Griechenland: Vorsicht Polizei!

Außer der Staatspleite beschäftigt die Griechen ein weiteres Thema: die immer stärker um sich greifende Gewalt

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Einerseits übernimmt die Chryssi Avgi mehr und mehr in Eigenregie Polizeiaufgaben, ohne dass die wirkliche Polizei eingreift. Anderseits wird vermehrt über Polizeiwillkür berichtet, ohne dass die Justiz wirksam ihre Aufgaben übernimmt (Griechische Faschisten mit Polizisten im "Bürgerkrieg" gegen Migranten). Nun bemüht der Minister für Bürgerschutz gar selbst die Justiz. Er möchte gegen Journalisten vorgehen, die Polizeigewalt anprangern. Minister Nikos Dendias hat dabei, so versicherte er im Parlament, unter anderem den Guardian im Visier. Die Beamten selbst gehen mal wieder auf die Straße, sie wehren sich gegen Gehaltskürzungen.

Mitglieder der Chryssi Avgi kontrollieren in Trupps und eigenmächtig Markt und zerstören angeblich illegale Stände. Bild: Chryssi Avgi

Bürger, Journalisten oder Theaterbesucher müssen schweigen, wenn sie nicht von Anhängern der Rechtsextremen oder sonstigen Fanatikern bedroht oder geschlagen werden wollen. Die Polizei steht bei solchen Aktionen meist daneben und beobachtet die Situation.

Unabhängig davon, ob ein Theaterstück den landesüblichen Sitten entspricht oder gar an die Grenze zur Blasphemie reicht, ist es zumindest denkwürdig, wenn massive Polizeikräfte schlicht ignorieren, dass in ihrer Gegenwart Bürger aber auch anwesende Journalisten von wütenden Horden beschimpft und verprügelt werden. Mehr als seltsam erscheint es jedoch, wenn einer der wenigen festgenommenen Randalier von einem Parlamentsabgeordneten einer rechtsnational ausgerichteten Partei buchstäblich aus den Fängen der erneut lediglich beobachtenden Polizei befreit wird. In Griechenland lebende Journalisten sollten eine Partei, die sich als nationalistisch und sozial ausgerichtet gibt, tunlichst nicht als Nazis bezeichnen. Denn dagegen, man ahnt es schon, möchte die Partei mit Schadensersatzklagen vorgehen. Denn dies wäre in den Augen der Parteiverantwortlichen eine Diffamierung.

Wer dagegen in Griechenland an einer in Gewaltorgien mündenden Demonstration teilnimmt und sich mit einem Halstuch oder Ähnlichem gegen das Tränengas wappnet, sollte damit rechnen, dass die resultierende Vermummung kriminell ist und auch so gewertet wird. So besagt es eine 2009 eingeführte Regelung, die erneut verschärft werden soll. Es hilft im Zweifelsfall nicht zu argumentieren, dass man mit dem Tuch nur den Ort des Krawalls verlassen wollte.

Es hilft auch nicht, dass durch zahlreiche Presseveröffentlichungen nachgewiesen wurde, dass die Eskalationen bei griechischen Demonstrationen so gut wie immer von der gleichen Gruppe von Demonstranten ausgehen und bei um 11 Uhr beginnenden Generalstreikprotestzügen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zwischen 13:30 h und 14:15 h beginnen. Wahlweise starten die Molotowcocktail-, Stein- und Blendgranatwürfe auf dem Syntagmaplatz an der Ecke der Philellinonstraße mit dem Finanzministerium oder knapp hundert Meter aufwärts unterhalb des Costa Cafe. Es wäre für jeden Polizeibeamten ein Leichtes, die einschlägig bekannten Aufrührer frühzeitig dingfest zu machen. Es geschieht jedoch nie.

Stattdessen finden im Vorfeld der Demonstrationen umfangreiche Kontrollen statt. Dabei erwischt es natürlich sehr oft Fotografen und sonstige Medienvertreter, die Ausweise vorzeigen, Taschen öffnen, Kameras präsentieren dürfen und erklären müssen, für welches Medium sie gerade unterwegs sind. Einige Beamte interessiert darüber hinaus auch, was für Aufnahmen sich bereits auf der Chipkarte befinden. Wie der Zufall es will, kommen durch dieses dichte Kontrollnetz regelmäßig Molotowcocktails, Steinschleudern und Vorschlaghämmer - die übliche Bewaffnung der Randalierer - durch.

