Griechenland: Samaras beruft sich auf Lenin

Der Staatshaushalt ist durch, das Memorandum mit dem Sparkurs auch, wo bleibt die Tranche und wie geht es weiter?

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Mit 167 zu 128 Stimmen bei 10 Enthaltungen und einem unentschuldigt Fehlenden hat das griechische Parlament in der Nacht vom Sonntag zu Montag den Staatshaushalt für 2013 verabschiedet, so lautet das offizielle Ergebnis. Unter den 167 Befürwortern war jedoch auch Thodoros Soldatos, der insbesondere für das Sozial- und das Entwicklungsministerium genannte Wirtschaftsressort nur seine Enthaltung kund tat, dem übrigen Etat jedoch zustimmte. Soldatos wurde von Premier Antonis aus der Fraktion der Nea Dimokratia ausgeschlossen. Damit hat der aus PASOK und Nea Dimokratia bestehende Kern der Regierungskoalition nur noch 151 hundertprozentig loyale Abgeordnete.

Wer ist für was? Ein tägliches Verwirrspiel

Denn direkt nach der Abstimmung zum dritten Sparkursmemorandum seit 2010 (Das Sparpaket ist durch - die Regierung auch?) hatte am Donnerstag Mimis Androulakis von sich aus die PASOK-Fraktion, aber auch die Partei verlassen. Die am Sonntag zusätzlich erhaltenen Stimmen stammten größtenteils aus den Reihen der Demokratischen Linken, die als Koalitionspartner zwar weiterhin der Regierung angehört, aber je nach Gusto die Sparbeschlüsse tragen möchte oder halt nicht.

Witzig war, dass auch Abweichler der Abstimmung zum dritten Memorandum, wie Kostas Skandalidis, nun dem Haushalt zustimmten, obgleich sie den diesem zu Grunde liegendem Maßnahmen sie am Mittwoch ihre Zustimmung verweigert hatten. Skandalidis hatte seit seinem direkt der Verweigerung folgenden Fraktionsausschluss mehrfach erklärt, warum die Maßnahmen fruchtlos seien und wie sehr diese einen Gang in den Neoliberalismus darstellen würden. Es wird erwartet, dass er ab Montag erneut seine Runde in Talkshows und Radiointerviews macht, um zu erklären, wieso das Votum für die Durchführung "neoliberaler Maßnahmen" dem "sozialistischen Grundgedanken" entspricht.

Probleme hat nun auch Fotis Kouvelis. Der Chef der Demokratischen Linken wollte eigentlich nach seiner Enthaltung bei den Sparbeschlüssen eine Zustimmung seiner Fraktion zum Etat als Vertrauensbeweis für die Regierung liefern. So hatte es seinen eigenen Worten zu Folge die Fraktion beschlossen. Zu den bereits bekannten Verweigerern Odysseas Boudouris und Paris Moutsinas gesellte sich nun auch der Kriminalrechtsprofessor Giannis Panousis.

Dieser hatte, weil der politische Dialog in Griechenland überwiegend medial und über das Internet ausgetragen wird, vor der Abstimmung auf seiner Facebook-Pinnwand notiert:

Eine vollkommen zerrissene Gesellschaft

Diese für Außenstehende sybillisch anmutenden Sätze geben ziemlich treffend die aktuelle Situation im Land wieder. Die von eigenen Interessen geleiteten Medienkonzerne des Landes versuchen in einem Zickzackkurs zwischen strenger Kritik und Anbiederung, die Gunst der Regierung zu gewinnen.

So hat der Medienkonzern DOL unter der Woche in zahlreichen Kommentaren dargestellt, dass am Ruin des Landes die sich nun verweigernden ausländischen Kreditgeber schuld seien. Für den Sender MEGA TV ist die Opposition an allem Schuld. Journalistisch in der Grauzone bewegen sich die Kommentatoren des Senders. Hauptkommentator Giannis Pretenteris freut sich über jeden Abstimmungserfolg der Regierung wie ein kleines Kind, während er aus Erfolgen der Opposition den kommenden Armageddon orakelt.

