"Mein Papa ist Polizist, was macht er bei der Arbeit?"

Eine Bürgerrechtsorganisation aus Belarus übt Kritik an deutscher Polizeihilfe zur Unterdrückung der Opposition. Sogar die GSG9 gab einen Einblick in ihre Arbeitsweise

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Mit einer auf den ersten Blick ungewöhnlichen Broschüre protestiert die belarussische Bürgerrechtsorganisation "Nash Dom" gegen die letztes Jahr bekannt gewordene Kooperation deutscher und belarussischer Polizeibehörden (Deutsche Ausbilder trainieren Polizei in Belarus). Unter dem Titel "Mein Papa ist Polizist, was macht er bei der Arbeit?" beschreibt eine Broschüre Fälle von Polizeigewalt. Betroffene kommen mit kurzen Zitaten zu Wort. Die Druckschrift ist in Form eines Ausmalbuchs gestaltet und mit mehreren, aus Knete modellierten Misshandlungssituationen illustriert.

"Nash Dom" prangert vor allem die massive Gewalt gegenüber Frauen an. Politische Aktivistinnen seien von geradezu explodierender Gewalt anlässlich der Präsidentschaftswahlen 2006 und 2010 betroffen gewesen. Neben Schauprozessen seien sie vom Verlust des Arbeitsplatzes ebenso wie von der Versagung von Studienplätzen bedroht. Gegen Verwandte und Kinder würden Drohungen ausgesprochen, ärztliche Betreuung unterbunden und Betroffene zum Selbstmord genötigt.

Beschrieben wird etwa der Fall einer 46-Jährigen, die ihr Festnahmeprotokoll durchliest und dabei unvermittelt auf den Hinterkopf geschlagen wird. Anschließend schleift ein Major der Miliz sie blutend durch den Raum. Eine andere 30jährige Frau verlor nach Misshandlungen ihr ungeborenes Kind. Aufgeführt ist auch der Fall von Jana Polyakova, die 2009 Selbstmord beging. Laut "Nash Dom" wurde sie zuvor von Sicherheitsorganen unter Druck gesetzt und mit einem Prozess wegen Verleumdung schikaniert.

Polizeihilfe zur Bekämpfung unerwünschter Migration und "Cybercrime"

"Nash Dom", die sich selbst als Bürgerrechtsnetzwerk bezeichnen, hat die Broschüre laut einem Einleitungstext hauptsächlich an Polizisten und deren Familien in Belarus verteilt und versendet. Sehr zum Missfallen der Regierung, die mit einer Klage gegen die Aktivistn wegen angeblicher "Propagandierung von Gewalt" reagierte.

Mit der nun auf deutsch vorliegenden Übersetzung des Büchleins reagiert "Nash Dom" auf Presseberichte zur Kooperation weißrussischer und deutscher Behörden: Von 2008 bis 2011 hatten deutsche Polizisten rund 500 Kollegen aus Weißrussland in Einsatztechnik und Strategien unterwiesen. Zur Unterstützung gehörte auch die Lieferung von Computern und Fahrzeugen.

Das Bundeskriminalamt (BKA) organisierte Workshops in Minsk zur "Operativen Analyse", in denen "Grundlagen und Methoden der polizeilichen Informationsverarbeitung" illustriert wurden. Angehörige verschiedener Polizeieinheiten bekamen die Software "Analyst's Notebook" vorgeführt, die Beziehungen zwischen Personen, Sachen und Orten ermitteln soll. Das Programm sucht in verschiedenen polizeilichen Datensätzen nach Übereinstimmungen oder Auffälligkeiten. Die Schulungen wurden unter anderem auch in Aserbaidschan, Georgien, China und der Türkei abgehalten.

In einer kürzlich vorgelegten Antwort auf eine Kleine Anfrage hatte die Bundesregierung die Kooperation erneut umrissen. Demnach sei die "(grenz-)polizeiliche Ausbildungs- und Ausstattungshilfe ein wichtiger Bestandteil der sogenannten Vorverlagerungsstrategie". Bekämpft werden solle etwa "Rauschgiftkriminalität", "internationaler Terrorismus", "Menschenhandel/ Schleusung", aber auch "Cybercrime". Maßgeblich sei, ob die Hilfe für ein Empfängerland erkennbare "polizeirelevante Auswirkungen" auf die Bundesrepublik hätten.

Miliz setzt "Fachkenntnisse" gegen die Zivilbevölkerung ein

Die konkrete Zusammenarbeit wurde zwischen dem Bundesinnenministerium, dem Auswärtigen Amt und der deutschen Botschaft in Minsk abgestimmt. Von deutscher Seite sind das Bundeskriminalamt und die Bundespolizei in die Kooperation involviert. Weitere Unterstützung wurde vom Inspekteur der Bereitschaftspolizeien der Länder koordiniert. Beteiligt war Sachsen, Niedersachsen und Baden-Württemberg (Weißrussische Polizisten hospitierten bei Naziaufmarsch in Dresden).

