutschland mit 20 Mio. Einwohnern setzen auf die Vollversorgung mit erneuerbaren Energien, darunter die "Energie-Kommune" des Jahres aus Schwäbisch Hall.

Jährlich etwa 10 Milliarden Euro an kommunaler Wertschöpfung steuert der ländliche Raum bei. Kein Wunder also, dass auch die Big Player mittlerweile das Thema entdeckt haben. Das wird sich wohl auch der jetzt die Flucht nach vorne antretende Bundesumweltminister Peter Altmaier gesagt haben: Er hofft bei der pragmatischen Mitte der Gesellschaft ganz einfach auf den Sympathiebonus.

Schließlich kann der "Energiegenosse" durch seine finanzielle Bürgerbeteiligung lokal Einfluss auf die Gestaltung der eigenen Stromversorgung nehmen, so lautet zumindest die Idealvorstellung zur Energiewende von unten, die man ganz oben in den Chefetagen der Big Player jetzt vehement vertreten mag. Wir werden dazu noch so manche Werbekampagne über die Mattscheibe flimmern sehen.

Der finanzielle Black-out ist unwahrscheinlich

Abschließend gilt es, aus Sicht des Bürgerinvestors folgendes festzuhalten: Das große Katastrophenszenario mit Stromausfällen und dem Black out in der kalten Winternacht scheint weit überzogen. Das Beispiel Japan hat gezeigt, wenn alle Atommeiler kurzfristig mal vom Netz genommen sind und die Bürger parallel dazu Strom sparen, dass es trotzdem weiter Strom aus der Steckdose geben kann. Wer hätte das gedacht.

Derartige Horrormeldungen, inmitten der zappendusteren und bitterkalten Nacht in unseren Breitengraden, sie dienen vor allem den großen Spielern dazu, die notwendigen Gelder für den Ausbau möglichst geschickt einzutreiben, um so die Kosten von Netzausbau, Infrastruktur und neuen Kraftwerken auf die ganze Gesellschaft umzulegen.

In dieses Bild passt die von Peter Altmaier ins Spiel gebrachte Bürgerdividende für die Energiewende hervorragend. Mit einem derartig intelligent eingefädelten Testballon kann man schon einmal ausloten, wo beim kritischen Bürger die Schmerzgrenze liegt, aber auch, ob der andere Teil der Anlegerschaft bereit ist, die Energiewende zum ebenso kalkulierbaren wie lohnenden Investment umzudeklarieren.

Lothar Lochmaier arbeitet als Freier Fach- und Wirtschaftsjournalist in Berlin. Im Mai 2010 erschien sein Telepolis-Buch: Die Bank sind wir - Chancen und Zukunftsperspektiven von Social Banking. Er betreibt das Weblog Social Banking 2.0