Das Grundeinkommen ist ein Irrweg

Heiner Flassbeck und Friederike Spiecker erklären, warum das Grundeinkommen die ökonomische Basis zerstört, aus der heraus es bezahlt werden soll

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im Telepolis-Interview

Sollte es ein bedingungsloses Grundeinkommen für jeden Bürger geben? Ob Linkspartei, die Piraten-Partei oder Bürgerinitiativen: Die Idee für ein bedingungsloses Grundeinkommen, nach der einem jeden Bürger ein bestimmtes monatliches Einkommen gezahlt werden soll, unabhängig davon, ob er arbeitet oder nicht, ob er Vermögenswerte besitzt oder nicht, hat viele Befürworter. Selbst Unternehmer, wie beispielsweise Götz Werner, Gründer einer Drogeriemarktkette, setzen sich bisweilen für ein Grundeinkommen von 1000 Euro im Monat ein.

Der Wirtschaftswissenschaftler Heiner Flassbeck, der auch Direktor bei der UN-Organisation für Welthandel und Entwicklung (UNCTAD) in Genf ist, hat zusammen mit der Diplom-Volkswirtin Friederike Spiecker, dem Wirtschaftswissenschaftler Volker Meinhardt und dem bis 2007 beim Deutschen Institut für Wirtschaftsfragen "Verantwortlichen für Grundsatzfragen der Finanzpolitik", Dieter Vesper, nun ein Buch vorgelegt, das ein bedingungsloses Grundeinkommen als "Irrweg" bezeichnet: Irrweg Grundeinkommen: Die große Umverteilung von unten nach oben muss beendet werden.

Im Telepolis-Interview erklären Flassbeck und Spiecker, warum ein bedingungsloses Grundeinkommen ihrer Meinung nach keine Lösung sein kann. Für Flassbeck und Spiecker ist das bedingungslose Grundeinkommen ein Beispiel dafür, wie versucht wird, Symptome zu behandeln ohne auf die tatsächlichen Ursachen, die den Ruf nach einem bedingungslosen Grundeinkommen erst haben laut werden lassen, einzugehen.

Frau Spiecker, Herr Flassbeck, seit geraumer Zeit stehen Vorschläge im Raum, ein bedingungsloses Grundeinkommen einzuführen. In ihrem neuen Buch bezeichnen Sie solch ein Grundeinkommen als "Irrweg". Warum?

Friederike Spiecker: Es wird die Lage derjenigen, denen es eigentlich helfen soll, also die der Arbeitslosen und der Geringverdiener, nicht verbessern, sondern verschlechtern. Gut gemeint ist eben noch lange nicht gut.

Heiner Flassbeck: Es ist eine wunderbare Idee, nur leider nicht zu verwirklichen.

Wo genau liegen ihrer Meinung nach die Probleme bei einem bedingungslosen Grundeinkommen?

Friederike Spiecker: Das Grundeinkommen zerstört die ökonomische Basis, aus der heraus es bezahlt werden soll, durch sein Konstruktionsprinzip. Wenn es Geld vom Staat ohne Arbeitsgegenleistung nicht nur in den Fällen von Arbeitslosigkeit, Alter, Krankheit, Unfall, Pflege usw. gibt, wie das im derzeitigen Sozialversicherungssystem vorgesehen ist, sondern auch dann, wenn der einzelne im Prinzip in der Lage ist zu arbeiten - das bedeutet nämlich "bedingungslos" -, besteht ein Anreiz, sich auf dieser Leistung des Staates in dem Sinne auszuruhen, dass man um den Betrag weniger arbeitet, den man automatisch vom Staat erhält.

Aber so muss sich ja nicht jeder verhalten?

Friederike Spiecker: Nein, natürlich nicht, aber es genügt, wenn es einige Leute - völlig legal - tun. Dann nimmt die gesamte Wirtschaftsleistung ab, die ja die Besteuerungsbasis ist, aus der heraus das Grundeinkommen gezahlt werden muss. Je nachdem, welches Grundeinkommensmodell man betrachtet, sind die Anreize zu arbeiten und ein Marktangebot zu machen, das der Staat dann zur Finanzierung des bedingungslosen Grundeinkommens besteuert, unterschiedlich. Insgesamt gesehen wirken aber alle Varianten des bedingungslosen Grundeinkommens autarkiefördernd, d.h. das Do-it-yourself wird vorteilhafter.

Was meinen Sie damit?

Friederike Spiecker: Die Arbeitsteilung lohnt sich weniger. Und das ist zweifellos mit Produktivitätsrückgängen oder zumindest mit geringeren Zuwächsen bei der Produktivität verbunden.

Heiner Flassbeck: Man kann einfach nicht, wie in einigen Vorschlägen vorgesehen, ein Drittel des Durchschnittseinkommens der Gesamtwirtschaft ohne Gegenleistung zur Disposition stellen.

