Griechenland: Pressefreiheit S.O.S.

Der vergessliche Ex-Finanzminister Giorgos Papaconstantinou. Bild: W. Aswestopoulos

Tagesbefehl: "Hinter Gitter mit jedem, der es wagt, die Wahrheit zu schreiben!"

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Am Wochenende wurde der Journalist Kostas Vaxevanis von der Polizei gesucht und offensichtlich geradezu gejagt. Sein Vergehen war es, eine Liste mit mutmaßlichen Steuersündern in einer Extraausgabe seines Nachrichtenmagazins Hot Doc veröffentlicht zu haben. Die Internetgemeinde reagierte mit einer Petition für die Freilassung Vaxevanis.

Vaxevanis ist nicht das einzige Opfer des scharfen Kurses der Regierung gegen unangenehme Berichterstattung. Der Journalistenverband POESY sieht eine systematische Knebelung der Presse und rief deshalb für Dienstag heute eine Sondersitzung ein.

Von der Liste und ihrer unglaublichen Zirkulation

Die fragliche Liste war von Christine Lagarde, der aktuellen Chefin des IWF und seinerzeitigen französischen Finanzministerin, an den damaligen Finanzminister Georgios Papaconstantinou in Form einer CD übergeben worden. Dieser gab an, er habe die fragliche CD jemandem gegeben, könne sich jedoch nicht erinnern, wer die betreffende Person gewesen sei.

Daraus, dass Papaconstantinou zusammen mit dem damaligen Premier Giorgos Papandreou nach dem Erhalt der Liste zu Besuch bei der HSBC-Zentrale in der Schweiz war und dass seitdem keinerlei Bewegung in der ansonsten propagierten Jagd nach Steuersündern erkennbar war, sei, so Papaconstantinou, nichts Illegales abzuleiten.

Papaconstantinous Nachfolger im Amt, Evangelos Venizelos, hatte als Kopie der Liste einen USB-Stick mit der betreffenden Excel-Datei im Schreibtisch, vergaß es aber, diese an seinen Nachfolger weiter zu geben. Kurzum, Venizelos meinte, er hätte als Minister Wichtigeres zu tun gehabt, als sich um die Liste zu kümmern. Diese hatte er nach ersten Aussagen nicht einmal gesehen. Er wusste seiner ersten Aussage gemäß und nach eigenen Angaben aus einschlägigen Internetblogs, dass dort kaum große Summen im Spiel seien.

Später erinnerte er sich im parlamentarischen Untersuchungsausschuss daran, dass er "drei Griechen jüdischen Ursprungs auf der Liste" gesehen habe. Im Kreuzverhör fiel ihm zudem ein, dass es von der Liste noch einen Ausdruck gäbe. Natürlich konnte sich Venizelos nicht an den Verbleib des Aktenordners erinnern. Venizelos, von Hause aus Verfassungsrechtsprofessor, berief sich zuerst darauf, dass die Liste illegal sei, somit jegliche Kenntnisnahme ihres Inhalts eine verfolgenswerte Straftat wäre, brauchte sich wegen seiner widersprüchlichen Aussagen zunächst keine Sorgen zu machen. Ihn schützt die parlamentarische Immunität.

Angeblich, so beteuern die beiden ehemaligen Chefs der Steuerfahndungspolizei SDOE, Yannis Diotis und Yiannis Kapeleri, hat keiner der beiden Minister je einen Befehl gegeben, die Liste der Steuersünder ausgiebig zu überprüfen. Eigenmächtig meinten die beiden, nicht tätig werden zu müssen. Sie gaben jedoch zu, dass Papaconstantinou für zehn, nach ministerieller Aussage für zwanzig in der Liste befindliche Einträge, "Profile" angefordert habe. Diese seien jedoch nicht für eine Steuerstrafverfolgung gedacht gewesen.

Venizelos noch als vielbeschäftigter Finanzminister. Bild: W. Aswestopoulos

Diotis, Kapeleris und Papaconstantinou sind durch keinerlei Immunität geschützt. Bei Papaconstantinou sind lediglich die im Zuge der Amtsausübung eventuell begangenen Straftaten mit einer schnelleren Verjährung versehen. Diese tritt zum Ende der aktuellen Sitzungsperiode des Parlaments ein. Es gab keinerlei staatsanwaltschaftliche Schnellgerichtsermittlungen gegen einen der ins Listendrama verwickelten Hauptakteure.

