Alles ist relativ

Titelbild der CERN-Broschüre: "How energy becomes matter ...", 1983. Die elementaren Quanten entsprechen wohl eher den unteilbaren Atomen Demokrits, als die Atomkerne. Interessanterweise hat sich die Bezeichnung "Quant" nur für das Photon in der Namensalternative "Lichtquant" erhalten, alle anderen werden leider als Elementarteilchen bezeichnet. Wenn zwei Elementarteilchen in einem Beschleuniger wie dem CERN aufeinander treffen, entstehen neue Quanten, die aber nicht die Bestandteile der aufeinander geschossenen Quanten sind. Wären Erdbeeren in diesem Sinne elementar, würde ihr hochenergetischer Zusammenprall neue Erdbeeren und alle möglichen anderen Elementarfrüchte erzeugen. Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung des CERN.

Eine kleine Geschichte der Physik der Elementarteilchen

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Diese dreiteilige Serie untersucht Aspekte populärer Physikkritik. Im ersten Teil wird eine kurze Geschichte der modernen Physik skizziert, insbesondere der der Elementarteilchen. Sie dient den beiden folgenden Teilen als Referenz. Der zweite Teil beschäftigt sich mit spezifischen Kritikpunkten, exemplarisch mit den Thesen Alexander Unzickers, der in den letzten beiden Jahren zwei vielgelesene Polemiken zum Status der gegenwärtigen Physik verfasst hat. Im letzten Teil wird die Verwendung von wissenschaftstheoretischen Ansichten, insbesondere denen von Thomas S. Kuhn - "Paradigmenwechsel" - und Paul Feyerabend - "anything goes" - behandelt, deren Hypothesen bei Wissenschaftskritikern äußerst populär sind und die sich beide im Wesentlichen mit der Geschichte der Physik beschäftigten.

Seitdem das World Wide Web allgemein verfügbar ist, dient es nicht zuletzt Wissenschaftsskeptikern zur Verbreitung ihrer kruden Thesen. Ob Gegner der Relativitätstheorie, Feinde der Darwinschen Evolutionslehre oder Leute, für die die Mondlandungen ein einziger Schwindel waren, sie alle nutzen paradoxerweise ein Medium, das ein Kind der modernen Physik ist, deren Aussagen sie oft so vehement bekämpfen.

Das WWW entstand beim CERN vor inzwischen mehr als zwanzig Jahren bei dem Versuch, die Kommunikation zwischen den Mitgliedern der damals immer größer werdenden internationalen Kollaborationen zu vereinfachen. Die moderne Physik, vor allem die Elementarteilchenphysik, fasziniert und polarisiert gleichermaßen. Als das CERN im Juni diesen Jahres verkündete, ein Teilchen sei gefunden worden, das mit dem lange gesuchten Higgs-Boson identisch sein könnte, erfuhr diese Meldung in allen Leitmedien starke Resonanz. Der Spiegel titelte überschwänglich, ein Tor zu einer neuen Welt sei aufgestoßen worden. Gleichzeitig werden die Kontroversen innerhalb der Physik und der Astronomie vom allgemeinen Publikum ebenfalls mit Spannung verfolgt. Vor zwei Jahren wurde sogar das polemische Buch "Vom Urknall zum Durchknall" des Physiklehrers Alexander Unzicker zum "Wissenschaftsbuch des Jahres" ernannt.

Im Vergleich zur Aufmerksamkeit, die physikalische Theorienbildung und Praxis durch Wissenschaftstheoretiker und Philosophen erfahren, werden andere Naturwissenschaften weitgehend vernachlässigt. Daher ist es berechtigt und dem allgemeinen Interesse förderlich, sich auf die Physik zu konzentrieren. Wer sich als Wissenschaftstheoretiker oder populärer Kritiker mit der Physik auseinandersetzt, entwickelt seine Gedanken quasi zwangsläufig anhand der geschichtlichen Entwicklung der Physik, die selbstverständlich höchst individuell gefärbt wiedergegeben wird. In dieser Serie ist die Physik ausschließlich als fundamentalstes Instrument von Naturerkenntnis von Interesse. Hier, aus dieser Perspektive, eine Skizze zentraler Elemente der Physikgeschichte.