Zur Ehrenrettung der Polizei sei erwähnt, dass sie bei einem Angriff organisierter Anhänger der besagten rechtsextremen Partei gegen ein Büro der in Griechenland lebenden Einwohner Tansanias am Amerikaplatz durchaus schnell eintrafen und die Randalierer vertrieben haben. Das anlässlich einer Pressekonferenz heimgesuchte und total zerstörte Büro wird nicht mehr eröffnet.

Folter im Gefängnis?

Gegen solche fremdenfeindlichen Aktionen finden natürlich auch Gegendemonstrationen statt. Bei einer dieser Gegendemonstrationen griff am 30. September die Polizei ein und verhaftete fünfzehn Demonstranten. Die Protestierer waren in einem Motorradkonvoi in das "umkämpfte" Stadtviertel Agios Panteleimonas eingedrungen und machten durch Hupen und mit Sprechchören auf sich aufmerksam. Das gefiel den Immigranten, die sich endlich wieder auf die Straße trauten, wurde aber von der Gegenseite nicht goutiert.

Es kam zum Zusammenstoß der Rechten und der Antifaschisten, wobei es zu Verletzten kam. Die Polizei griff ein und nahm die besagten fünfzehn Personen aus einer Gruppe von 150 Antifaschisten in Gewahrsam. Die Verhafteten wurden ins sechste (je nach Zählweise auch siebente) Stockwerk des Athener Polizeipräsidiums verfrachtet und mussten dort in einer für dreißig Personen ausgelegten, für vorläufige Festnahmen gedachten Zelle mehrere Tage zusammen mit weiteren achtzig Personen verbringen. Als sie nach einigen Tagen gegen Kaution wieder auf freien Fuß kamen, berichteten Sie über Polizeifolter.

Vorgeblich am Entlassungstag aufgenommene Fotos mit frischen Wunden sollen dies belegen. Zunächst fanden die mutmaßlichen Folteropfer bis auf Zeitungen des linken Spektrums kein Gehör bei griechischen Medien. Es gab anfänglich lediglich Erwähnungen in Blogs und über Indymedia. Die einheimische Presse wurden erst nach dem Bericht des Guardian aufmerksam. Das wiederum bewegte Dendias zu seiner Klage gegen den Guardian.

Der Minister behauptet, dass die unzweifelhaft bei allen Verhafteten vorliegenden Verletzungen allesamt aus dem Streit mit den Rechtsextremen und dem Widerstand gegen die Staatsgewalt bei der Verhaftung stammen würden. Wieso keiner der rechten Schläger in einer Zelle oder gar vor dem Kadi landete, darauf ging Dendias nicht ein und wurde offensichtlich auch nicht gefragt. Solche und ähnlich brennende Fragen lagen dem britischen Journalisten Paul Mason auf der Zunge. Er kam jedoch nicht zum Zug, worüber er sich per Twitter beschwerte.

Mason setzte auf den Bericht des Guardian einen drauf und zeigte in einem BBC-Fernsehbericht, dass nach Ansicht von Ilias Panagiotaros, einem führenden Abgeordneten der Chryssi Avgi, bereits ein Bürgerkrieg vorliegt. Mittlerweile aber meint Panagiotaros, dass er dies, was im BBC-Video unüberhörbar und unzweifelhaft gesagt wurde gar nicht so meinte. Fast schon rechnete man in Griechenland mit einer Klagedrohung, falls jemand behauptet, dass Panagiotaros die strittigen Worte über den Bürgerkrieg gesagt habe. Paul Mason seinerseits dementierte wiederum Panagiotaros, der vor und auch während seines Abgeordnetendaseins seinen Lebensunterhalt mit einem Militariashop und Ausrüstungsgegenständen für die Polizei bestreitet.

Nicht gerichtsfest belegte Folterberichte gibt es übrigens nicht nur von den fünfzehn Verhafteten. Ebenso wie zahlreiche Fotos, Videos und Berichte belegen, dass ein Teil der Polizei durchaus affin für rechtsextreme Ideen zu sein scheint. Vor allem im Athener Stadtteil Agios Panteleimonas berichten zahlreiche Anwohner davon, dass sie von offiziellen Polizeistellen für zahlreiche Anliegen einen Tipp kriegen: "Das ist schwierig für uns, rufen sie doch die Chryssi Avgi an." Was Minister Dendias dazu sagt, ist mangels Fragemöglichkeit nicht bekannt.