Verworrene Lebensläufe der Hauptakteure

Wirklich surreal werden die Fernsehkommentatoren wenn sie wie Manolis Kapsis konstatieren, dass "Stathis Panagoulis das lebende Beispiel dafür ist, wie man mit einem Familiennamen Karriere machen kann". Panagoulis' Bruder Alexandros, auch Alekos genannt, war bis zu seinem frühen Tod eine Ikone des Widerstands gegen die Militärjunta (1967 bis 74). Alekos Panagoulis hatte als einziger Grieche ein Attentat auf Diktator Giorgos Papadopoulos geplant und auch versucht.

Stathis Panagoulis (Mitte) neben Fraktionssprecher Lafazanis (links). Bild: W. Aswestopoulos

Sein Bruder Stathis, der ebenfalls im Widerstand aktiv war, begann die politische Karriere nach dem Sturz der Obristen bei der PASOK, wurde für diese Minister und trat bereits frühzeitig, 1982, aus der Partei aus, weil er im Kurs des Premiers Andreas Papandreou ein Rezept für die Verfilzung des Landes und den wirtschaftlichen Ruin sah. Später schloss sich Stathis der damaligen rechtskonservativen und nationalistischen Partei Politischer Frühling des jetzigen Premiers Samaras an, um schließlich beim linken SYRIZA von Alexis Tsipras zu landen. Kapsis, dem sich allein aus dem Lebenslauf von Stathis Panagoulis genügend Kritikpunkte ergaben, konzentrierte sich ausgerechnet auf die Verwandschaftsverhältnisse.

Manolis Kapsis ist jedoch der jüngere Bruder des Journalisten und zeitweiligen Regierungssprechers Pantelis Kapsis und der Sohn des ehemaligen PASOK-Ministers und Journalisten Giannis Kapsis. Es sitzt somit selbst im Glashaus. Allerdings ist das politische Wechselspiel von Stathis Panagoulis offensichtlich nicht einzigartig. Der Fraktionssprecher der Nea Dimokratia Makis Voridis hatte früher eine eigene rechtsradikale Splitterpartei, setzte auch gern Vorschlaghämmer gegen politische Gegner ein und wetterte als enger Freund der Familie Le Pen und mit dem Segen des Ex-Diktators Papadopoulos versehen bis ins neue Jahrtausend gegen die EU und den Euro. In diesem Jahr verteidigte er im Plenum den Euro und die EU als Werte, die es um jeden Preis und Inkaufnahme zahlreicher Opfer zu verteidigen gelte.

Von Spezialgerichtshöfen und Lynchjustiz

Der Anlass für Kapsis Kritik war ein "Wunsch" Panagoulis. Dieser hatte zum Schluss seiner Rede zum Staatsetat bemerkt, dass er den Befürwortern des Sparkurses ein Spezialgericht wünschen und hoffen würde, "dass Ihnen das Schicksal des US-Botschafters in Libyen erspart bleibt". Von dieser drastischen Sichtweise der Dinge distanzierte sich die SYRIZA-Fraktion, wie üblich, per Facebook und Twitter.

Der Eklat um Panagoulis sorgte für Aufregung, für Heiterkeit jedoch sorgte der Streit zwischen Adonis Georgiadis und der Fraktion der Chryssi Avgi. Deren Fraktionssprecher Ilias Kasidiaris hatte im Parlament eine Gehaltsabrechnung von Georgiadis präsentiert, um zu beweisen, dass Abgeordnete in Griechenland knapp 7000 steuerfreie Euros pro Monat erhalten. Dies sei zu viel, meinte Kasidiaris, und spottete über die "unvölkisch teure Uhr", die aus dem Hause Rolex stammend Georgiadis Handgelenk zierte.

Georgiadis, der aus der ebenfalls rechtslastigen und weitgehend ausländerfeindlichen Partei LAOS kommend erst im Sommer zur Nea Dimokratia gestoßen war, revanchierte sich bei seiner Rede. Statt über den Haushalt zu referieren, belegte er, dass die Kleidung der Gattin des ultrarechten Parteiführers Nikos Michaloliakos aus den teuersten Boutiquen des Landes stamme. Vollkommen "unvölkisch" fand Georgiadis, dass Michaloliakos seiner Gattin ebenfalls einen Parlamentssitz verschafft habe. Schließlich meinte er ironisch, dass jeder Grieche in finanzieller Not das Politikerehepaar aufsuchen solle, um einen Kredit zu erbitten: "Denn die haben es ja offensichtlich", meinte der im Land nur Adonis genannte Politiker.

