Freie Wähler fordern Merks Rücktritt

In der Affäre Mollath sieht ein renommierter Strafrechtsprofessor bei einer Staatsanwältin einen Anfangsverdacht der Strafvereitelung im Amt und ein Schöffe erhebt schwere Vorwürfe gegen den Richter, der den Whistleblower in die Irrenanstalt steckte

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Der Nürnberger Gustl Mollath sitzt seit sechs Jahren in der geschlossenen Psychiatrie. Dorthin eingewiesen hat ihn ein bayerisches Gericht, das sich auf einen Gutachter berief, der dem Franken unter anderem deshalb gefährliche Wahnvorstellungen bescheinigte, weil er die Justiz auf Schwarzgeldgeschäfte von Hypo-Vereinsbank-Mitarbeitern aufmerksam machte. Vorwürfe, von denen man mittlerweile weiß, dass sie zutreffend waren.

Bei der Hypo-Vereinsbank wusste man das sogar schon seit 2003, wie ein jetzt bekannt gewordener Revisionsbericht enthüllt. Auch dieser Revisionsbericht geht auf einen Tipp Mollaths zurück, der die Bank offenbar im Rahmen eines langen und erbitterten Streits mit seiner Ehefrau informierte, die eine wichtige Rolle bei den Schwarzgeldgeschäften spielte. Ihre Aussage, der Gatte habe sie fast bis zur Bewusstlosigkeit gewürgt, war es auch, die den Anstoß dazu gab, Mollath in die Psychiatrie zu schicken.

Der Regensburger Strafrechtsprofessor Henning Müller hat sich Schriftsätze und andere Unterlagen zu diesem Fall für den auf rechtswissenschaftliche Literatur spezialisierten Beck-Verlag angesehen und dabei einige bislang noch nicht bekannte Auffälligkeiten entdeckt, die aus rechtsstaatlicher Sicht die Alarmglocken schrillen lassen:

So stützte sich das Gericht beispielsweise bei der Feststellung, Mollath habe seine Frau gewürgt, ganz alleine auf deren Behauptung. Den Akten zufolge hat man sich bei der Bewertung der "Aussage-gegen-Aussage-Konstellation" aber nicht damit auseinandergesetzt, dass die Frau in den Schwarzgeldoffenbarungen Mollaths ein Motiv für eine Falschaussage haben könnte, weil sie sich rächen und ihren Mann als "nicht ganz zurechnungsfähig" erscheinen lassen wollte. Stattdessen wird der Vorwurf in den Urteilsgründen "pauschal als 'Fixe Idee' des Angeklagten bezeichnet".

Auch die Merkwürdigkeit, dass die Frau die angebliche Tat erst so spät zur Anzeige brachte, dass eine Suche nach Spuren am Körper sinnlos war, wurde möglicherweise gar nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt. Als Tatzeitpunkt ist in dem Urteil sogar ein offensichtlich falsches Datum angegeben, was zumindest auf Schlamperei hindeutet. Die Behauptung der bayerischen Justizministerin, dass die Schwarzgeldvorwürfe Mollaths und seine Einstufung als gemeingefährlicher Geisteskranker, zwei ganz unabhängige Sachverhalte wären, die nichts miteinander zu tun hätten, hält Müller deshalb "bei objektiver Würdigung [für] nicht nachvollziehbar".

Mittlerweile hat sich auch ein ehemaliger Schöffe aus dem Prozess gemeldet und offenbart, dass ihm bei der damaligen Einweisungsentscheidung ausgesprochen unwohl zumute war. Der ehemalige Klinikchef Heinz Westenrieder hielt das "weitgehend nach Aktenlage" erstellte psychiatrische Gutachten für "schwach" und hätte gerne einen zweite Meinung hinzugezogen, um Mollaths Geisteszustand zu beurteilen.

Außerdem, so Westenrieder, habe er in insgesamt 60 Prozessen als Schöffe keinen solchen Ton erlebt, wie in dem Verfahren gegen den Whistleblower. Als Mollath anfing, von dem "Schwarzgeldkomplex" zu erzählen, soll ihn der Vorsitzende Richter Otto Brixner angeblich mehrfach scharf zum Schweigen angehalten haben. Brixner dagegen steht auf dem Standpunkt: "Was wir in dem Verfahren gemacht haben, daran gibt es aus meiner Sicht nichts zu ändern."

Merkwürdigkeiten erkennt Müller aber nicht nur in dem Verfahren zu Mollaths Einweisung in eine geschlossene Anstalt, sondern auch in der Strafanzeige des Whistleblowers gegen die Bankmitarbeiter. Die in ihr erhobenen Vorwürfe sind keineswegs "zu pauschal", sondern enthalten unter anderem Namen, Summen und Kontonummern in der Schweiz. "Viel konkreter", so der renommierte Rechtswissenschaftler, "hätte man es nicht darstellen können". Und: "[N]ach allen juristischen Kriterien begründeten diese Angaben zumindest einen Anfangsverdacht der Steuerhinterziehung und Beihilfe dazu". Trotzdem leitete die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth "mit offenbar fehlerhafter Begründung" kein Strafverfahren ein. Müller erkennt deshalb bei der Staatsanwältin, die den Fall damals bearbeitet hat, den Anfangsverdacht einer Strafvereitelung im Amt vorliegen.

Beate Merk sieht in der Causa Mollath allerdings weiterhin keinen Handlungsbedarf und keine Verantwortung ihrerseits. Auf die Grünen-Abgeordnete Christine Stahl wirkt dieses Beharren mittlerweile "geradezu bockig". Florian Streibl, ein Abgeordneter der Freien Wähler, ist sogar der Meinung, Merk habe durch ihre Darstellung des Falls den Landtag so sehr in die Irre geführt, dass sie nun zurücktreten müsse. In anderen Teilen der Opposition hält man dies zwar theoretisch für angebracht, wäre aber auch nicht unglücklich damit, wenn sich die angeschossene Justizministerin noch waidwund durch den nächsten Wahlkampf schleppt und ein gutes Ziel für Angriffe gegen die Staatsregierung abgibt.

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