"Four more Years"

Barack Obama ist in den USA für eine zweite Amtszeit als Präsident wiedergewählt worden und steht vor der "fiskalischen Klippe"

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Es sollte zeitweise so eng werden, wie alle im Vorfeld befürchtet hatten. Der für seine schnelle Aneinanderreihung von Worten bekannte CNN-Moderator John King entfuhr lediglich ein langgezogenes "Wow" als er auf die Karte des hart umkämpften Bundesstaates Florida blickte: Romney und Obama lagen dort mitunter nur 600 Stimmen auseinander (Bush gewann Florida 2000 mit 537 Stimmen Vorsprung). In Ohio konnte Obama zwar einen konstanten, aber auch nur leichten Vorsprung in den späten Stunden der Wahlnacht halten. Und so forderten beide Kampagnen ihre Unterstützer auf, in den Schlangen zu den Wahlkabinen stehen zu bleiben. Jeder abgegebene Wahlzettel, hieß es, könnte den Unterschied machen.

Am Ende hatte Team Romney zwar alles in die Waagschale geworfen und sogar die Schatten der eigenen parteipolitischen Vergangenheit zu Hilfe gerufen. Doch es nutze nichts. Weder Sarah Palins seitenlange Unterstützung via Facebook noch die Robocalls des Bush-Clans in Form der weisen Stimme von George W. H. Bushs Ehefrau Barbara lieferten den ersehnte Sieg. Mitt Romney hat den Präsidentschaftswahlkampf verloren. Die US-Bürger haben den 51-jährigen Amtsinhaber Barack Obama für eine zweite Amtszeit ins Weiße Haus bestellt.

Obama gewinnt umkämpfte Schlüsselstaaten

Um 5:19 Uhr mitteleuropäischer Zeit verkündete CNN die Wiederwahl Barack Obamas — mit dem voraussichtlichen ("projected)" Gewinn von 274 der insgesamt 538 Wahlmännerstimmen. Zu der Zeit waren 60 Prozent der nationalen Wahlzettel ausgezählt und Romney lag beim "Popular Vote" mit 41 652 611 (50 Prozent) vor Obama (40 734 972, 49 Prozent). Weder der Battleground-Staat Florida hatte bis dahin einen Sieger ernannt noch das als "Ground Zero" im Wahlkampf 2012 betitelte Ohio, wo Obama selbst bei dreiviertel der ausgezählten Stimmen nur mit 1524 Stimmen vor Romney lag. CNN wagte sich erst eine Stunde später vor und vergab Ohio an Obama.

Zuvor aber konnte Obama weitere Schlüsselstaaten wie New Hampshire und Michigan für sich entscheiden—Staaten in den Romney entweder noch kurzerhand Kampagnenstopps eingebaut hatte oder sich generell Hoffnung auf einen Sieg ausgerechnete. Das gleiche galt für Pennsylvanias 20 Wahlmännerstimmen, die Obama dank einer hohen Beteiligung von Afro-Amerikanernund gewann, und Colorado durch dessen Latino-Community. Auch Virginia fiel an den Amtsinhaber.

"Balance of Power"

Parallel zur Entscheidung über das Amt des Präsidenten fanden auch Wahlen zum US-Kongress statt. Die Verteilung der Sitze in den beiden Kammern spielt eine wichtige Rolle bei den Gestaltung des Landes. Viel geändert bei den Mehrheitsverhältnissen hat sich jedoch nicht.

Im US-Repräsentantenhaus konnten die Republikaner ihre 2010 gewonnene Mehrheit behaupten und laut CNN-Prognosen sogar leicht ausbauen. Analysten machten dafür Obamas Unwillen aus, sich während des Wahlkampfes in den Staaten mit den Abgeordneten gemeinsam auf der Bühne zu zeigen. Die Nähe zum Präsidenten, so die Auffassung der CNN-Expertenrunde, hätte einige im Rennen vielleicht konkurrenzfähiger gemacht. John Boehner bleibt damit Sprecher des Abgeordnetenhauses.