Perfektes Timing - das Ende der klassischen Physik

Als Zeitraum, in dem die Physik begann, sich von der Philosophie zu lösen, können die Jahre um 1620 genommen werden, als Galileo Galilei zu der Überzeugung gelangte, das Buch der Natur sei in der Sprache der Mathematik verfasst. Ernsthafte Physik kann nicht ohne Mathematik betrieben werden, während Formeln in philosophischen Texten die absolute Ausnahme bilden. 1686 legte Isaac Newton sein physikalisches Hauptwerk vor, "Philosophiae Naturalis Principia Mathematica", dessen Titel die Mathematik sogar im Titel führt. In der Principia legte Newton die Grundlagen der Mechanik und definierte sein Gravitationsgesetz.

Mathematik alleine reicht allerdings nicht aus, die Physik zu begründen. Die zweite Säule ist die Empirie durch systematisches Beobachten und Experimentieren, deren Grundgerüst ebenfalls von Galilei errichtet wurde. Newton seinerseits steuerte bahnbrechende experimentelle Befunde bei, nicht zuletzt in der Optik die Aufspaltung von weißem Licht in die Farben des Regenbogens mit Hilfe eines Prismas. Theoretische und Experimentalphysik sind bis auf den heutigen Tag die beiden zusammengehörenden Teile der Physik.

Exakt bis zum Jahr 1900 erstreckte sich die Zeit der heute als "klassisch" bezeichneten Physik. In jenem Jahr sah sich Max Planck dazu gezwungen, zur Erklärung der elektromagnetischen Strahlung eines glühenden Körpers diskrete Energiequanten einzuführen, die mit der bis dahin entwickelten kontinuierlichen Physik nicht beschreibbar waren.

Zweihundert Jahre klassische Physik

In den zweihundert Jahren nach Newton hatte sich die Physik mit wachsendem Tempo weiter entwickelt. Die mathematischen Methoden wurden wesentlich verbessert, die Wärmelehre bildete sich heraus und entwickelte sich zur Thermodynamik weiter, elektrische und magnetische Phänomene wurden systematisch untersucht. Zudem entstand die Chemie als neue naturwissenschaftliche Disziplin, die immer wieder Rückwirkungen auf die Physik hatte.

Die zweite Hälfte des 19ten Jahrhunderts war besonders reich an neuen Erkenntnissen. Zwei Paukenschläge gab es allein in den 1860er Jahren: Die Deutung des Lichts als elektromagnetische Welle und die Entdeckung des Periodensystems der Elemente. James Clerk Maxwell vereinigte in den heute nach ihm benannten Gleichungen die Elektrizität mit dem Magnetismus und deutete Licht als elektromagnetische Welle. Dmitri Mendelejew gelang es, die Elemente anhand ihrer chemischen Eigenschaften und ihrer Atomgewichte in einem Periodensystem zu ordnen. Aufgrund von Lücken in seinem System leitete er die Existenz von bis dahin unbekannten Elementen ab. Sein Selbstbewusstsein ist bemerkenswert, denn er konnte nur aufgrund seines Ordnungsprinzips argumentieren; der uns heute bekannte Aufbau eines Atoms aus Kern und Elektronenhülle, war ihm noch völlig unbekannt.

Kurz vor der Jahrhundertwende erschien die Welt der Physik im Wesentlichen als so gut wie erforscht. Natürlich gab es offene Probleme und sogar einen Grundkonflikt mit der Chemie. John Dalton hatte Anfang des 19. Jahrhunderts seine Atomtheorie entwickelt und damit die moderne Chemie begründet. Die Physiker taten sich aber schwer mit der Vorstellung, die Natur sei aus diskreten, unteilbaren Bestandteilen zusammengesetzt. Ihre Differentialgleichungen, nicht zuletzt die gerade erst von Maxwell entdeckten, beschrieben eine kontinuierliche Welt. Max Planck war einer der Atomskeptiker. Allerdings gab es mit der kinetischen Gastheorie auch eine Erklärung von physikalischen Eigenschaften wie dem Gasdruck aufgrund von Wechselwirkungen zwischen angenommenen kleinsten Teilchen. Wäre die Skepsis unter den Physikern weniger ausgeprägt gewesen, wären die Grundlagen der Quantenmechanik vielleicht deutlich früher entdeckt worden- wer weiß.