Ausländerhass, Abschottung und Entsolidarisierung

Der Bericht "Mitte im Umbruch" von der Friedrich Ebert Stiftung zum Rechtsextremismus in Deutschland

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"In Deutschland funktioniert alles so reibungslos, dass die Seele nach Abwechslung hungert". Was der britische Historiker Tony Judt 2010 in seinen Memoiren schrieb, war lange Zeit in mehreren Variationen ein gültiger Konversationssatz über Deutschland. Widersprochen wurde da kaum.

Das reibungslos funktionierende Deutschland ist schon weit vor 2010 eine Generalisierung gewesen, ein im Gespräch gern benutztes Allgemeinurteil als Ausgangspunkt für nationale Vergleiche auf einer Ebene, wo Mentalitäten, stilisierende Alltagsbeobachtungen usw. das Gespräch vorantreiben und kleine Widersprüche nicht so wichtig genommen wurden, weil sie das Vergnügen an solchen Unterhaltungen nur gestört hätten. Jeder, der genauer hinschaut, weiß, dass in Deutschland nichts so reibungslos funktioniert, wie es der äußere Anschein nahelegen könnte. Vielleicht legt man aber in Deutschland besonderen Wert darauf, diesen Anschein zu erwecken.

Die gestern von der Friedrich Ebert Stiftung veröffentlichte Studie Mitte im Umbruch. Rechtsextreme Einstellungen in Deutschland 2012 erhebt den Anspruch, sehr genau hinzuschauen. Am Ende der 124 Seiten hofft man, dass Deutschland möglichst gut funktioniert, weil in jenen Teilen, wo es wirtschaftlich nicht so funktioniert, sich Einstellungen aufbauen, vor denen man sich fürchten muss.

Knapp 16% der Ostdeutschen haben ein geschlossenes rechtsextremes Weltbild. Das ist der höchste in den "Mitte-Studien" bisher gemessene Wert, und die gegenwärtige Tendenz ist steigend.

Bei der Vorgängeruntersuchung Die Mitte in der Krise waren es noch 10,5 Prozent. Als bemerkenswert notieren die Autoren die Beobachtung, dass der Zuwachs vor allem von den Jüngeren kommt; in der Erhebung werde eine "neue Generation des Rechtsextremismus" sichtbar. Dabei richten die Verfasser den Blick über die Besonderheiten Ostdeutschlands hinaus.

Im größeren Blick zeigt sich nämlich eine Gemeinsamkeit mit jenen westdeutschen Gebieten, wo rechtsextreme Anschauungen mehr Verbreitung finden: Es sind Regionen, die abgekoppelt sind von wirtschaftlichen Entwicklungen, die mit Verschuldung zu kämpfen haben und mit hohen Arbeitslosenzahlen. An diesem Befund schließt sich eine Warnung an:

Diese zurückgelassenen Regionen bringen für die Demokratie langfristig viel schwerwiegendere Probleme mit sich als "nur" hohe Arbeitslosenzahlen oder Verschuldungsraten. Diese Situation darf keinesfalls unbeantwortet bleiben. Und natürlich geht es dabei um politisch hart umkämpfte Verteilungsfragen, nämlich um die Verteilung von Arbeit und Wohlstand.

Wobei, wie fefe aufmerksam macht, manche Besonderheiten in Ostdeutschland einen eigenen Blick wert sind: So haben die CDU mit 47,8%, die SPD mit 48,3 Prozent, die Linken mit 36,2 Prozent und die Grünen mit 37,5 % unglaublich hohe Werte bei der Ausländerfeindlichkeit - gerade dort, wo der Ausländeranteil an der Bevölkerung niedriger ist als anderswo.

Selbstverständlich fehlt bei der Studie der Friederich Ebert Stiftung nicht der Hinweis auf Wirkungen, die die neoliberalistische Wirtschaftspolitik auf jene Teile der Bevölkerung hat, die davon nicht profitieren. Die "Grammatik der Härte", die solcher Wirtschaftspolitik eingeschrieben ist, insofern der Einzelne dort zum nebensächlichen, untergeordneten Faktor wird, fördert Einstellungen, die sich als ausgeschlossen begreifen und ihrerseits härtere Positionen zur Gemeinschaft einnehmen und damit verbunden auch die Hinwendung zu antidemokratischen Einstellungen.

"Rechtsextremismus" und die Brücke zur Mitte

"Rechtsextremismus" wird von den Autoren Oliver Decker, Johannes Kies und Elmar Brähler in seiner Konfrontation mit Werten untersucht, die wesentlich für eine funktionierende Demokratie sind - Offenheit, Vielfalt, Beteiligung und insbesondere Gleichheit und Würde der Individuen. Dem stehen die Hinwendung zu autoritären Mustern entgegen sowie Ansichten, die bestimmten ethnischen oder religiösen Gruppen kulturell minderwertig sind und daraus abgeleitete Ressentiments.

Der Rechtsextremismus ist ein Einstellungsmuster, dessen verbindendes Kennzeichen Ungleichwertigkeitsvorstellungen darstellen. Diese äußern sich im politischen Bereich in der Affinität zu diktatorischen Regierungsformen, chauvinistischen Einstellungen und einer Verharmlosung bzw. Rechtfertigung des Nationalsozialismus. Im sozialen Bereich sind sie gekennzeichnet durch antisemitische, fremdenfeindliche und sozial-darwinistische Einstellungen.

Der Bericht zeigt in der Tendenz, die fortführt, was die vorgehenden Berichte schon dokumentierten, dass solche Einstellungen weit verbreitet sind, dass sich einerseits in Deutschland mit empirischen Mitteln messbar eine Abschottung der wirtschaftlich Benachteiligten zeigt. Womit auch das Phänomen einer Entsolidarisierung einher geht, Ausgrenzungen gegenüber sozial Schwachen wie Arbeitslose oder Obdachlosen.

Anderseits beobachtet die Studie eine eigentümliche Brücke zwischen Rechtsextremismus und und Konservatismus innerhalb der rechten Flügel der demokratischen Parteien. Positionen, die als "ethnopluralistisch" gekennzeichnet werden und von höheren und niedrigeren Kulturen bzw. Ethnien ausgehen, sind auch vielfach in der Mitte der Gesellschaft verbreitet und für Ressentiment gesteuerte Politik zu mobilisieren.

Die Berechtigung einer Kritik am Islam ist nicht nur gegeben, sie wird auch von gut 60,8% der Bevölkerung geübt. Eine islamfeindliche Haltung wird allerdings auch von 36,2% der Bevölkerung eingenommen. Dieser Wert ist ähnlich wie bei der Ausländerfeindlichkeit und beim primären und sekundären Antisemitismus erschreckend hoch.

Noch fallen die Antworten auf Fragen nach der Zufriedenheit mit der Demokratie hoch aus, sie liegen im Osten wie im Westen bei über 90 Prozent (Ost: 92,1; West: 95,5) und die wirtschaftliche Lage wird gesamtdeutsch von knapp der Hälfte, 51 Prozent, mit "sehr gut/gut" angegeben. 2010 waren dies 41,3 Prozent und 2006 38,5 Prozent. Was aber, wenn das nicht mehr so ausfällt?