Rolle rückwärts bei der Energiewende

Die Energie- und Klimawochenschau: In den USA setzt sich der Klimawandel selbst auf die Tagesordnung des Wahlkampfes und in Deutschland zeigen sozialdemokratische Landesfürsten wenige Standfestigkeit, wenn es um die Erneuerbaren geht

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Das Land wird von einem schweren Hurrikan heimgesucht, von der schlimmsten Dürre in mindesten 50 Jahren, das Eis auf dem arktischen Ozean zieht sich im Sommer weiter zurück als je zuvor seit Menschengedenken, die ersten drei Quartale 2012 waren die wärmsten in seinen Wetteraufzeichnungen und doch wird das Thema Klimawandel in den Fernsehdebatten der beiden Kandidaten, die sich Hoffnungen machen ab Januar 2013 im Weißen Haus in Washington zu sitzen, nicht einmal erwähnt.

Nicht die chancenlose grüne Kandidatin rezitiert dieses Lamento, sondern die eher unverdächtige Washington Post, sonst eher ein Blatt mit wenig Abneigung, sich an Desinformationskampagnen gegen Klimawissenschaftler zu beteiligen. Sollte jenseits des Atlantiks das Pendel vielleicht doch wieder in Richtung wissenschaftlicher Vernunft schwingen?

The presidential candidates decided not to speak about climate change, but climate change has decided to speak to them.

Mike Tidwell, The Nation

Wie dem auch sei, in den USA wird in den nächsten Tagen erst einmal aufräumen angesagt sein, und derjenige, der dabei die bessere Figur macht, wird vermutlich auch als Sieger aus den Wahlen hervorgehen. Amtsinhaber Barack Obama hat den Umständen entsprechend die besseren Voraussetzungen. Er muss sich lediglich ein paar Gummistiefel anziehen und mit Medientross durchs Katastrophengebiet touren.

Das hat schon seinerzeit beim Elbhochwasser 2002 bei Gerhard Schröder Wunder gewirkt. Dessen Politik wurde anschließend weder sozialer noch umweltfreundlicher, und so wird sicherlich auch von Obama in Sachen Energie- und Klimapolitik nicht viel mehr zu erwarten sein wie aus seiner ersten Amtszeit oder von seinen Vorgänger. Nicht einmal gebrochene Versprechen wird es mehr geben, denn diesmal hat er sich im Wahlkampf diesbezüglich sehr zurückgehalten (siehe Big Oil sitzt immer mit im Boot).

Nun ja, hierzulande ist es um die Klima- und Energiepolitik vielleicht ein bisschen besser bestellt, aber auch nicht so viel besser, wie mancher meinen mag. Die deutschen Treibhausgasemissionen liegen trotz aller Reduktionen der letzten Jahre immer noch bei gut elf Tonnen pro Kopf und Jahr, das sind zwar bloß runde 56 Prozent des US-Wertes, aber immer noch etwa neun Tonnen pro Kopf und Jahr mehr, als für das Klimasystem langfristig zu verkraften ist.

Energiegipfel

Umso bedrückender ist da die Rolle rückwärts, die derzeit von der schwarzgelben Bundesregierung hingelegt wird, um die Energiewende auszubremsen. Der Anteil der Erneuerbaren Energieträger ist inzwischen bei 25 Prozent der Bruttostromproduktion angekommen (Strom-Export größer denn je), also bei rund 30 Prozent des Nettoverbrauchs, und das schmälert das Geschäft der großen vier Atom- und Kohlestromer dann doch so erheblich, dass eingegriffen werden muss.

Die nächste Runde im Streit um die künftige Energiepolitik wird auf dem sogenannten Energiegipfel ausgetragen werden, zu dem Bundeskanzlerin Angela Merkel am Freitag die Ministerpräsidentinnen und -präsidenten der Länder eingeladen hat. (Es ist doch immer wieder komisch, dass sich niemand daran stößt, dass wichtige gesellschaftliche Richtungsentscheidungen nicht hauptsächlich im Parlament, sondern von allerlei durch keinerlei Wahlen legitimierte Kommissionen, "Gipfel" und ähnlichem vorbereitet und mitunter auch gefällt werden.)

Bundesumweltminister Peter Altmaier verkündet, dass er sich den Ausstieg in einem "nationalen Konsens" erhofft und dass bisher die mangelnde Koordination der Bundesländer das Hauptproblem der Energiewende sei. Ansonsten redet er um den heißen Brei herum, aber im Wesentlichen geht es ihm darum, nach dem Deckel für die Solarenergie auch die Windenergie auszubremsen.

Das allerdings ruft nicht nur die Windenergie-Branche, sondern auch diverse Landesfürsten auf den Plan. Immerhin gehört die Windenergie in manchen Regionen zu den wichtigsten regionalen Entwicklungsfaktoren, mit dem Einkommen etwas in der Fläche gestreut und dem ländlichen Raum auf die Sprünge geholfen werden kann. Außerdem ist die Windenergie für den Norden, was die Solarenergie für den Osten ist: industrieller Hoffnungsträger in einer ansonsten ziemlich vom Strukturwandel und (gewollter) Deindustrialisierung gebeutelten Region. Auch in NRW hängt übrigens in Zulieferbetrieben mancher Job vom Gedeihen der Branche ab.

Entsprechend meldete nicht nur Hanelore Kraft in Düsseldorf sondern auch ihr jüngst gekürter Parteifreund in Kiel, Torsten Albig, Widerspruch zu Altmaiers Plänen an. Ein Deckel sei "nicht akzeptabel und geradezu absurd", zitiert ihn die Springerzeitung Hamburger Abendblatt. Und: "Es kann nicht sein, dass die Länder beim Ausbau der erneuerbaren Energien gegeneinander ausgespielt werden."

