Wie bei einer Liebesbeziehung

Manuel Bauer war erst Jungpionier in der DDR und dann Neonazi. Mit Mitte 20 stieg er aus. Nun ist seine Autobiografie erschienen

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In Unter Staatsfeinden - Mein Leben im brauenen Sumpf der Neonaziszene schildert Manuel Bauer seine glückliche Kindheit in einem Dorf in der damaligen DDR, das harmonische Familienleben zu Hause und den Zusammenbruch seiner Welt, als er zehn Jahre alt war.

Gegen 1992 tauchte der erste Junge mit Glatze in seiner Schule auf, bald wurden es mehr, und die "Wahlplakate der rechtsextremen Parteien trafen exakt den Nerv der Landbevölkerung [...] obwohl es in Polbitz und Dommitzsch so gut wie keine Ausländer gab". "Der Hass", so Bauer, "war da, bevor die Ausländer ankamen". Die Glatzen galten als cool, er wollte cool sein - kein Punk. Er bekam eine Kassette der inzwischen aufgelösten Rechtsrock-Band Störkraft, ließ sich die Haare abrasieren und wandte sich der rechten Szene zu. Dort blieb er bis zum Jahr 2006, also etwa zehn Jahre lang.

Bauer war der Darstellung zufolge Kameradschaftsführer, Gründer einer Wehrsportgruppe namens Racheakt und einer Gruppe namens Bund Arischer Kämpfer. Nach Gewalttaten und Erpressungen wurde er von seinen damaligen Kameraden belastet und kam ins Gefängnis. Dort begann er mit der Hilfe der Organisation EXIT, die Aussteiger aus der rechten Szene unterstützt, seinen langsamen Ausstieg. Telepolis sprach mit ihm über den Ausstieg und das Leben danach: Ein interessantes Bild, aber auch ambivalent und widersprüchlich.

Herr Bauer, was machen Sie jetzt?

Manuel Bauer: Ich habe seit Anfang 2012 eine Consulting-Firma, Manuel Bauer Consulting. Wir sind fünf Akteure, darunter auch der "Gaggo" aus meinem Buch. Was EXIT Deutschland unter anderem auch an wissenschaftlichen Analysen macht, machen wir in Form von Musikprojekten, Filmprojekten und Theaterstücken. Natürlich begleiten wir auch Aussteiger, aber nur selten.

Leben Sie davon? Oder bekommen Sie staatliche Unterstützung?

Manuel Bauer: Davon lebe ich noch nicht, nein. Ich gehe ganz normal arbeiten, ich bin Zeitarbeiter in der Lebensmittelbranche.

Weiß man bei der Arbeit von Ihrer Vergangenheit?

Manuel Bauer: Ja, doch, da kam schon nach und nach mal eine Frage. Aber ich habe vorher mit dem Geschäftsführer drüber gesprochen, denn in den letzten Jahren gab es natürlich auch negative Überraschungen: Einmal wurde ich nach einer Woche vom Betriebsleiter ins Büro gerufen, wo man mir deutlich gemacht hat, dass ich aufgrund meiner Vergangenheit eventuell für Spannungen sorgen könnte und dass man das nicht riskieren möchte. Und weil ich Leiharbeiter war, wurde ich halt abgemeldet in der Firma.

In Ihrem Consulting-Team ist mit Gaggo ja auch ein alter Freund aus der Zeit, bevor Sie Neonazi wurden. Hat diese Freundschaft Ihre "rechte Zeit" überdauert?

Manuel Bauer: Nicht ganz: Das gab Unterbrechungen. Wir sind im Streit auseinander gegangen. Und erst seit etwas mehr als einem Jahr haben wir wieder Kontakt. Und am Anfang war das auch eher bedingt, man hat sich ganz langsam und vorsichtig wieder vorangetastet.

Weil Ihre früheren Freunde Ihre Rückkehr ins bürgerliche Leben und ins, wie man sagen könnte: normale Denken, oder: nicht mehr rechtsextreme Denken nicht so geglaubt haben?

Manuel Bauer: Ja, erst mal das. Und zweitens hatte ich Kontakte zu Leuten, die nicht rechts waren, nach und nach abgebrochen. Aber Daniel Schulz, also sprich: der Gaggo ließ mich nicht einfach fallen, er war hartnäckig, und er hat mir auch etwas bedeutet.

Warum?

Manuel Bauer: Ja, freundschaftlich ... weil wir uns seit Ewigkeiten kannten, er kam wunderbar mit meinen Eltern aus, ich war oftmals auch bei ihm zuhause und bin wunderbar mit seinen Eltern ausgekommen, also das war eine richtige Herzensfreundschaft.