Kurzum, die Liste kursierte, so man Venizelos in diesem Punkt Glauben schenken kann, in irgendwelchen Blogs und journalistischen Büros, ohne dass sich seit knapp zwei Jahren irgend eine Behörde ernsthaft mit ihr beschäftigt hätte.

Zudem ist in Griechenland bekannt, dass einige schwarze Schafe unter den Journalisten eine einträgliche Geldquelle in der Erpressung gefunden haben. Die Vorgehensweise ist denkbar einfach. Jemand, der eine kompromittierende Information über eine Person des öffentlichen Lebens hat besucht diese Person und bittet um eine "Spende" für die entgangenen Honorare, die eine Veröffentlichung gebracht hätte.

Darüber hinaus kamen vor allem von Seiten des SYRIZA im parlamentarischen Untersuchungsausschuss zum Schicksal der Liste Beschuldigungen gegen Evangelos Venizelos ans Tageslicht. Dieser habe, so die SYRIZA-Abgeordnete Zoi Konstantopoulou, durchaus Nutzen aus der Liste ziehen können. Denn schließlich stünden, mittlerweile bestätigten Gerüchten zu Folge, unter anderem reiche Unternehmer sowie Medienmogule auf der Liste. Mindestens einer von ihnen hatte Venizelos im Wahlkampf unverblümt und offen unterstützt.

Plötzlich soll Veröffentlichung der Liste durch Kostas Vaxevanis eine Straftat sein

Die fragliche, angeblich verschwundene Liste, die vom aktuellen Finanzminister Yannis Stournaras erneut in Frankreich angefordert wurde, aber immer noch nicht geliefert wurde, gelangte von einem nicht näher benannten Mitarbeiter des griechischen Finanzministeriums an Kostas Vaxevanis. Dieser reagierte sofort und engagierte Rechtsexperten. Zwei hochrangige Justizwissenschaftler bescheinigten ihm, dass die Veröffentlichung einer reinen Namensliste ohne Angabe weiterer Kontodaten und mit dem Zusatz, dass aus der Nennung keine Rückschlüsse auf die Steuermoral der Eingetragenen genommen werden könnten, im öffentlichen Interesse und somit legal sei.

Vaxevanis nahm Stichproben vor. Er rief in der Liste genannte Personen an und bat um eine Stellungnahme. Dabei wurde ihm bestätigt, dass die betreffenden Personen bei der schweizerischen HSBC Konten unterhielten. In einer am Samstag erschienenen Sonderausgabe seiner Zeitschrift Hot Doc veröffentlichte er daher die Liste, samt ihrer Vorgeschichte und einer Kurzfassung der beiden Rechtsgutachten.

Schon vor dem offiziellen Erscheinungstag hatten sich "Kollegen" von Vaxevanis die in der Nacht vorher verkauften Exemplare der ersten Auflage geschnappt, diese gescannt und im Internet veröffentlicht. Niemand dachte dabei an eine Straftat. Makis Triantafyllopoulos twitterte, dass die auf seiner Webseite zougla.gr veröffentlichten Scans keine Urheberrechtsverletzung, sondern vielmehr Werbung für seinen Kollegen darstellen würden.

Vaxevanis erlebt die Freiheit hinter Gittern. Bild: W. Astwstopoulos

Vor knapp einem Monat hatte die Zeitung Ta Nea zudem die deklarierten Einkommen der griechischen Popstars veröffentlicht. Die Journalisten hatten sich der Datenbank des Finanzministeriums bedient. Trotz des Protests der Sangesstars griff kein Staatsanwalt ein. Ohne juristische Konsequenzen blieb die Praxis des Gesundheitsministeriums, HIV-infektionsverdächtige Prostituierte oder Personen, die man für Prostituierte hielt, zu fotografieren, einzusperren und sämtliche persönliche Daten im Internet zu veröffentlichen (Wie Einwanderer zu "wandelnden Krankheitsbomben" werden). Glaubt man den Gerüchten der Szene, dann erwiesen sich in mindestens einem Fall die anfänglichen Vorwürfe als falsch.

