"Ich möchte, dass die Bertelsmänner daran erinnert werden, womit sie ihr Geld verdienen"

Bei Dieter Bohlen, Heidi Klum oder Daniela Katzenberger lernt der Nachwuchs, wie der soziale Aufstieg zu schaffen ist

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Was machen Casting-Shows und Reality-Sendungen eigentlich mit den Zuschauer, die solche Formate ernst nehmen? Eine Studie der gewerkschaftsnahen Otto-Brenner Stiftung versuchte, dieser Frage auf den Grund zu gehen und kommt dabei zu erstaunlichen Ergebnissen.

"Knie nieder!", befiehlt "Pop-Titan" Dieter Bohlen der 16-jährigen Kandidatin Katja. Sie fällt auf die Knie und bettelt: "Ich will in den Recall, bitte, bitte, bitte!" Bohlen lässt Gnade walten und erhört sie bei "Deutschland sucht den Superstar" (DSDS). In der Casting Show "Germanys next Top Model" (GNTM) befiehlt Heidi Klum den Kandidatinnen halb nackt in einer Eisbar zu posieren. Wer sich weigert wird zur Heulsuse abgestempelt und damit zur Buhfrau der Show. Daniela Katzenberger dagegen zeigt in ihrer Doku-Show "Natürlich Blond", wie aus jemandem, der nichts kann, zu guter Letzt doch noch ein Star werden kann. Irgendwo habe sie gelesen, dass es bereits kleine Mädchen gebe, die sich wünschten später einmal Katzenbergerin zu werden. "Das ist doch total abgefahren", so Katzenberger.

"Diese Sendungen bedienen das Motiv, nur die Stärksten würden überleben. Schwache ernten eher Häme als Mitgefühl. Die Shows sind damit ein Spiegelbild gesellschaftlicher Aggressivität", schreibt Bernd Gäbler, der Autor der, von der gewerkschaftsnahen Otto Brenner Stiftung herausgegebenen, Studie "Hohle Idole" über diese Beispiele. Bohlen, Klum und Katzenberger zeigten den Zuschauern, wie sie berühmt und erfolgreich werden könnten, so Gäbler.

Die Casting-Show als Exerzierplatz für das Leben. Nicht der sozial Handelnde, sondern vielmehr der Egoist und Sozialdarwinist, einer, der bereit ist, sich bedingungslos über andere hinwegzusetzen und ebenso bedingungslos sich anderen unterzuordnen, wird letztendlich erfolgreich sein in seinem Leben.

Derweil ist das Problem eines solch übersteigerten Egoismus bereits in der Psychologie angekommen. Narzisstische Persönlichkeitsstörung (NPS) wird es dort genannt. Manche Psychologen gehen davon aus, dass etwa ein bis zwei Prozent der Bevölkerung davon betroffen sind. Weiteren 6 Prozent der Bevölkerung werden eine mildere Form des Egoismus, eine narzisstische Persönlichkeit, attestiert. Und die Zahlen weisen nach oben.

Anpassungsfähigkeit und Gehorsam

Beziehungskonflikte und ein problematisches Aggressionsverhalten durchziehen das Leben vieler Betroffener und spiegeln sich auch in deren Verhalten auf ihrem Weg nach "ganz Oben" wider. Mittelmaß ist nichts mehr. Nur die Höchst- und Bestleistung ist überhaupt erwähnenswert. Der übriggebliebene Rest dagegen bekommt das, was eben übrig bleibt: Hohn, Spott und nicht selten ein derangiertes Selbstwertgefühl.

Doch nicht nur der in den Shows propagierte Egoismus ist für Gäbler ein Problem. Die Werte, die dort offen oder versteckt propagiert würden, seien Anpassungsfähigkeit und Gehorsam. "Insbesondere GNTM erzieht zu Gehorsam", so Gäbler.

Weiter kommt nicht der, der bereit ist, für seine eigenen Vorstellungen aufzustehen und sie zu vertreten, sondern vielmehr der, der es am besten schafft, sich unterzuordnen und dabei das gewünschte Bild von sich selbst in die Köpfe der anderen zu projizieren. Nicht mehr die Leistung ist das ausschlaggebende Kriterium, sondern vielmehr das, was als besondere Leistung gegenüber den anderen dargestellt wird, also das selbst inszenierte Image einer Person. Dabei drücken solche Formate durchaus auch einen gewandelten Zeitgeist aus, so Gäbler.

Gerade die junge Generation ist unsicher über das soziale Gefüge der Zukunft. Sie spürt, dass sie nicht selbstverständlich wieder den sozialen Status der vorangegangenen Generation erringen wird.

Bohlen, Klum und Katzenberger machten an der Oberfläche des Unterhaltungsfernsehens sichtbar, welche größeren Verwerfungen und Umbrüche letztlich die Basis des Erfolgs seien. Letztendlich sind solche Shows eben auch ein Spiegelbild der Gesellschaft. Nicht die Emanzipation der einzelnen Gesellschaftsmitglieder wird gestärkt, sondern vielmehr die Unterordnung des Einzelnen unter eine x-beliebige Herrschaft.

Immer mit dem Argument der Leistung - allen voran in der Arbeitswelt. Nun ist es sicherlich deutlich zu weit gegriffen, davon zu sprechen, dass solche Shows der Demokratie gefährlich werden können. Trotzdem bleibt: die Werte, die Bohlen, Klum und Katzenberger in ihren Shows propagieren, sind weder herausragend demokratisch, noch besonders emanzipatorisch.

Wer den Vorteil hat

Dabei geht es Gäbler in seinem Fazit der Studie nicht nur um eine platte Medienschelte. Ihm geht es auch darum, wer eigentlich einen Vorteil aus solchen Formaten und damit deren Wertetransport in die Gesellschaft hat. Nicht ohne Grund antwortet Gäbler daher auf die Frage, was er eigentlich mit dieser Kritik an diesen TV-Formaten erreichen möchte, mit dem Satz:

Ich will eine Debatte darüber, über die Richtung, in die sich diese Art der TV-Unterhaltung entwickelt. Und ich möchte auch, dass jemand die Bertelsmänner dieser Welt - wenn große Reden gehalten werden über Werte und gesellschaftliche Verantwortung - daran erinnert, womit sie tatsächlich ihr Geld verdienen.

Es gehe darum, wie wir in Zukunft "Erfolg und Leistung definieren wollen, welche Fähigkeiten und Qualifikationen uns wichtig sind" und welchen sozialen Umgang wir miteinander fördern wollen. Womit wir wieder bei der Frage angekommen wären, warum sich jemand eigentlich eine solche Erniedrigung antut? Er tut es sich an, weil er es als einzige Chance auf Erfolg begreift und zeigt damit, dass er bereit ist, alles dafür zu tun.

Wer sich also über immer fleißigere Studenten, immer rücksichtslosere Chefs oder auch einfach nur über das gelegentliche unkollegiale Verhalten seiner Kollegen wundert, sollte einfach mal einen kleinen Blick in DSDS, GNTM oder auch einfach nur "Natürlich Blond" werfen. Dort kann gelernt werden, wie der soziale Aufstieg gelingt.