Nordafrika zwischen Powerplants und Powerpoint

Skizze einer möglichen Infrastruktur für eine nachhaltige Stromversorgung in Europa, dem Nahen Osten und Nordafrika (EU-MENA). Bild: Desertec

Desertec: Der große Wurf mit dem Strom aus der Wüste gelingt nicht

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Die verbindende Stromtrasse aus der nordafrikanischen Wüste nach Europa ist eine der großen Visionen zur Energieversorgung auf Basis der Wind- und Sonnenenergie. Nachdem sich die politischen Verhältnisse in den arabischen Mittelmeerstaaten zu stabilisieren scheinen, nimmt das Großvorhaben der Desertec-Stiftung nun drei Jahre nach seiner Gründung die ersten Modellvorhaben ins Visier. Das Industriekonsortium sieht vor, in den drei Ländern Marokko, Algerien und Tunesien regenerative Projekte mit insgesamt 2,5 Gigawatt an installierter Kapazität zu realisieren. Doch die Umsetzung kommt nicht voran. Jeder Part kocht sein eigenes Süppchen. So verweigert bislang die spanische Regierung ihre Zustimmung. Auch eine der deutschen Leitfiguren, der Siemens-Konzern, hat angekündigt, sich aus dem Großprojekt zurück zu ziehen.

Es braucht eine gehörige Portion diplomatischen Geschicks, um ein seit Jahren nur auf dem Papier bestehendes Großprojekt der Öffentlichkeit immer wieder aufs Neue als die große Energievision zu verkaufen. Oder wie ein Beobachter die mit Desertec verbundene strategische Herausforderung prägnant so formuliert: Wir brauchen Powerplants statt Powerpoint. Hier zunächst ein Auszug aus der Selbstbeschreibung des industriellen Konsortiums der Desertec-Stiftung:

Das DESERTEC-Konzept zeigt einen Weg um Klimaschutz, Energiesicherheit und Entwicklung zu gewährleisten, indem die energiereichsten Standorte der Welt genutzt werden, um nachhaltigen Strom aus erneuerbaren Energien zu produzieren. Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragung (HGÜ) ermöglicht es, diese Standorte zu erschließen. Anders als herkömmliche Wechselstromleitungen, können HGÜ-Leitungen sauberen Strom über weite Distanzen befördern, bei geringen Verlusten von etwa 3 Prozent je 1.000 Kilometer.

Alle Arten der erneuerbaren Energien werden einbezogen, jedoch spielen sonnenreiche Wüsten eine besondere Rolle im DESERTEC-Konzept: Die Wüsten der Erde empfangen in 6 Stunden mehr Energie von der Sonne, als die Menschheit in einem Jahr verbraucht. Wüstenstrom aus solarthermischen Kraftwerken ist dank Wärmespeicher Tag und Nacht verfügbar und somit eine ideale Ergänzung für Stromnetze mit fluktuierenden erneuerbaren Energiequellen wie Windkraft und Photovoltaik.

Da 90 Prozent der Menschen innerhalb einer Entfernung von 3.000 Kilometern zu Wüsten leben, kann DESERTEC nicht nur in Europa, dem Nahen Osten und Nordafrika (EU-MENA) realisiert werden, sondern auch in Subsahara-Afrika, im Süden Afrikas, Amerika, Australien, Indien und ganz Ostasien, wo Verbrauchszentren in der Reichweite geeigneter Wüsten liegen.

Desertec-Foundation

Blicken wir einmal in die gläserne Kugel, was von dieser Vision am Ende übrig bleibt. Bei einem derart international angelegten Vorhaben wie Desertec dürfe es keine Gewinner und Verlierer geben, betonte Paul van Son, Geschäftsführer der Desertec Foundation zu Beginn der dritten Jahreskonferenz des Zusammenschlusses in Berlin. Doch die ersten Verlierer stehen bereits heute fest. Nicht nur haben die als wichtige Basistechnologie genannten solarthermischen Kraftwerke bislang den Nachweis ihrer Wirtschaftlichkeit und technischen Energieeffizienz noch nicht ausreichend erbringen können.