Im öffentlichen Interesse, so befanden die Staatsanwälte, ist es auch, wenn Fotos von im Rahmen von Demonstrationen Verhafteten, samt Namen, Alter und Adresse auf Internetseiten der Polizei gepostet werden. Denn nur so kann, meint die Polizei, herausgefunden werden, welche Straftaten die Verhafteten noch angestellt haben könnten. Kurzum, Vaxevanis fühlte sich auf der sicheren Seite, irrte jedoch (Mutmaßliche griechische Steuerflüchtlinge erhalten "Polizeischutz"). Die Athener Staatsanwaltschaft wurde ohne Anzeigestellung einer weiteren Person selbst tätig und wirft Vaxevanis ein Offizialdelikt vor. Dieser habe die persönlichen Daten der HSBC-Kontoinhaber missbräuchlich verwendet.

Venizelos drohte Vaxevanis

Kostas Vaxevanis hatte einst im griechischen öffentlich rechtlichen Rundfunk eine Reportagesendereihe mit überaus hohen Einschaltquoten. Wann immer er "To kouti tis Pandoras", also die Büchse der Pandora, öffnete. Vaxevanis legte sich mit seinem investigativem Journalismus mit Rotlichtgrößen,Maut abzockenden Straßenbaufirmen und zahlreichen Politikern an. Statt einer Sendereihe öffnet er aktuell seine Büchsen im Internet.

Er hatte sich im Fernsehen mit Evangelos Venizelos angelegt und über dessen persönlichen Reichtum referiert. Venizelos erinnerte den Journalisten in drohendem Tonfall, "Sie arbeiten für einen Staatssender und werden vom griechischen Volk bezahlt." Vaxevanis Sendereihe ist seitdem ausgesetzt worden.

Olga Tremi gegen Vaxevanis

Unerschrocken hatte sich der Journalist auch mit Olga Tremi, der Anchorfrau des Senders Mega TV, dessen Mehrheitsaktionär auf der besagten Liste zu finden ist, angelegt.

Vaxevanis wies nach, dass Tremi als Vizepräsidentin einer PR-Firma tätig war. Daran ist an sich nicht viel Verwerfliches zu finden. Jedoch arbeitete diese Firma im Lobbyismus für Waffenhändler. Letztere haben im Schnitt von mehr als vier Prozent des griechischen BIP profitiert. Dies stieß Vaxevanis übel auf. Er vermutete einen Interessenkonflikt bei der Journalistin. Tremi sah es anders und schickte, fußend auf einem von Evangelos Venizelos ausgearbeitetem Gesetz, eine Klage über drei Millionen Euro an den Journalisten.

Die Journalisten Arvanitis und Katsimi werden wegen kritischer Berichterstattung über den Bürgerschutzminister entlassen

Am Montagmorgen kommentierten Kostas Arvanitis und Marilena Katsimi in gewohnter Weise die Presseveröffentlichungen des Tages. Zum Thema wurde ein Artikel der "Avgi" aus dem hervorging, dass die mutmaßlichen Folteropfer der Athener Polizei offensichtlich doch während der Haft zu weiterem körperlichen Schaden gekommen sind. Die Avgi belegte dies mit Hilfe der Berichte von Gerichtsmedizinern. Demnach hätte Bürgerschutzminister Nikos Dendias zu Unrecht mit Klagen gedroht (Griechenland: Vorsicht Polizei!).

Der Dialog der beiden Moderatoren, die zu den Quotenstars des öffentlich rechtlichen Senders NET zähl(t)en, lief folgendermaßen ab:

Katsimi: … Und die gerichtsmedizinischen Berichte für die fünfzehn Festgenommenen, über die der Guardian berichtete, sind raus und wegen des Artikels wollte Dendias den Guardian verklagen.

Arvanitis: Hat er nicht geklagt?

Katsimi: Nein, denn die Berichte zeigen, dass (seitens der Polizei) tatsächlich eine Straftat vorliegt.

Arvanitis: Wird er deswegen jetzt zurücktreten?

Katsimi: Ich glaube nicht, dass er zurücktritt. Aber es ist seltsam, was Herr Dendias sagte – als ob er den gerichtsmedizinischen Bericht bereits kannte, was normalerweise nicht sein kann – das ist einerseits gut, denn er kannte die Berichte somit nicht, aber andererseits, wie kann man da so etwas sagen?

Arvanitis: Und, was wird nun? Bittet er um Entschuldigung?

Katsimi: Ich weiß es nicht…

Arvanitis: Oje, dass ist schwer für Dendias. Der ist doch auch aus Deinem Nachbardorf auf Corfu?

Katsimi: Und er ist wirklich ein ernsthafter Mensch, muss ich sagen.