Die Partner auf belarussischer Seite waren die Leitung des Grenzkomitees für die grenzpolizeiliche Zusammenarbeit und das Innenministerium. Auch Spezialeinheiten hatten ihren Spaß: Im August 2010 wurden vier Stabsoffiziere des Grenzschutzes bei der GSG 9 fortgebildet. Neben "Führungs- und Einsatzmitteln" wurden auch Auswahlverfahren der Truppe vorgestellt. Die dabei vermittelten Kenntnisse wollen die Grenzwächter zur Bekämpfung "illegaler Migration" nutzen. Die Grenztruppen bilden eine eigene Behörde, die nicht dem Innenministerium untersteht.

"Nash Dom" kritisiert aber vor allem die Polizeihilfe für Offiziere der gefürchteten Miliz, deren Anzahl demnach mit der Wahl Lukashenkos seit 1994 auf Rekordhöhe stieg. Ihre Aufgabe sei es, "die Interessen der autoritären Macht des Präsidenten" zu sichern. Von deutschen Polizisten vermittelte "Fachkenntnisse" würden von den Milizen gegen die Zivilbevölkerung eingesetzt. "Nash Dom" führt vor allem ihren Nutzen für politisch motivierte Verfahren an.

Das Interesse an der Sicherheitszusammenarbeit mit Belarus wuchs mit der ab 2009 von der EU begonnen "Östlichen Partnerschaft", die zur "Europäischen Nachbarschaftspolitik" gehört. Hierzu hatte die EU beispielsweise 2011 an der belarussisch-ukrainischen Grenze ein Projekt zur "Erhöhung der Sicherheit der grünen und blauen Grenze" im Gesamtumfang von 2,6 Millionen Euro finanziert. Das meiste Geld wurde für die technische Aufrüstung der Grenzanlagen aufgewendet.

Lukashenko bezeichnet Abschiebegefängnisse als "Konzentrationslager"

Die Broschüre "Mein Papa ist Polizist, was macht er bei der Arbeit?" kritisiert die Zusammenarbeit der Polizeibehörden als Doppelmoral, die die Glaubwürdigkeit westlicher Regierungen in Frage stellt. Tatsächlich setzt sich Deutschland auf EU-Ebene für Sanktionen gegen das Regime ein (Mehr Geld oder mehr Migranten?). Doch auch die Europäische Union spielt ein doppeltes Spiel: Parallel zu den Einreiseverboten gegen 242 Angehörige der Regierung wird ein Abschiebeabkommen verhandelt. In der EU unerwünschte Migranten würden nach erfolgreichem Abschluss in Gefängnissen untergebracht, die Präsident Lukashenko selbst als "Konzentrationslager" bezeichnet.

Immer wieder betont die Bundesregierung, die Polizeihilfe solle die belarussische Polizei "an rechtstaatliche Normen" heranführen oder eine "Deeskalation" polizeilicher Lagen dokumentieren. Dabei werden deutsche Taktiken im Umgang mit unerwünschten Protesten vermittelt: Polizisten agieren beispielsweise im Nahfeld von Demonstranten. Beliebte Maßnahmen sind schikanierende Vorkontrollen bei politischen Versammlungen, das anlasslose Abfilmen der Teilnehmer, sogenannte "Wanderkessel" und Greiftrupps, um Teilnehmer niederzuschlagen und aus der Menge heraus gezielt festzunehmen.

Die Bundesregierung erklärt nicht, wieso ausgerechnet die Hospitation bei der Anti-Nazi-Demonstration in Dresden oder den Protesten gegen den Transport von Atommüll ins Wendland zur Vermittlung von Deeskalation, Kommunikation oder Verhältnismäßigkeit geeignet seien: Beide Massenproteste gerieten wegen brutaler Polizeiübergriffe und der Kriminalisierung von Demonstranten in die Kritik. Im Wendland hatte die Polizei eine Drohne eingesetzt, und in Dresden Teilnehmer mit einer beispiellosen Dimension durch Funkzellenabfragen ausgeforscht.

Die deutsche Polizeihilfe soll vor allem die zukünftige gemeinsame Migrationsabwehr, etwa nach erfolgreichem Abschluss des EU-Abschiebeabkommens, einfädeln. Wie wenig zimperlich aber auch deutsche Polizisten im Gewahrsam gegen unliebsame Migranten vorgeht, hatten Aktivisten des Filmkollektivs leftvision sowie das Magazin frontal21 am Dienstag dokumentiert: In den Beiträgen kommen Flüchtlinge zu Wort, die Misshandlungen nach einer Protestaktion in der nigerianischen Botschaft berichten. Betroffene seien demnach von Berliner Polizisten in ihren Zellen geschlagen und mit dem Tod bedroht worden. Die Berliner Polizei schweigt zu den Vorwürfen. Die Herausgeber der Broschüre "Mein Papa ist Polizist, was macht er bei der Arbeit?" haben wohl Recht, wenn sie nicht nur eine Demokratisierung in Belarus einfordern. Denn diese benötige "nicht nur Veränderungen im Land selbst, sondern auch mehr Transparenz und Demokratie in Europa".