Ungewiss ist auch in einem reichlich unwägbaren politisch-ökonomischen Umfeld, welche konkreten Projekte sich überhaupt für eine derart hochgesteckte Energievision lohnen. Und wenn sie sich lohnen, dann fragt sich letztlich, wer vor allem davon profitieren wird. Die spanische Regierung und Wirtschaft dürften jedenfalls nicht zu den Gewinnern gehören, denn sie verweigert bislang ihre Zustimmung. Nicht nur hat diese mit der Bewältigung der eigenen Wirtschaftskrise ganz andere Sorgen. Hinzu kommen weitere hausgemachte Probleme, wie spanische Überkapazitäten im Bereich der Solarenergie. Zu einer Zustimmung durchringen kann sich bislang auch nicht der spanische Netzbetreiber Red Electrica, der mit der EU-Kommission bereits eine erste Machbarkeitsstudie erstellt hat.

Hinzu kommen die unterschiedlichen Interessen innerhalb der Europäischen Union, die gerade in der Energiefrage einem mehrstimmigen Chor ohne Dirigenten gleicht. Trotzdem sind die Initiatoren von Desertec bemüht, jedes kleine "memorandum of understanding" als durchschlagenden Fortschritt zu verkaufen. Geplant ist eine Reihe von Referenzprojekten, von denen jedoch eines erst wirklich auf den Weg gebracht scheint. In Marokko soll das erste Photovoltaik- und Windpark-Projekt entstehen. In Angriff nehmen will es der deutsche Stromversorger RWE. Geplant ist eine installierte Leistung von 500 Megawatt in Marokko. Zugute kommen dem heimischen Energieversorger dabei auch staatliche Vergünstigungen für Wind- und Solarprojekte, mit denen denn die Regierung die Schlagzahl beim Ausbau der erneuerbaren Energien erhöht.

RWE fungiert in Marokko als Vorreiter

Von einer Stromtrasse nach Europa ist übrigens bei diesem Vorhaben nicht die Rede. Das Projekt scheint sich ganz einfach so zu rechnen, auch ohne Desertec, nur dass man es eben jetzt unter diese große Vision eingruppieren kann. RWE setzt dabei nach eigenen Angaben auf ein virtuelles Kraftwerkskonzept, das die Erzeugung von Onshore-Windenergie und der Photovoltaik bündeln soll, um dadurch die Kosten beider Technologien zu reduzieren, lässt dazu RWE Energy verlauten.

Weitere denkbare Zielgebiete für Referenzprojekte liegen in Algerien und Tunesien, diese kommen dort im Gegensatz zu Marokko aber nicht so recht von der Stelle. Macht man sich die Zielrichtung des Projekts deutlich, so wird ersichtlich, warum derartige Großvorhaben die Tendenz haben, nicht unbedingt die richtigen Akteure vor Ort profitieren zu lassen. Zwar unterstützen auch Organisationen wie Greenpeace das Vorhaben prinzipiell, verweist aber auch auf das politische Risiko, dass man in Europa dadurch möglicherweise die eigenen Klimaschutzziele absenkt. Anders ausgedrückt: Desertec darf laut Greenpeace kein Vorwand etwa für deutsche Stromversorger sein, zuhause die Anstrengungen beim Ausbau der erneuerbaren Energien zurückzufahren, und stattdessen nur viel versprechende Aktivitäten im Ausland zu forcieren.

So verwundert es kaum dass sich auf der 3. Dii Desert Energy Conference Anfang November in Berlin zwar das Who-is-Who der internationalen Energiebranche versammelt hatte. Man bemühte sich, eine Stimmung von Zweckoptimismus zu verbreiten, angesichts der hochgesteckten aber bislang kaum in Angriff genommenen Zielmarken. Denn die erneuerbaren Energien mit dem Strom aus der nordafrikanischen Wüste sollen bis zum Jahr 2050 immerhin mehr als 90 Prozent zum europäisch-nordafrikanischen Energietransfer beisteuern.