Können Sie uns etwas mehr von Hintergründen erzählen, die überhaupt erst dazu führen, dass der Ruf nach einem bedingungslosen Grundeinkommen so laut geworden ist?

Heiner Flassbeck: Es gibt sicher mehrere Grundstimmungen in der Bevölkerung, die vom bedingungslosen Grundinkommen aufgegriffen und kanalisiert werden. Dazu gehört sicher die Frustration über die permanente Umverteilung, die immer noch hohe Arbeitslosigkeit und ein weit verbreiteter Wachstumspessimismus. Außerdem: In unserem Buch stellen wir die "große Umverteilung" der letzten 30 Jahre in den Vordergrund. Sie war ein wirtschaftspolitischer Fehler, nicht nur ein sozialpolitisches Problem, weil die Zunahme der Produktivität immer von der Zunahme der Masseneinkommen begleitet sein muss, damit die Wirtschaft funktioniert. Das ist weitgehend unverstanden. Es kann auch von einem Modell wie dem bedingungslosen Grundeinkommen mit vollkommen unklaren Verteilungswirkungen niemals korrigiert werden.

In den Medien sind immer wieder Stimmen zu hören, die davon sprechen, dass gerade aufgrund der "Reformen" in Deutschland das Land im Vergleich zu anderen Staaten ausgezeichnet dasteht.

Friederike Spiecker: Das ist bestenfalls kurzfristig und wie gesagt auch nur durchschnittlich so - einem deutschen Arbeitslosen oder Geringverdiener ist mit einem statistisch hohen Durchschnittseinkommen der Deutschen nicht gedient, auf die Verteilung kommt es nämlich an! -, aber vor allem ist das auf Kosten des Rests der Welt so. Wir haben unsere "Erfolge" am Arbeitsmarkt durch den Export von Arbeitslosigkeit und nicht durch ein vernünftiges binnenwirtschaftliches Wachstum erreicht. Das steht nämlich hinter den exorbitanten Außenhandelsüberschüssen, die Deutschland seit über 10 Jahren mit dem Rest der Welt hat.

Ob man die nationale Arbeitslosigkeit dadurch bekämpft, dass man anderen Staaten per Lohndumping Marktanteile im Handel abjagt, oder dadurch, dass man selbst kontinuierlich im Inland durch Investitionen und Konsum wächst, ist ein großer Unterschied. Denn die Außenhandelsüberschuss-Strategie funktioniert nicht auf Dauer, wie man an der Eurokrise sehen kann. Insbesondere ist diese Methode nicht beliebig kopierbar. Es ist wie in dem berühmten Theaterbeispiel: Wenn einer aufsteht, sieht er besser. Wenn das alle tun, sieht keiner besser, aber alle haben lahme Beine.

In Ihrem Buch klingt immer wieder Kritik an denjenigen an, die auf die komplexen Verhältnisse einfache Antworten geben und dabei den Bürgern Erklärungsmuster liefern, die an der Realität vorbeigehen. Welche dieser einfachen Erklärungsansätze haben sie denn ausfindig gemacht und was denken Sie, warum beschränken sich viele Politiker, aber auch Teile der Medien, auf eindimensionale Interpretationen?

Friederike Spiecker: Einfache Botschaften lassen sich in einer Mediendemokratie viel besser transportieren als komplexe Zusammenhänge. Das einzelwirtschaftliche Denken ist so eine einfache Sache - z.B. wenn ich Schulden habe, muss ich sparen, damit ich mich wieder entschulden kann; das versteht jeder, es klingt plausibel -, während das gesamtwirtschaftliche Denken wesentlich komplizierter ist - wenn alle gleichzeitig sparen, wird in der Summe keiner seiner Schulden los, aber alle zusammen werden ärmer, weil das Einkommen sinkt.

Kommen wir zurück zum Grundeinkommen. Sie kritisieren in ihrem Buch auch, dass die bisherige Diskussion zum Thema bedingungsloses Grundeinkommen, die im Kern ja eine Verteilungsfrage ist, nicht in eine "wirtschaftspolitische Position eingebettet" ist, "die auf einem realistischen Modell der Funktionsweisen einer Marktwirtschaft beruht". Was meinen Sie damit?

Friederike Spiecker: Das Grundeinkommen ist eines der prominenten Beispiele dafür, wie an einer Stelle im System, nämlich der immer weiter auseinander driftenden Einkommensverteilung, etwas repariert werden soll, ohne dass man sich überlegt, wie das Gesamtsystem in diese vertrackte Lage gelangt ist und wie es eigentlich funktionieren sollte. Man nimmt die Entwicklung der primären Arbeitseinkommen als zwar traurig, aber doch gegeben hin, glaubt sie etwa der Globalisierung geschuldet, und will sie dann irgendwie abmildern, ohne zu Ende zu denken, wie diese Reparaturversuche das System selbst zerstören, statt es vom Kopf wieder auf die Füße zu stellen.

