Zeitungssterben - Die Tageblätter unter Webdruck

Das hat Folgen für den Journalismus und die politische Öffentlichkeit

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Bei den täglich erscheinenden Printmedien in der Bundesrepublik steigt die Sterblichkeitsrate: Die "Frankfurter Rundschau" soll eingestellt werden, die "Financial Times Deutschland" ist hinfällig, die "junge Welt" erklärt sich als "gefährdet". Bei den regionalen Tageszeitungen wird die verlegerische und redaktionelle Konzentration fortgesetzt , der Medienforscher Horst Röper berichtet darüber regelmäßig.

In der Mehrzahl der Verbreitungsgebiete besteht ein regionales oder lokales Zeitungsmonopol, oder Pluralität wird durch die formale Fortführung einstiger Konkurrenztitel simuliert. Die führenden Verlagshäuser zeigen zunehmend die Neigung, mit ihrem Besitz an Regionalblättern zu jonglieren, einzelne Blätter weiterzureichen; offenbar lässt die Zuversicht nach, in diesem Sektor der Medienbranche gewinnträchtig agieren zu können. Printmagazine vielfältigster Thematik werden ständig neu in den Markt gebracht - von Absichten, eine neue Tageszeitung zu gründen, ist auch überregional nichts zu hören, schon seit längerem nicht mehr, die Geburt der "taz" liegt weit zurück.

Um die Rentabilität der noch existierenden Tageblätter anzutreiben oder wenigstens stabil zu halten, wird journalistisches Personal eingespart. Redaktionelles "Pooling" oder das Outsourcen von Textproduktion sollen die Kosten senken. Manche Regionalzeitungen bringen in ihren Berichten und Kommentaren über Gesellschaft, Politik und soziale Verhältnisse kaum noch Eigenbeiträge und bedienen sich überwiegend der Angebote von Nachrichtenagenturen. Bei den "Heimat"-Zeitungen geht der Trend dahin, Regionales schon auf die ersten Seiten des Blattes zu rücken und gesellschaftliche, gar politische Probleme und Auseinandersetzungen dabei zu meiden. Die Zeitungslandschaft in der Bundesrepublik, traditionell durch eine Vielzahl regionaler Blätter geprägt, bekommt so auch journalistisch ein anderes Profil.

Die verlagswirtschaftlichen Gründe dafür liegen auf der Hand: Die neue Welt der Onlinemedien hat den Printerzeugnissen Kunden und Anzeigenerlöse entzogen. Neuigkeiten, Nachrichten und Warenangebote, aber auch Meinungen sind in Fülle verfügbar ohne den Zugriff auf bedrucktes Papier. Es ist schwierig geworden, mit nicht boulevardesken Tageszeitungen eine Kapitalverwertung in der erwünschten Profitrate zu bewerkstelligen. Und auch Medienkonzerne, die in anderen Sparten ihres Geschäfts gut verdienen, haben zumeist keine Neigung, Tageszeitungen als Zuschussbetriebe zu unterhalten. Zumeist wird nun versucht, das tägliche Druckerzeugnis durch die Kombination mit einem Webauftritt attraktiv und rentabel zu machen; noch ist nicht zu sagen, ob diese Methode sich durchweg rentiert. Wenn nicht, bleibt als Notlösung, das Printmedium aufzugeben und die Internetversion aufrechtzuerhalten.

Journalismus als Profession in Gefahr?

Muss man die Entwicklung im Sektor Tagespresse und den Wandel in der journalistischen Arbeit, der sich bei den noch oder weiter bestehenden Zeitungen dieser Art vollzieht, als kulturellen Verlust beklagen? Verödet damit ein Terrain öffentlicher politischer Meinung? Dem steht entgegen: Durch das Web sind die Gelegenheiten, sich über gesellschaftliche Dinge zu informieren und diskursiv auszutauschen, nicht weniger, sondern mehr geworden. Der Raum für öffentliche Kommunikation ist enorm erweitert. Und zahlreiche Internetportale oder Blogs stehen, was politische Themen angeht, in ihrer Qualität keineswegs hinter den traditionellen Zeitungen zurück. Dennoch - für die journalistische Profession und die politische Öffentlichkeit stecken in den skizzierten Trends massive Probleme. Sie verdienen mehr Aufmerksamkeit.

Der Rückgang bei den Tageszeitungen und die hier laufenden "Rationalisierungen" vermindern drastisch die Zahl und die beruflichen Aussichten redaktionell angestellter Journalisten. Webseiten und Blogs mit politischem Anspruch sind inzwischen in großer Zahl und oft sehr lebendig präsent, sie bieten jedoch nur selten eine Existenzgrundlage für die journalistischen Akteure. Verringert sind so die Chancen, sich bestimmten Themen intensiv zuzuwenden, sich damit zu profilieren, mit der eigenen Meinung kontinuierlich öffentliche Diskurse anzuregen. Das marktgerechte journalistische Berufsbild ist stattdessen der thematische Allrounder in einer textfabrizierenden Agentur, der je nach Bedarf liefert; oder der Publizist als Freelancer, stets auf der Suche nach Aufträgen, prekär lebend.

In beiden Rollen ist es schwierig, kontinuierlich gesellschaftlichen Fragen nachzugehen, dauerhaft in politische oder soziale Debatten einzugreifen. Und die Regionalität der politischen Äußerung geht verloren - nur als Beispiel: Wenn der "Generalanzeiger" in der ehemaligen Bundeshauptstadt keinen eigenen Korrespondenten in Berlin mehr beschäftigt, fehlt dem Publikum die Bonner Stimme in der Politikarena.

Kulturphilosophische Erwägungen über diskursiven Gewinn und Verlust beim Wechsel von Print- zu Onlinemedien gehen vorbei an einem recht profanen Tatbestand: Journalismus als Profession setzt voraus, dass der Journalist davon leben kann, und Medienbetriebe sind wirtschaftliche Unternehmen. Seltsamerweise hat der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger auf seine Webseite das folgende Zitat gesetzt:"Die erste Freiheit der Presse besteht darin, kein Gewerbe zu sein." Karl Marx hat diesen seinen Satz nicht als Zustandsbeschreibung gemeint, als tröstliche Ablenkung von der Empirie ist er nicht gedacht. Kapital und Arbeit sind auch in der Medienwirtschaft im Konflikt. Auf der Seite der Arbeit erfordert das die Einschränkung von Konkurrenz, die gemeinsame Organisation von Interessen. Um Unfreiheiten zu mindern.