Mit dem Zauberstab zum Wüstenstrom nach Europa

Der Haken: Bislang zeichnet sich jenseits von europäisch-nordafrikanischen Absichtserklärungen keine verbindliche Roadmap für den aufwändigen Neubau von grenzüberschreitenden Stromtrassen ab. Zu unterschiedlich ist das Marktdesign nicht nur bei der Förderung der erneuerbaren Energien ausgelegt. Im Klartext: Wie sollen einzelne Regionen und ganze Staaten bei derart unterschiedlichen Gesetzgebungen einen gemeinsamen Nenner finden? In der afrikanischen Region selbst gefragt sind laut Desertec neben der Windenergie und Photovoltaik vor allem solarthermische Anlagen, deren Wirtschaftlichkeit bislang unter Experten jedoch weiter umstritten ist.

Aus der Industrie sind derzeit 57 Unternehmen an Desertec beteiligt, darunter auch deutsche Global Player. Neben der schwierigen Aufgabe, die Arbeit der Akteure auf internationaler Ebene zu koordinieren, mehren sich kritische Stimmen. So kündigte mit dem Siemens-Konzern zum Jahresende immerhin einer der wichtigsten Sympathieträger den Rückzug aus der Desertec-Initiative an. Begründet wurde dies laut Desertec mit dem Ausstieg aus dem Solargeschäft. Auch andere Industrieunternehmen überdenken angesichts der europäischen Krise in der Solarindustrie ihre geschäftliche Ausrichtung.

Desertec und der "local content"

Parallel dazu stellt sich immer wieder auch die lokale Akzeptanzfrage, wenn etwa neue Stromtrassen über den Kopf der lokalen Regierung hinweg verlegt würden. Schließlich stellt sich bei einem potentiellen Milliardenprojekt auch die Kostenfrage, die nicht nur zu Lasten der Stromverbraucher gelöst werden kann. Kurzum, angesichts von unterschiedlichen Interessen zwischen Wirtschaft und Politik erscheint ein Konsens in einer krakenähnlichen Matrix unwahrscheinlich, also eine verbindliche international ausgerichtete Roadmap, statt nur lose koordinierter regionaler Aktivitäten zwischen den Akteuren.

Derweil hält auch die Suche nach geeigneten Investoren für das Milliardenprojekt weiter an. Im Gespräch sind unter anderem chinesische und amerikanische Unternehmen. Desertec-Vertreter Paul van Son sprach sich in Berlin in diesem Zusammenhang klar für ein marktorientiertes Unterstützungssystem aus, statt flankierenden staatlichen Subventionen.

Dennoch bleibt neben der unklaren politischen Agenda vor allem die Kostenfrage weiter ungelöst. Sprich, auf welche Art und Weise der Strom letztlich über alte oder neue Trassen von Nordafrika nach Europa gelangen soll. Derzeit hakt es vor allem an Spanien, deren Regierung noch kein grünes Licht für eine Beteiligung und potentielle Durchleitung an andere europäische Länder erteilt hat.

Statt der großen Energievision dürfte in den kommenden Jahren bei dem Industriekonsortium Desertec somit eher mit einer Politik der kleinen, bisweilen hilflosen Schritte zu rechnen sein. Oder in diplomatischem Duktus ausgedrückt: Von den neu aufgesetzten Vorhaben beim Wüstenstrom sollen zunächst vor allem die lokalen Akteure in den drei ausgewählten Zielgebieten profitieren. Aber auch diese Aussage kommt nicht mehr als einer politischen Absichtserklärung gleich.