Rückblick: Partnerschaft mit einem Neonazi

Sie beschreiben in Ihrem Buch, wie Sie Ihre spätere Ehefrau kennen gelernt haben. Damals waren Sie in der Neonazi-Szene aktiv. Haben Sie Ihre Ansichten vor Ihrer Freundin damals geheim gehalten?

Manuel Bauer: Nein, ich bin damit auch offen umgegangen. Ich habe meine Freundin überall mitgenommen, wenn sie mitgehen wollte. Aber sie hat von den Leuten nichts gehalten und meine Leute auch eher weniger von ihr. Aber wir haben wohl gehofft oder auch damit gerechnet, dass sie vielleicht doch in die Szene mit reinkommt, dass wir sie umstimmen können. Aber sie hat halt ihre eigene Meinung gehabt.

Haben Sie die Diskussion um Nadja Drygalla verfolgt: Die Ruderin, die von den Olympischen Spielen abreiste?

Manuel Bauer: Eher oberflächlich.

Ein häufiger Tenor in der medialen Berichterstattung war, dass sie selber Schuld ist, wenn sie mit so jemand zusammen ist, und dass sie wahrscheinlich selber diese Ansichten auch hat.

Manuel Bauer: Das würde ich jetzt selber so nicht sagen, dass sie selber schuld ist. Es gibt da zwei Ansichten. Das war ja auch wie bei meiner damaligen Freundin oder heutigen Frau. Als Nazi fand sie mich einfach Scheiße, meine kompletten Ansichten, Denkweisen. Aber ich hab mich stets und ständig immer bemüht, ihr immer Freuden zu machen. Und das hat sie an mir halt geliebt. Da hat sie mir auch das Gefühl vermittelt, dass ich trotzdem ein Mensch bin, egal, was ich für Ansichten hab, und dass ich da irgendwann auch wieder wegkomme. Und wenn ich wirklich total beschissen gewesen wäre, sag ich mal mit meinen Worten, dann hätte sich meine Freundin auch gar nicht auf mich eingelassen.

Seit wann sind Sie jetzt zusammen?

Manuel Bauer: Wir haben uns kennen gelernt im Jahr 2000. Im Jahr 2001 bin ich inhaftiert worden. Sie trennte sich von mir und zog nach Süddeutschland. 2006 kam es erneut zum Kontakt. Später kamen wir wieder zusammen und heirateten 2008.

Sind Kinder da?

Manuel Bauer: Nein. Unter solchen Umständen möchte ich auch nicht wirklich Kinder in die Welt setzen.

Umständen? Sie haben ja geschrieben, dass es auf rechtsextremen Websites Hass-Aufrufe gibt und dass wohl auch in der Neonazi-Szene nach Ihnen gesucht wird, um Ihnen was zu tun?

Manuel Bauer: Auch ... Genau... Unter anderem deswegen halte ich meine Frau weitestgehend aus den Medien raus. Sie war nur einmal vor der Kamera, sonst nie, und möchte auch nicht mehr vor die Kamera treten.

Sie fürchten sich vor Racheakten?

Manuel Bauer: Ich bin nicht der einzige Aussteiger, nach dem da gesucht wird, es gibt viele Aussteiger, und so ziemlich jeder hat Übergriffe zu befürchten.

Wie ging der Ausstieg aus der rechten Szene vor sich?

Wenn ich das richtig nachvollziehe, geschah Ihr Ausstieg sozusagen in zwei Phasen. Erst im Knast, da haben Sie auch mit EXIT gesprochen. Danach aber gingen Sie nochmal in die braune Szene zurück, und erst dann haben Sie sich richtig davon entfernt. Wie bei einer Liebesbeziehung, wo man ja auch manchmal zwei Anläufe braucht für die Trennung.

Manuel Bauer: Ja, genau. Das hat sehr viel mit emotionalen Aspekten zu tun, denn man muss immer bedenken: Dieses rechtsextreme Lebensgefühl, der Sprachgebrauch, die Erinnerungen, die fesseln einfach an die Leute. Ich habe letztendlich alle Freundschaften, das ganze Vertrauen irgendwo abgeben. Es war vorher auch nicht so gewesen, dass ich aufgestanden bin mit dem Gedanken: Ey, heut klatsch ich ein paar Zecken weg, ja? Es gab natürlich auch mal Tage, an denen nichts war. Wo man einfach mal zusammen irgendwo hingefahren ist, wo man abends in einer Kneipe gesessen hat, ohne dass es da irgendeinen Vorfall gab. Oder die Sonnenuntergänge an der Elbe. An sowas erinnert man sich und das bindet halt auch. Und das bedenken Viele nicht. Das zu verlassen ist mir sehr, sehr schwer gefallen.

