Ein Traumatisierter mit Nahetoderlebnis

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Kino-Ikarus: Sam Mendes' "Skyfall" ist ein guter Film, ein Psychothriller und ein Actionfilm, nur ein "James Bond" ist er nicht

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50 Jahr, blondes Haar - die Ellenbogen an die Schultern geklemmt, irgendwie sehr wachsam und in jedem Fall alles andere als lässig: Die mutwillige Selbstzerstörung des James-Bond-Mythologie durch die Fehlbesetzung Daniel Craig geht weiter. Das, was Bond vor 50 Jahren vor allem ausmachte - nicht der Kalte-Kriegs-Agenten-Schmonzes, sondern Ironie bis zum Zynismus und darüber hinaus Spaß an dem, woran man ihn nicht haben darf, ist verloren gegangen.

Klar: Für volle Kassen wird auch der 23.Bond, Skyfall, sorgen. Aber die Gewinne irgendwelcher Studios und ihrer Produzenten können den Fans herzlich egal sein, wenn alles, was den besonderen Charme der Serie ausmachte, über die Klinge springt.

Am Anfang ist noch alles wie immer: 007 im Außeneinsatz, diesmal im türkischen Istanbul, eine irgendwie wahnsinnig wichtige Agentenliste wurde gestohlen. James Bond verfolgt die Täter in einer rasanten, viele Minuten langen Eröffnungssequenz, die den Agenten im Geheimdienst ihrer Majestät zunächst im Auto durch enge Straßen, dann auf dem Motorrad über Ziegeldächer und durch die Massen im historischen "Grand Bazaar" heizen lässt, dann mit einem Bagger, dann auf einem Zugdach... durch enge Tunnel..., über hohe Brücken..., dann... "Take the bloody shot!", sagt eine Frauenstimme und Musik erklingt und Gesang: "This is the end. Hold your breath and count to ten."

Am Anfang das Ende. Wir Zuschauer halten den Atem an, wir sehen, wie der vom friendly fire, der Kugel einer Kollegin, getroffene Bond einige hundert Meter in die Tiefe eines Flusstals stürzt, einen Wasserfall hinunter und vor unseren Augen versinkt in der Tiefe des Wassers. Aber kann es denn wirklich sein, dass James Bond nach einer Viertelstunde dieses Films stirbt? Natürlich nicht.

Denn gewissermaßen ist Bond schon lange tot. Gestorben ist er an dem Tag, an dem seine Rolle von Daniel Craig besetzt wurde, an dem er blond wurde, und, wir müssen das so sagen, ein bisschen blöd. Seit Daniel Craig den Bond spielt, ist der Wurm in diesen Filmen und Schluss mit lustig angesagt: Es steht zwar noch immer "Bond" drauf, es ist aber längst nicht mehr "Bond" drin.

"Enjoying Death"

In "Casino Royale" fehlten bereits Q und Miss Moneypenny. Und bis heute, bis zu diesem Film, der, auch das muss gesagt werden, ganz hervorragend ist, aber eben kein Bond, hat er sich nicht wirklich erholt. Das wird so bleiben, so lange er blond ist, solange er Daniel Craig ist. Daniel Craig ist ja eben nicht nur der Ex-Freund von Heike Makatsch - kann man sich Heike Makatsch als Bond-Girl vorstellen? Eben nicht! -, Craig ist Unterschicht und vom Gesamteindruck viel zu prollig. Damit mag mag Bond zwar seinen Fans ähnlicher werden, James Bond wird er aber unähnlicher. Ein stilloser Haudrauf, ein Depp, dem die Gedankenlosigkeit ins Gesicht geschrieben steht.

Gewissermaßen ist Bond aber auch unsterblich, und er wird auch Craig, diesen Ausbund an Stillosigkeit, überstehen. Denn Bond ist Stil, ist die Haltung der Moderne, dass im Prinzip alles möglich ist, und eines Tages wird der Optimismus und der Glaube daran, dass alles gut ist, solange man nur ein paar Typen niederballern kann, ein paar flotte Sprüche aufsagen und ein paar Frauen vernaschen, wiederkehren. Vielleicht muss Bond dazu erst Chinese werden, aber Tony Leung als Bond, das wäre schon mal ein Fortschritt.