Dieses nicht ganz flüssig abgelaufene Gespräch ist der Grund für die Arbeitslosigkeit der zwei Moderatoren. Denn bereits zum Mittag ließ der Nachrichtendirektor der Rundfunkanstalt ERT, Aimilios Liatsos, verkünden:

Die Generaldirektion für Nachrichten der ERT respektiert die Regeln der Pressefreiheit und beweist dies mit Taten bei der täglichen Berichterstattung und der Präsentation aller Ansichten. Aber ein Bruch der grundlegenden Regeln der journalistischen Ethik kann nicht akzeptiert werden.

Die Moderatoren der heutigen Sendung "Vormittägliche Nachrichten" der NET, Kostas Arvanitis und Marilena Katsimi, haben unannehmbare Andeutungen gegen den Bürgerschutzminister Nikos Dendias vorgebracht. Dies sogar, ohne ihm vorher das Recht zur Präsentation seiner Sichtweise einzuräumen. Dabei haben sie mit ihren Kommentaren das Ergebnis einer gerichtlichen Untersuchung vorweggenommen.

Liatsos erklärte danach, dass die Moderatoren ihre Sendung nicht mehr betreuen dürfen. Seit Amtsantritt Antonis Samaras waren die kritischen Stimmen von Arvanitis und Katsimi der Regierung ein Dorn im Auge. Die Sendezeit wurde deshalb vor wenigen Monaten von vier auf zwei Stunden gekürzt, obwohl die NET mit diesem Programm im täglichen Quotenkampf gut im Rennen lag. Zumindest mussten die Beiden anders als Vaxevanis noch nicht hinter schwedische Gardinen wandern.

Schieflage von Polizei und Justiz

Auch nicht hinter schwedische Gardinen mussten die Polizisten, die im April 2012 dem Vorsitzenden der Pressefotografenvereinigung bei einer gewaltfreien Demonstration buchstäblich den Schädel einschlugen. Lolos, der in den Wochen vorher eine übermäßige Polizeigewalt angemahnt hatte, wurde mit einem verbotenerweise verkehrt herum gehaltenen Schlagknüppel der Schädel gebrochen und die Schädeldecke um mehr als einen Zentimeter eingedrückt.

Hier konnte mit Hilfe weiterer Fotografen zweifelsfrei bewiesen werden, dass die Beamten entgegen ihrer eigenen Aussage eben doch Schlagknüppel in der Hand hatten. Per Videobeweis wurde ebenfalls belegt, dass zu Hilfe geeilte medizinische Ersthelfer mit Fußtritten seitens der Polizei vertrieben wurden. Es kam, obwohl von den zahlreichen Beamten drei als mutmaßliche Täter identifiziert wurden, weder zu einer Gegenüberstellung des Polizeitrupps mit den journalistischen Augenzeugen, noch zu einer Festnahme.

Auffällig ist, dass Vaxevanis, der sich während der von der Staatsanwaltschaft auf 72 Stunden ausgedehnten Schnellgerichtsfrist in der Wohnung eines Freundes aufhielt, geschnappt wurde, während zum Beispiel der Schläger der Chryssi Avgi Ilias Kasidiaris innerhalb der normalerweise achtundvierzigstündigen Frist nicht dingfest gemacht werden konnte.

Prügelopfer Liana Kanelli. Bild: W. Aswetsopoulos

Bei Kasidiars, der vor laufenden Kameras die kommunistische Abgeordnete Liana Kanelli verprügelt, meinten die Staatsanwaltschaft und die Polizei, dass keine Notwendigkeit für Hausdurchsuchungen bestanden habe. Im Fall Vaxevanis waren wie durch Magie vor sämtlichen Stammlokalen und bei sämtlichen Freunden des Journalisten Polizeitrupps angerückt. Zum Verhängnis wurde es dem Journalisten, dass er in den Minuten vor der Festnahme per Twitter Kurznachrichten versendet hatte.

Ein Schelm, wer hier Übles vermutet. Denn schließlich könnten die Beamten, die im Fall des blasphemischen Nudelgerichts (Griechenland: Initiator einer Facebook-Seite wegen Blasphemie verhaftet) auch einen schnellen Zugriff präsentierten, bei Vaxevanis den Zeitschriftentitel Hot Doc mit einem Hotdog verwechselt haben und angesichts der krisenbedingten Gehaltskürzungen Hungergefühle bekommen haben.