China: Neue Köpfe, alte Hüte

Viel Dekor auf dem 18. Parteikongress in Peking, aber kaum Visionen

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Die neuen Herren, die alten Losungen: Kurzgefasst ein treffendes Motto für den 18. Nationalen Parteikongress, der an diesem Mittwoch in Peking zu Ende ging. Zwar gab es im Vorfeld einigen Hickhack um Posten und Positionen, auch wurde der unliebsam gewordene Bo Xilai (einst der "rote Stern" am gelben Polit-Himmel) ins politische Aus katapultiert. Der Prunk einer zur Schau gestellten Größe und die unübersehbaren Weltmachtsambitionen können jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass Chinas Führung dabei ist, Hoffnungen auf zivilgesellschaftlichen Fortschritt zu ersticken: Unter den vertrauten Parolen.

Rund 2.300 Delegierte der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) haben ein neues Zentralkomitee bestimmt. Eigentlich haben sie nur zugestimmt. Dem Parteitag selbst liegt eine Liste mit ausgesuchten Kandidaten vor. Aus deren Reihen werden Politbüro (25 Mitglieder) und Ständiger Ausschuss gebildet. Hinter den Kulissen agieren die Mächtigen der Partei.

Das höchste Gremium der KPCh, der Ständige Ausschuss des Politbüros, setzte sich zuletzt aus neun Politikern zusammen. In Zukunft werden zwei ganz sicher ihren Posten dort behalten, Xi Jinping (59) und Li Keqiang (57). Sie beerben Parteichef Hu Jintao (69) und Ministerpräsident Wen Jiabao (70), die zwei Amtsperioden in Folge (je 2x fünf Jahre) an der Spitze standen. Es ist ein abgekarteter Machtwechsel.

Gerontokratie

Um den siebzigjährigen Wen Jiabao gab es einigen Wirbel. Die New York Times machte im Oktober die Vermögensverhältnisse der Jiabaos publik. Die Familie des Premiers habe nach dessen Amtsantritt rund 2,7 Milliarden Dollar aufgehäuft (China: Sippenwirtschaft im Kommunismus).

Pikant: Seit einer Satzungsänderung im Jahre 2002 nimmt die Partei auch Firmenchefs in ihre erlauchten Reihen auf. Jiabao wurde 2003 zum Premierminister gekürt, gerade mal ein Jahr nach der Modifikation. Ein Untersuchungsausschuss der Partei soll jetzt zur Klärung der verzweigten Loyalitätsverhältnisse des scheidenden Patriarchen beitragen. Der Verdacht auf Vetternwirtschaft trifft aber nicht allein auf ihn zu. Beobachter sprechen in dem Zusammenhang auch von "Kaderkapitalismus".

Allerdings mag man das Thema Korruption in China auch in einem gesamtgesellschaftlichen Kontext sehen. Beziehungsnetze spielen eine tragende Rolle. Über solche Geflechte - spöttisch auch Bambusnetzwerke genannt - gibt es Zugang zu rentablen Posten, und das wird durchaus nicht in jedem Fall mit Korruption in Verbindung gebracht. Man sieht es als Teil der chinesischen Mentalität an. Verschachtelte Firmen- und Eigentümerstrukturen erschweren den Durchblick für Uneingeweihte. Die im Ergebnis unselige Mixtur von wirtschaftlichen und politischen Privilegien ist aber ja nicht nur ein Problem asiatischer Regierungskreise.

Die Erwartungen der weltweiten Rohstoffbranche richten sich unterdes auf neue chinesische Konjunkturprogramme. Dies umso mehr, als Europa nach wie vor unter der Schuldenkrise lahmt. Darum geht’s: Möglichst kräftige Investitionen in die Infrastruktur des gelben Riesen würden mittel- und langfristig auch dessen Nachfrage nach Rohstoffen stabilisieren. Und da ist Geld im Spiel, sehr viel Geld.