Auf ähnlich hohem Niveau lief auch der überwiegende Rest der mehrtägigen Debatte. So ließ der Schauspieler Pavlos Chaikalis von den Unabhängigen Griechen während seiner Redezeit eine Tonbandaufzeichnung ablaufen. Aus den Lautsprechern tönte eine Rede von Samaras aus dessen Oppositionszeit. Darin belegte der aktuelle Premier mit ernsten Worten, warum Sparbeschlüsse wie die aktuellen den Ruin des Landes bedeuten würden.

Wortwörtlich auf den Kopf gestellt fühlten sich Beobachter der Reden, als ausgerechnet der Kommunistenhasser und zumindest zeitweilige Hitlerverehrer Nikos Michaloliakos Reden des Sowjetrevolutionärs Tomski benutzte, um seinen Standpunkt zu rechtfertigen.

Aleka Papariga möchte eine starke KP - und eine schwache linke Partei. Bild: W. Astestopoulos

Alle gegen SYRIZA

"Meine Herren des SYRIZA, Sie sind aus der Mode, die Chryssi Avgi ist nun modern", meinte Evangelos Venizelos, dessen Rede sich vor allem auf eine Auseinandersetzung mit Tsipras Partei konzentrierte. In die gleiche Kerbe schlug die Generalsekretärin der Kommunistischen Partei, Aleka Papariga. Sie zerpflückte zwar das Regierungskonzept mit einer Reihe von Argumenten, sparte jedoch nicht an Sticheleien gegen die parlamentarischen Sitznachbarn vom SYRIZA. Das brachte ihr auch von der Nea Dimokratia Beifall und Lob ein.

Spott dagegen kassierte vom Koalitionspartner Nea Dimokratia die Regierungsabgeordnete Maria Repousi. Die Geschichtsprofessorin hat sich im Land mit einer dem Nationalgedanken kritisch gegenüberstehenden Sichtweise viele Feinde geschaffen.

Die Verwirrung wurde schließlich komplett, als sich Samaras in seiner Schlussrede auf Lenin berief. Er wolle ebenso wie der bolschewikische Revolutionär innerhalb weniger Tage einen Umsturz bewerkstelligen, erklärte Samaras.

Am Montag entscheidet die Eurogruppe

Samaras gab sich noch in der Nacht zuversichtlich, dass bereits in den kommenden Tagen mehr als die ausstehenden 31,5 Milliarden Euro ins Land fließen würden. Den Griechen versprach er eine rasche kommende, überaus hitzige Konjunkturexplosion. Es bleibt zu hoffen, dass die Eurogruppenmitglieder, die am heutigen Montag entscheiden, nicht zufällig aus Langeweile das griechische Parlamentsfernsehen gesehen haben. Der Sender ist über Satellit in ganz Europa zu empfangen.

Wie es wirklich mit dem Land weitergehen soll, darüber wurde in den vergangenen Tagen im Parlament kaum diskutiert. Stattdessen übten sich die Matadore der Parteien bereits jetzt im Vorwahlkampf. Schlüssige Konzepte für die Zukunft gab es kaum. Erschreckend ist, dass lediglich die Kommunisten und die Rechtsradikalen ein ihrer Ideologie entsprechendes, insofern also stimmiges Konzept vorlegten. Seitens des SYRIZA bleibt es beim Standpunkt, dass ein Schuldenmoratorium wie für das im Zweiten Weltkrieg für Deutschland beschlossene, als notwendige Vorraussetzung für eine wirtschaftliche Gesundung dienen soll. Die Unabhängigen Griechen möchten die immer noch nicht beglichenen Zwangskredite des Dritten Reiches als Finanzierungsquelle anzapfen und die Regierung hofft, so klang es aus den zahlreichen Zweifeln am eigenen Programm heraus, auf eine gnädige Einsicht der Europäer.

So gesehen, erscheint es den Umständen entsprechend nur logisch, dass Samaras, der eigenen Worten zufolge noch vor Tagen mit Gott sprach, nun doch lieber Lenin sein möchte.