Stipendium für Grundschüler

Pakistan: 3 Millionen Familien sollen 2 Dollar im Monat in bar bekommen, damit die Kinder der Armen zur Schule gehen

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2 Dollar entsprechen in den ärmeren Regionen Pakistans dem Tagesverdienst vieler armer Familien. Zum Beispiel in den Stammesgebieten im Nord-Westen des Landes, in der Provinz Khyber Pakhtunkhwa (früher North-West Frontier Province genannt), das an Afghanistan grenzt, in Belutschistan, das an Iran grenzt, oder in der Sindh-Provinz im Süden des Landes. Familien, die sich mit Tageseinnahmen über Wasser halten, könnte der 2-Dollar Zuschuss dazu verlocken, die Kinder häufiger in die Schule statt zur Arbeit zu schicken. So der Gedanke, der hinter einer Art Grundschulstipendium für die Ärmsten steckt. Mehr Geld wäre noch besser. Wie es aussieht, würde auch das nicht reichen, um den Problemen, die sich bei der Grundschulbildung in Pakistans Problemgebieten, beizukommen.

Am Wochenende war "Malala Day" in Pakistan. Die mittlerweile 15jährige Malala Yousafzai war Anfang Oktober im pakistanischen Swat-Tal von einem Taliban-Kommando niedergeschossen und lebensgefährlich verletzt worden, mittlerweile geht es ihr nach Aussagen ihrer britischen Ärzte besser. Malala, die sich über einen längeren Zeitraum bei BBC in einem Blog dafür engagiert hatte, dass die Mädchen im ärmlichen, gebirgigen Nordwesten des Landes zur Schule gehen, wurde seit dem Mordanschlag zu einer international bekannten Symbolfigur.

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So fand sich am Samstag eine Schar Prominenter in Islamabad ein, die im Namen der UN und anlässlich der Schandtat ein Programm lancierten, das signalisieren soll, dass sich etwas tut in Pakistan, dass man gegenüber der Taliban-Gewalt nicht klein beigeben wolle. Der pakistanische Präsident Asif Ali Zardari war da, Gordon Brown, der frühere britische Premierminister, vielen in Erinnerung als Nachfolger Tony Blairs, kam in seiner neuen Funktion als "UN Special Envoy for Global Education" und UN-Generalsekretär Ban Ki-moon ließ sich über Video mit einer Botschaft zur Unterstützung der Ausbildung von Teenagern und Mädchen einspielen. Im Hintergrund war die Weltbank repräsentiert, China, die Türkei und Großbritannien. Die Bank und die Länder geben Geld für die 2-Dollar-für-den-Schulbesuch-Initiative.

Doch selbst wenn es nach Medienberichten den Anschein hat, dass das Programm neu wäre, ist dies nicht der Fall. Das Programm heißt Waseela-e-Taleem und existiert schon eine ganze Weile als Teil des Benazir Income Support Programme (BISP).

Sieben Millionen bedürftige Familien

Am 16. Januar hieß das ausgegebene Ziel des Förderprogramms, dass sich im April eine Million Kinder in Grundschulen einschreiben sollten; in einem weiteren Ausblick wurden insgesamt wurden insgesamt 10 Millionen Kinder zwischen 6 und 12 Jahren für Waseela-e-Taleem ins Auge gefasst. Auch im Januar war schon die Rede davon, dass die Familien Bargeld für die Einschreibung bekommen sollten.

Zugrunde liegt dem eine historisch erstmalige Tür-zur-Tür-Bevölkerungsbefragung, die ermittelte, dass es 6 Millionen Familien in Pakistan gibt, die den Bedürftigen zählen - man käme auf sieben Millionen bedürftige Familien, wenn man die Stammes-Gebiete dazu zählt, ist zu erfahren. Zunächst sind aber 3,5 Millionen Familien das Ziel, bis Ende dieses Jahres sollte es auf 5,5 Millionen ausgeweitet werden. Insofern tut die Ankündigung vom Wochenende nur so, als ob sie neu wäre.

Größtes Hindernis: "militant mindset"

Geschehen ist bislang nichts, was der Rede wert wäre. In seiner Unterhaltung mit Gordon Brown sprach der pakistanische Präsident den wunden Punkt an, wie die Frontier Post übermittelt. Das größte Problem, das sich solchen Ausbildungs-und Schulerziehungsinitativen entgegenstellt, sei der "militant mindset" in der Region, machte Zardari geltend. Die Ausrichtung auf Krieg und Waffengewalt als geistige Lebensform sei der "größte kollektive Feind", so Zardari.

In Mingora, dem Heimatort von Malala Yousafzai im Swat-Tal, konnten die Schüler den Malala-Tag nur privat feiern. Öffentlich wäre dies zu gefährlich gewesen, die Schüler hätten sich exponiert und hätten sich so als mögliche Ziele für weitere Taliban-Attentate ausgewiesen. Dass sich an dieser Situation etwas grundlegend ändert, ist unwahrscheinlich.

Wurde der Anschlag auf Malala in westlichen Publikationen so kommentiert, dass dies doch endlich ein Signal dafür sei, die Regierung zu mehr Entschlossenheit zu verpflichten, um die armseligen Zustände zu verbessern, so haben pakistanische Kommentoren einen anderen Blick auf die Hintergründe. Mit militärischen Mitteln, mit einer Verstärkung des Krieges gegen die Taliban ist demnach nichts gewonnen. Denn, wie etwa der Autor Aasim Sajjad Akhtar ausführt, der Krieg verstärkt nur jahrhundertealte Traditionen, die einer Veränderung im Weg stehen, die Frauen und Mädchen mehr Möglkichekiten einräumen würden.

Auch der Westen hat alte Strukturen verstärkt

Die Stammesgebiete, so seine Argumentation, sind seit der Unterstützung der afghanischen Mudschahedin, die in den 1980er Jahren gegen die sowjetischen Truppen kämpften, durch die Amerikaner enorm militarisiert worden. Das habe traditionelle Strukturen verstärkt, weil diese Unterstützung, die dann auch der pakistanische Staat und dessen Geheimdienst lieferte, genau mit jenen Mentalitäten kooperiert, die auf Gewalt und Patriarchat setzen. Die Eroberungskämpfe der Taliban wie auch der Kampf gegen die Taliban sind eine Fortsetzung dessen, was vor drei Jahrzehnten begonnen hat. Sie bleiben der Logik des "militant mindset" verhaftet, zwei Dollar monatlich für den Schulbesuch ändern an dieser Maschinerie nichts.

Dazu kommt, dass sich zwar der pakistanische Geheimdienst ISI um die "Stammesgebiete unter Bundesverwaltung" kümmert, um dort mögliche Strippen zu ziehen, nicht aber der Staat, der sich sorgt, dass dort außer Koranschulen für die männliche Nachkommenschaft auch Schulen für Mädchen bereitstehen, damit diese gute Grundlagen für ein Leben mit besseren Aussichten vermittelt bekommen. Die pakistanische Führung hat das Gebiet den Taliban als Rekrutierungsrevier überlassen.

Mit dem Grundschulstipendium, das nun in großen Medien wie etwa der BBC verkündet wird, lackert die Regierung Zardari die Oberfläche schön. Die Arbeit darunter will sie nicht angehen. Nicht im Grenzgebiet zu Afghanistan, das sie anscheinend aufgegeben hat, und auch nicht im armen Süden des Landes. Die Interessen der politischen Klasse, deren Besitzstände von den Taliban nicht angegriffen werden, liegen woanders. Ihr liegt vor allem an der Bewahrung des status quo, von dem sie nicht schlecht lebt.