Wie lange hat diese zweite Phase der Trennung gedauert?

Manuel Bauer: Also insgesamt etwa drei oder vier Jahre; als Freigänger hatte ich ja noch Kontakt zu meinen damaligen Kameraden gehabt.

Warum hat das so lange gedauert?

Manuel Bauer: Ich hab immer Gewissensbisse gehabt. Ich hab auch mit ganz Wenigen darüber gesprochen, dass ich im Kontakt mit EXIT stehe - ich hab das so ausgelegt, dass ich mehr oder weniger dazu gezwungen wurde, was natürlich nicht so war. Aber das war Selbstschutz, ich wollte meine Freunde, mein Leben halt nicht wegschmeißen. Ich hab das damals so gesehen: Wenn ich meine Gesinnung, die Bewegung, meine Freunde verlasse, dann schmeiße ich mein komplettes Leben weg: Was hab ich dann? Und wen hab ich dann?

Andererseits liefen ja die interessantesten Gespräche mit EXIT im Knast darüber, dass Ihre Freunde Sie so im Stich gelassen und Sie nie im Gefängnis besucht hatten und solche Dinge.

Manuel Bauer: Ja, richtig. Aber ich wollte nicht die ganze Bewegung verurteilen: Das waren nur die Einzelnen.

... und wie der Einstieg in die Demokratie?

Wenn man eine ganze Bewegung und so ein Gedankengebäude aufgibt, dauert das - und irgendwann etwas Neues aufzubauen, das dauert ja auch, oder?

Manuel Bauer: Ja. Es ist auch verdammt schwierig, etwas Neues aufzubauen. Wenn ich mir andere Meinungen angehört hab, hab ich oftmals "ja" gesagt, obwohl ich anders gedacht habe. Denn ich war in der ersten Zeit nie wirklich überzeugt. Immer wieder hab ich dann gedacht: Gut, ok, das sagt er, weil er das sagen muss, weil er so erzogen wurde, von den Demokraten. Und es war verdammt schwierig, die neue Denkweise dann erst mal anzunehmen. Und die Denkweise anzunehmen ist das eine, aber die Gefühlssache ist dann nochmal etwas ganz anderes.

Was ich schade finde: Viele denken immer, ich bin jetzt DER überzeugte Sozialdemokrat. Ich bin überzeugter Demokrat, definitiv, Demokratie ist das beste, was es gibt. Aber es gibt natürlich auch Aspekte, so wie überall, die ich auch in Frage stelle ...

Zum Beispiel?

Manuel Bauer: Die Solidarität. Ein ganz blöder Fall: Krankenkassen. Ich habe vor kurzem einen Familienvater kennen gelernt, der hat mit "rechts" nie was zu tun gehabt, aber er hat arge Probleme mit seiner Krankenkasse aufgrund seines geistig beeinträchtigten Sohnes. Das ist ein Kampf seit sechs Jahren. Er ist fertig, er ist einfach nur fertig. Und dann sagt der: "Wissen Sie, ich hab nie mit den Rechten was zu tun gehabt, aber wenn ich die Parolen höre: Da ist was Wahres dran." - Und einfach nur aus Trotz würde er schon die Rechten wählen. Einfach nur aus Trotz! Denn er fühlt sich von der Politik und der Krankenkasse im Stich gelassen und hat das Gefühl, sein Sohn steht auf verlorenem Posten.

Aus Trotz gegen die Krankenkassen? Und was sagt man so jemand?

Manuel Bauer: Es wird immer rechtes Gedankengut geben, man kann es nicht ausschalten. Aber was man auf jeden Fall machen kann, das hab ich an mir erlebt, dass man auch auf die vermeidlichen politischen Feinde zugeht, sie hinterfragt, auch mal den Mund hält und sich alles anhört. So hab ich gelernt. Und dann kann man das Gedankengut entwerten. Wenn jetzt die Rechten sagen, oh, Neonazis, die sind gegen Kinderschänder, gegen Hartz IV - das sagen auch normale Menschen. Und da muss man klar und deutlich sagen: Ey, ich bin auch gegen Hartz IV, aber ich zähl mich nicht zu den Rechten. Die Rechten haben das bloß übernommen.

Wie riskant ist der Ausstieg?

Sie gehen davon aus, dass Sie körperliche Angriffe zu befürchten hätten?