Bond also wird wieder auferstehen von den Toten, und auch wenn er dafür mehr als drei Tage braucht, kommt er, gezeichnet von Wunden und auf seine Art neu geboren, wie ein Messias in seine geschundene Heimat: "Double O Seven reporting for Duty" - "Where the hell have you been?" - "Enjoying Death"

Inzwischen sind das Königreich und der britische Geheimdienst MI 6 zum Objekt heftiger Terrorattacken geworden, die Agenten sterben wie die Fliegen, und der Stuhl von Chefin M wackelt. So muss 007 wieder ran, und natürlich wird der schmutzige Job am Ende irgendwie erledigt sein, und die bösen Täter zur Strecke gebracht und besiegt. Aber - wer spricht von Siegen? In diesem James Bond ist Überstehen alles.

Ein irgendwie gezeichneter, fast gebrochener Mann

Regisseur Sam Mendes ist Engländer, erfahrener Theatermann und im Kino berühmt und oscarprämiert mit so großartigen Gesellschaftsdramen wie "American Beauty" und "Revolutionary Road". Unter seinen Händen verändert sich James Bond radikal: "Skyfall", das 23. Bond-Abenteuer zum 50. Jubiläum dieser enorm erfolgreichen Kino-Franchise, versucht wieder einmal nicht weniger, als Bond neu zu erfinden.

Es gibt sie schon noch die Verfolgungsjagd, die Casino-Szene, das Bond-Girl unter der Dusche, M und Q, Gimmicks und sogar den alten Aston Martin aus "Doktor No". Aber es gibt sie alle nur, um ihre Pflicht zu erfüllen oder sogar nur, um zerstört zu werden. Was bleibt dann übrig? Ein Bond für unsere Zeit.

Ein Bond für unsere Zeit - das ist, folgt man Mendes, ein irgendwie gezeichneter, fast gebrochener Mann. Ein Traumatisierter mit Nahetoderlebnis, der im Laufe des Films sogar in seine Kindheit zurückreisen muss, um den Fall zu lösen.

Der Titel "Skyfall", soviel darf man verraten, bezeichnet nämlich zwar vielleicht auch den Himmelssturz dieses allzuselbstbewussten Kino-Ikarus und vielleicht auch die Hybris eines alten Empires, ja des ganzen Westens, der auch mit Hilfe solcher Geheimdienstschattenarmeen seine hergebrachte Vormachtstellung nicht mehr aufrechterhalten kann.

Bond wird auf die Couch gelegt und psychoanalysiert

"Skyfall" ist aber zunächst einmal nichts anderes als der Name des Familiensitzes der Eltern von James Bond im schottischen Hochland. Sean Connery trifft man hier nicht - dafür aber einige der inneren Dämonen, die diesen geschwächten Daniel-Craig-Bond umtreiben, und die er bisher über 20 Folgen lang mit viel Sport und Sex ganz gut verdrängt und zur Not in trockenen Martinis ertränkt hat.

Bond also wird auf die Couch gelegt und psychoanalysiert, er trifft seine Mama und die Mama muss sterben. Die Welt ist diesem James-Bond des Sam Mendes nicht genug, die wahren Abenteuer sind im Kopf. Und darum muss hier auch weder der Atomkrieg verhindert, noch der Machtwahn eines Superschurken eingehegt werden - um schnöde private Rache geht es.

Alles andere ist dem Bösen bloßes Material. Der Spanier Javier Bardem spielt diesen Bösen dann allerdings wunderbar ganz superschurkisch mit dem fiesen Charme des Wahns. Wollt' ihr den totalen Irrrsinn? Er wird ihn Euch geben.

So ist dieser neue James Bond ein ausgezeichneter, sehr unterhaltsamer Film - aber vielleicht kein James Bond. Sondern ein Psychodrama und Rachethriller um gute und schlechte Mütter und um die heilsame Rückkehr in die Vergangenheit und das Haus der Kindheit - das älteste von allen Empires. "Skyfall" das ist daneben auch ein Film über das schlechte Gewissen des Geheimdienstes, fast als wärs ein Stück von Graham Greene und John Le Carré. Immer wieder wunderbar und manchmal richtig klug...