Ähnlich war die Prognose und verlief die Wahl bei der Sitzverteilung im US-Senat. Die Demokraten behielten ihre Mehrheit, sie hatten bisher mit 51 zu 47 Sitzen das Sagen (plus zwei unabhängige Senatoren, die aber mit den Demokraten stimmen). Im Fokus lagen dabei vor allem die Wahlen in den US-Bundesstaaten Massachusetts und Indiana. In Massachusetts verlor der 2010 auf der Höhe der Tea Party-Wut ins Amt gespülte Republikaner Scott Brown gegen die Harvard-Professorin für Finanzrecht Elizabeth Warren. Die Demokratin hatte sich einen Namen gemacht durch den Kampf gegen Banken und den erfolgreichen Aufbau der Verbraucherschutzbehörde für Finanzprodukte (CFPB). In Indiana musste der Republikaner Richard Mourdock die Folgen seiner kontroversen Aussage über Schwangerschaft durch Vergewaltigung tragen: Er verlor gegen den Demokraten Joe Donnelly. "My concern for this nation grows greater", soll Mourdock laut einem NPR-Bericht danach erklärt haben. Er wäre angegriffen worden, so Mourdock, weil er zu seinen Prinzipen gestanden hätte.

Nach Monaten des Wahlkampfes und über 2 Milliarden Dollar an Ausgaben lässt sich am Ende vor allem eins feststellen: Rechnerisch hat sich an der festgefahrenen Situation in der US-Politik kaum etwas geändert. Der US-Kongress ist nach wie vor geteilt. Keine gute Ausgangsposition für Präsident Obama. Dabei muss er schnellstmöglich eine parteiübergreifende Lösung finden, denn die nächste schwerwiegende Krise ist nur Wochen entfernt.

Nach der Wahl ist vor der Krise

Ende des Jahres droht den USA die "fiskalische Klippe". Kann sich der Kongress nicht auf eine Anhebung der Verschuldungsobergrenze einigen, treten automatisch Steuererhöhungen und Ausgabenkürzungen ein - ein Konjunkturkiller. Das Resultat wäre die Verzögerung der weiterhin nur zähen wirtschaftlichen Erholung. Der Internationale Währungsfonds (IWF) stufte im jüngsten Ausblick zur Weltkonjunktur das "fiscal cliff" der USA neben der Eurokrise als Hauptgefahr für das globale Wachstum ein.

Ein Lösungsansatz: Obama will, wie er in einem Interview vor kurzem klar machte, das zunächst Off-The-Record war, auf Drängen der Zeitung Des Moins Register schließlich aber veröffentlicht wurde, den Republikanern erneut seinen "Grand Bargain" vorlegen. Der "Große Kompromiss", der sowohl Steuererhöhungen als auch Kürzungen im Sozialbereich vorsieht, wurde vor einem Jahr in letzter Minute von den Republikanern abgelehnt. Diesmal sei er zuversichtlich, dass der Vorschlag angenommen wird, so Obama. Inwieweit ihm dies gelingt, hängt wohl auch davon ab, ob mit seiner zweiten und letzten Amtszeit die Blockadepolitik der Republikaner fällt. Sinkt der Einfluss der Tea Party, könnte der moderate Flügel der GOP das Land aus der ideologischen Geiselhaft befreien. Bis zu Verhandlungen darf Obama seinen Sieg genießen.

Während auf der demokratischen Wahlparty in Chicago Tausende von Anhängern den neuen und alten Präsidenten feierten und erste offizielle Gratulationen eintrafen, darunter laut Financial Times von Außenminister Guido Westerwelle, konnte sich Mitt Romney erst gegen 7 Uhr deutscher Zeit dazu durchringen, die Niederlage einzugestehen. Vor seinen Unterstützern in Boston Massachusetts bedankte er sich standardmäßig für deren Arbeit und beglückwünschte Barack Obama. Romney lächelte zwar, doch auch er wusste wohl, dass nicht nur ihm, sondern auch seiner Partei eine große Chance durch die Hände geglitten ist: Im politisch bisher ausgeglichenen US-Supreme Court könnten über die kommenden Jahre bis zu drei Neubesetzungen anstehen, die Obama nun ernennen kann. Jenem Obersten Gerichtshof, dessen historische Entscheidungen das Gesicht der USA entscheidend geprägt haben. Zuletzt hatte es Obamas Gesundheitsreform für verfassungskonform erklärt.