Aus der Machbarkeitsstudie über mögliche Leitungskorridore. Bild: Desertec

Nach Afrika kommt das "Asia Super Grid"

So darf es den Beobachter einigermaßen verwundern, dass die Initiative schon die nächste große Energievision in Asien an die Wand malt, obwohl der ursprüngliche Plan, eine verlässliche Energieachse zwischen Europa und Nordafrika auf Basis von erneuerbaren Ressourcen zu etablieren, noch nicht einmal ansatzweise in trockenen Tüchern zu sein scheint. Trotzdem holt die Desertec-Stiftung zum nächsten verbalen Rundumschlag im Post-Fukushima-Zeitalter aus. Darin sprechen sich die Desertec-Initiatoren und die Japan Renewable Energy Foundation (JREF) für ein asiatisches Super-Stromnetz aus. Es soll nichts weniger als die Vollversorgung Asiens mit erneuerbaren Energien ermöglichen.

Dazu nahm Ende Oktober die vom Milliardär und JREF-Gründer Masayoshi Son geleitete japanische Softbank Corporation den ersten Schritt zur Umsetzung dieses "Asia Super Grids" in Angriff. Im leicht abgewandelten Verlautbarungsjournalismus liest sich diese Ankündigung wie folgt: Die geschäftliche Energiesparte der japanischen Softbank will bis Ende des Jahres zusammen mit der mongolischen Newcom LLC einen Windkraftstandort in der Gobi-Wüste identifizieren.

Der erste Windpark mit einer Leistung von 300 Megawatt soll zumindest vor unserem geistigen Auge bereits 2014 den Betrieb aufnehmen. Das Motto lautet: Präsentieren ist alles. Weitere Windparks werden zumindest auf attraktiven Powerpoint-Folien folgen. Insgesamt könnten so in den nächsten Jahren Windparks mit einer Gesamtleistung von 7000 Megawatt im mongolischen Teil der Gobi-Wüste in Betrieb gehen.

Dass regionale Projekte für Wind- und Solaranlagen nach genauer Prüfung der jeweiligen Standorte aussichtsreich sein können, mag kaum ein Experte bestreiten. Im Jahre 2050 soll uns aber eine blühende neue Industrielandschaft erwarten, aus dem Vereinigten Königreich der erneuerbaren Energien. Denn es geht bei Desertec der Marke Asien um nichts weniger, als die großen regenerativen Naturreservoirs in den entlegenen Gebieten Asiens wie der Gobi-Wüste für die Stromproduktion in den Ballungszentren der ganzen Region nutzbar zu machen.

Ein Asia Super Grid, das mag für manchen jedoch als ein zu starker Zaubertrank von Harry Potter aus dem Reich der Phantasie erscheinen, wo alles möglich scheint. Wie soll das geschehen? Ganz einfach: Das von der Desertec-Stiftung und der japanischen Renewable Energy Foundation JREF unterstützte "Asia Super Grid" sieht nichts weniger als eine Vernetzung der nationalen Stromnetze zwischen Japan, Korea, China, der Mongolei und Russland vor.

Gobi-Wüste, Turpan-Senke. Bild: Mark Lehmkuhler/Desertec

Um dieses Asia Super Grid zur Wirklichkeit werden zu lassen, reichen übrigens diverse verlustarme Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragungsleitungen völlig aus. Das technisch, politisch und wirtschaftlich Kleingedruckte lassen wir außen vor. Etwa dass es derzeit unter anderem ein "kleines" politisch-atmosphärisches Problem zwischen der japanischen und chinesischen Regierung in Grenzfragen geben soll. Denn schließlich möchten wir die große Energievision von Desertec I und II nicht durch die Kraft der negativen Gedanken vorzeitig gefährden.

Zum Autor: Lothar Lochmaier arbeitet als Freier Fach- und Wirtschaftsjournalist in Berlin. Im Mai 2010 erschien sein Telepolis-Buch: Die Bank sind wir - Chancen und Zukunftsperspektiven von Social Banking. Er betreibt das Weblog Social Banking 2.0.