Manuel Bauer: Ja, davon ist auszugehen. Mittlerweile ist die Öffentlichkeit auch einer meiner größten Schutzfaktoren. Aber trotz allem wird das Einige nicht abhalten, da körperliche Gewalt auszuüben.

Kennen Sie jemand, der angegriffen wurde?

Manuel Bauer: Ja, doch, unter anderem Aussteiger bei Exit, oder andere Aussteiger, wo man das mitbekommt, wenn man sich mit denen unterhält. Manchmal manifestiert sich auch die Antifa. Und in meinem Fall gab es starke Spannungen, als ich in einer Firma war mit sehr hohem internationalen Klima arbeitete. Da gab es einige Menschen mit türkischem Hintergrund, die mich absolut nicht leiden konnten.

Sie beschreiben ja mehrere Straftaten, an denen Sie teilgenommen haben, zum Beispiel im Spätsommer 1998 einen Brandanschlag auf einen Dönerwagen am Bahnhof Beilrode. Dann den Überfall auf die türkische Hochzeit, als 15 Gäste verletzt wurden. Einem Kollegen von der Welt fiel auf, dass es anscheinend keine Akten mehr zu diesen Straftaten gibt. Aber Sie schreiben, dass die Zeitungen berichtet hätten. Können sie mir die Zeitungsnamen sagen?

Manuel Bauer: Das habe ich auch bloß von jemand aus Magdeburg, oder aus Loburg: Der hat mir mal gesagt, dass die Zeitung drüber geschrieben hat. Ich selber habe das damals nicht gesehen. Es war mir auch relativ egal, meine einzige Befürchtung war, dass eventuell Namen genannt werden. Zudem werden nach einer bestimmten Zeit Straftaten bzw. Akten bei Seite gelegt bzw. nach Verjährungsfristen aus den Akten gelöscht.

Systematische Desinformation des Staates und des Verfassungsschutzes mit Hilfe von V-Leuten

Sie beschreiben am Schluss die systematische Desinformation des Staates und des Verfassungsschutzes mit Hilfe von V-Leuten, die in der Regel rechts seien.

Manuel Bauer: Teilweise, nicht immer, ja.

Wie viele V-Leute haben Sie kennen gelernt?

Manuel Bauer: Ich selber habe keinen kennen gelernt, ich kann mich aber an eine Party erinnern, und zwar in der Nähe von Torgau bei Beilrode. Ich bin zwei, drei Stunden vorher losgefahren mit einem Kameraden. Diese Party wurde dann von der Polizei gesprengt. Und nun hatten wir den Verdacht, dass eine bestimmte Person, ein Mädel, mit der Polizei zusammenarbeitet: Die sollte ein V-Mann sein.

Aber Sie schreiben, dass die V-Leute in der Regel rechts waren.

Manuel Bauer: Es gibt V-Leute, wenn die angeworben wurden, hatten sie schon mehrere Strafdelikte. Und bevor das rauskommt, sprechen sie das mit der Kameradschaft durch. Dann kann man natürlich in Erwägung ziehen: Mensch, ok, wenn dieses System uns schon irgendwie ausrotten möchte, mit unseren eigenen Informationen, dann geben wir denen einfach ab und zu mal Ware, kleine Informationen, sodass Behörden nicht wirklich etwas anfangen können, aber man sahnt das Geld ab und kann das dann innerhalb der Kameradschaft investieren. Man achtet bei solchen Informationen darauf, dass die Kameraden keine schwerwiegenden Konsequenzen davon tragen.

Aber woher wissen Sie das, wenn Sie keine V-Leute kannten?

Manuel Bauer: Das ist allgemein bekannt in der rechten Szene. Zum anderen ist es aber auch so, dass Leute, die aussteigen wollen und mit sich selber nicht einig werden, wirklich Informationen durchsickern lassen.

Tipps für Zeugen

Eine Frage noch zum Abschluss: Wenn man irgendwo auf der Straße ist und dann sieht, dass irgendwelche Neonazitypen jemand angreifen: Wie verhält man sich da als unbescholtene Bürgerin oder Bürger?

Manuel Bauer: Auf jeden Fall erst mal die Polizei rufen, laut um Hilfe rufen, Aufmerksamkeit erwecken, die Leute auch ansprechen, dass die da unbedingt zur Hilfe mit eilen sollen, und den Neonazis und den Leuten Bescheid sagen, man hat jetzt grad die Polizei gerufen. Man sollte auch versuchen, sich die Gesichter oder Auffälligkeiten der Angreifer zu merken.

Vielen Dank. Dann wünsche ich Ihnen alles Gute!

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