Prinzling

Xi Jinping, der neue KP-Chef, entstammt der roten Aristokratie. "Prinzling", so tauft man in China die privilegierten Nachkommen altgedienter Revolutionäre. Xis Vater, Xi Zhongyun, war ein langjähriger Weggefährte Mao Tse-tungs. Aus dem Privatleben des Sohnes ist nicht viel bekannt, jedoch wurden in letzter Zeit einige Histörchen breit getreten. Jedenfalls ist Xi Jinping mit der bekanntesten Volksmusiksängerin des Landes verheiratet, einer Schönheit namens Peng Liyuan. Da sollte man eigentlich annehmen, der Ehegatte kenne die Stimmung an der Basis. Die gemeinsame Tochter Xi Mingze, Jahrgang 1992, verkehrt ihrerseits in abgehobeneren Kreisen, sie studiert - unter falschem Namen - in Harvard.

Im Vorfeld des 18. Parteitages gingen die chinesischen Machthaber mit besonderer Härte gegen Oppositionelle vor. So wanderte Cao Haibo (27) kurz zuvor ins Gefängnis. Haibo hatte ein Web-Forum auf die Beine gestellt, wollte den Diskurs über Demokratie anstoßen. Das wurde ihm zum Verhängnis. Das Strafmaß: acht Jahre, der Vorwurf: Untergrabung der Staatsmacht.

"China ist das größte Gefängnis für Journalisten weltweit", beklagen unterdes Reporter die Lage im Reich der Mitte. Taxifahrer mussten zuletzt die Fensterhebel in ihren Wagen abmontieren, denn die Partei befürchtete antikommunistische Propaganda durch Fahrgäste. 1,4 Millionen zusätzliche Sicherheitskräfte waren rund um den Parteitag allein in Peking im Einsatz. Brieftaubenhalter mussten ihre Lieblinge im Kasten halten.

Parolen und Paranoia

Kein Wunder - es gibt keine parlamentarische Opposition und auch nur einen zentralen Volksrundfunk. Die Einparteiendiktatur schließt Minderwertigkeitsgefühle ein. Auch die modernen chinesischen Machthaber pflegen in ängstlicher Tradition den Kult der Person, und dies allen offiziellen Bekenntnissen zum Trotz. Eine gesunde Paranoia inklusive.

Kleinliches Gerangel führte denn auch zum Knatsch auf dem EU-China-Gipfel, der Anfang November zu Ende ging. Edward McMillan-Scott, EU-Parlament-Vizepräsident, ärgerte sich laut über die Chinesen, die bestimmen wollten, welche chinesischsprachigen Medien zur Pressekonferenz zugelassen werden. "Nun gibt es zwei Länder, die Brüssel vorschreiben, wer an den Pressekonferenzen teilnehmen darf: die Tyrannei in Peking und die Diktatur in Moskau." Die EU hat das Pressetreffen schließlich abgeblasen.

Wie auch immer die Weichenstellungen des 18. Parteikongresses angesehen werden - Chinas Weg wird sich kaum großartig verändern. Alles läuft nach Plan, mehr oder weniger nach dem letzten Fünfjahresplan. An ihm werden sich auch die künftigen Herren orientieren. 81 Millionen Mitglieder an der Parteibasis, ein monströser Beamtenapparat, argwöhnische Provinzpolitiker, die gerne protegierten Industriemanager und die Grundprinzipien des "sozialistischen Weges" chinesischer Prägung lassen Umgestaltungen kaum zu, wenn jetzt auch viel die Rede von "Harmonie" ist. Chinas Politik soll "ausgeglichener" werden, Ressourcennutzung und Umweltbelange sollen einen Platz neben dem bislang ungehemmten Wirtschaftswachstum erhalten.

Ob das aber auch in der Praxis gelingt? Xi und Li, die neuen Köpfe an der Spitze, gelten hier bei uns im Westen als locker, aber schon rein programmatisch tut sich wenig. Die Nachfolgegeneration tritt ohne Visionen an. Vor allem fehlt es an echten politischen Reformen. Auf dem nächsten Volkskongress im Frühjahr 2013 wird es dann auch um die Regierungsämter der nächsten Amtsperiode gehen. Dann wird Hu Jintao seinem bisherigen Vize Xi Jinping wohl auch das höchste Staatsamt überlassen. Bis dahin herrscht erst einmal Harmonie im Reich. So zumindest das feierliche Glaubensbekenntnis.