Der grüne Koalitionspartner ist selbstredend der gleichen Ansicht: "Einen gesetzlich festgelegten Ausbaukorridor für Wind-an-Land lehnen wir entschieden ab. Die Axt an diesen Kostensenker der Energiewende zu legen wäre falsch", meinte Ingrid Nestle, ihres Zeichens grüne Staatssekretärin im schleswig-holsteinischen Energiewendeministerium. Selbst die christdemokratische Landesopposition assistiert. CDU-Landeschef Jost de Jager: "Beim EEG gibt es eine klare norddeutsche Position. Eine Begrenzung des Windkraftausbaus im Norden wird die aktuellen Probleme nicht lösen." Und: "Sollte der Ausbau der Windenergie bei uns gedeckelt werden und woanders stattfinden, wäre das volkswirtschaftlicher Unsinn."

Allerdings scheint man bei den Nord-Christdemokraten Schwierigkeiten zu haben, Pressearbeit und Positionen zu koordinieren. Ingbert Liebing nämlich, de Jagers Stellvertreter, lässt verbreiten, dass Albigs Kritik eher "dumm" sei. Altmaier habe gar keine Länderquote, sondern nur eine Koordination der Ausbaupläne der Länder vorgeschlagen.

Doch mit dieser Meinung scheint er eher allein zu stehen. Auch die Frankfurter Allgemeine Zeitung hatte berichtet, dass der Bundesumweltminister eine Deckelung der Windenergie analog zur Solarenergie anstrebe. Der Onshore-Windenergie an Land, um genau zu sein. Denn die liefert zwar mit rund acht Cent pro Kilowattstunde die günstigste Form des Ökostroms, aber hat den entscheidenden Nachteil, dass sie nicht in der Hand der großen vier Stromkonzerne ist. Diese konzentrieren sich vielmehr auf Offshore-Ausbau, der nicht recht voran kommt, aber von der Bundesregierung zum Königsweg der Energiewende erkoren wurde. Ein Königsweg freilich, der wegen seiner technischen Probleme viel von einem Holzweg hat.

Auf der Bremse bei der Energiewende

Die Ministerpräsidentinnen und -präsidenten der Bundesländer haben sich hingegen letzte Woche im Vorfeld des "Gipfels" bereits auf eine gemeinsame Position geeinigt. Darin bekräftigen sie, am EEG festhalten zu wollen. Eine "Weiterentwicklung des EEG (muss) darauf abzielen (...), einen weiteren Ausbau sicherzustellen (...)."

Gleichzeitig lassen sie sich aber auf das Kostenargument ein und bei den Ausbauzielen haben sich die sozialdemokratischen Ministerpräsidenten regelrecht ins Bockshorn jagen lassen. "Gegenstand der Diskussion muss eine weitere Ausbaustrategie sein", heißt es in einer gemeinsamen Erklärung der Länderchefinnen und -chefs, "bei der an den deutschen Ausbauzielen der Erneuerbaren Energien für die Jahre 2020 und 2050 festgehalten wird, die dem Netzentwicklungsplan zugrunde gelegt worden sind."

Diese Ausbauziele lauten jedoch lediglich 35 Prozent Anteil der erneuerbaren Energieträger an der Stromproduktion bis 2020 und 80 Prozent bis 2050. Derzeit haben wir aber bereits 25 Prozent erreicht (Strom-Export größer denn je). Die Zielvorgaben 35 und 80 Prozent waren erstmalig in jenem unsäglichen Gutachten aufgetaucht, mit dem die Bundesregierung im Sommer 2010 die Laufzeitverlängerung für die deutschen AKW begründen wollte (Unterschiedliche Lesarten).

Gegen diese Festlegung hatte es seinerzeit reichlich Proteste gegeben, nicht nur wegen der ungeliebten AKWs, sondern auch, weil bereits vor drei Jahren längst klar war, dass bei derzeitigen Tempo bis 2020 ein Anteil der Erneuerbaren an der Stromversorgung von 47 Prozent erreicht werden könnte. So ist es bereits in einer Studie nachzulesen, die der Bundeskanzlerin im Januar 2009 vom Bundesverband Erneuerbare Energien übergeben worden war. Und ein Gutachten des Umweltbundesamtes hatte zur gleichen Zeit gezeigt, dass bis 2050 vollständig auf konventionelle Kraftwerke verzichtet werden kann.

Nun legen sich verklausuliert also auch die sozialdemokratischen Ministerpräsidenten und ihr grüner Kollege aus Baden-Württemberg auf dieses Ziel fest, mit dem die Erneuerbaren ausgebremst werden soll. Ihre grünen und linken Koalitionspartner lassen sich unterdessen offensichtlich von den markigen Worten, die den Deckel ablehnen, beeindrucken und ablenken. Die Erklärung der Oberhäupter der Landesregierungen spricht aber auch hier eine andere Sprache: Die Ausbauziele der Länder sollen "synchronisiert" und "modifiziert" werden. Nur das konservative Bayern verweist darauf, dass es für letzteres an der gesetzlichen Grundlage fehlt, solange jeder Bürger ein Einspeiserecht hat.

Offensichtlich sind die großen Parteien bemüht, das Thema aus dem Bundestagswahlkampf herauszuhalten. Möglichst schon bis zum nächsten Sommer soll ein gemeinsamer Fahrplan stehen, und bei den derzeitigen Mehrheiten ist zu befürchten, dass eine weitere Verlangsamung der Energiewende durchgesetzt wird, nachdem die Solarbranche bereits reichlich gerupft wurde.