Das hat vor allem mit dem dogmatischen Glauben daran zu tun, dass Arbeitslosigkeit immer signalisiere, die Arbeitseinkommen seien irgendwie zu hoch, und dass sich Arbeitslosigkeit folglich dadurch bekämpfen lasse, dass man die Löhne senkt oder langsamer wachsen lässt als die Produktivität. Da dominiert das einzelwirtschaftliche Marktverständnis, während der gesamtwirtschaftliche Zusammenhang völlig unter den Tisch fällt. Entsprechend kann auch der Wunsch, die "Markt"ergebnisse bei den Löhnen durch ein Grundeinkommen korrigieren zu wollen, nicht fruchten, weil das Missverständnis, worauf Arbeitslosigkeit beruht, nicht gelöst wird.

Andererseits: Ein bedingungsloses Grundeinkommen würde zunächst doch durchaus mal denjenigen helfen, die am unteren Ende der Verteilungskette stehen. Für diejenigen, für die es ganz unten um den nackten Existenzkampf geht, wäre ein Bedingungsloses Grundeinkommen bestimmt eine große Hilfe. Was sind denn für Sie echte Alternativen, um einerseits konkret den finanziell wirklich Schwachen in unserer Gesellschaft eine echte Chance zu bieten, aber andererseits auch den wahren Ursachen entgegenzutreten?

Friederike Spiecker: Zunächst einmal brauchen wir einen vernünftigen, flächendeckenden, branchenübergreifenden Mindestlohn. Das hilft nicht nur denjenigen, die am unteren Ende der Lohnskala arbeiten, sondern auch allen, die in den Arbeitsmarkt einzusteigen versuchen. Denn der Mindestlohn verhindert, dass sich Menschen zu unwürdigen Bedingungen ausbeuten und gegeneinander ausspielen lassen, was eine permanente Abwärtsspirale verursacht (Länder wie Griechenland oder Portugal lassen grüßen).

Gibt es einen Mindestlohn, können die darüber liegenden Löhne nicht beliebig gedrückt werden, was der gesamten Einkommensentwicklung und damit der Gesamtnachfrage auf die Beine hilft. Und genau dann steigen auch die Chancen der Arbeitslosen, wieder einen Arbeitsplatz zu finden. Eine strikt produktivitätsorientierte Entwicklung der gesamten Arbeitseinkommen ist der nächste Punkt, der für eine stabile Aufwärtsentwicklung unverzichtbar ist, von der alle profitieren.

Mittlerweile gibt es ja auch diverse zustimmende Äußerungen vonseiten der CDU für einen Mindestlohn. Allerdings liegen die genannten Löhne ein ganzes Stück unter den 10 Euro Mindestlohn, wie sie zum Beispiel von der Linkspartei gefordert werden. Besteht bei den niedrig angesätzten Mindestlöhnen nicht die Gefahr, dass die Einkommenshöhe zu nahe an den Einkommen der Hartz-IV-Bezieher liegt?

Friederike Spiecker: Man muss klar sagen, dass die derzeitigen Hartz IV-Sätze unzureichend sind, also erhöht werden müssen. Und das bedeutet zwangsläufig, dass der Brutto-Mindestlohn auch nicht bei Werten unter 10 Euro pro Stunde liegen kann: Es bedarf eines spürbaren Abstandes zwischen Existenzminimum und den niedrigsten Arbeitseinkommen. Außerdem muss die extreme Besteuerung der Geringverdiener abgestellt werden: Ein Hartz IV-Bezieher muss nach den ersten 100 Euro, die er selbst am Markt verdient, zusätzlich zu dem staatlichen Transfer, von jedem weiteren selbst verdienten Euro 80 Cent abgeben. Das ist leistungsfeindlich und im Vergleich zur Besteuerung der Reichsten ungerecht.

Themenwechsel: Herr Flassbeck, die Situation mit dem Euro scheint nicht besser zu werden. Wie schätzen Sie die gegenwärtige Entwicklung ein?

Heiner Flassbeck: Extrem düster. Die europäische und deutsche Wirtschaftspolitik will trotz gravierender Misserfolge nicht begreifen, dass sie auf einem Holzweg namens Austerität ist.

Wie wird es, realistisch betrachtet, mit dem Euro weitergehen?

Heiner Flassbeck: Realistisch ist ein weiteres Abgleiten in die Rezession auch in Deutschland und ein Europa, und das in einer extrem schwachen Situation der gesamten Weltwirtschaft. Es scheint, dass sich Europa derzeit sein eigenes Grab schaufelt. Wenn Frankreich und Italien jetzt noch den gleichen Holzweg gehen, den die anderen Südländer schon erfolglos gegangen sind, dann kann das nur weiter und schneller in den Abgrund führen.

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