Missbrauch: Ist Jimmy Savile überall?

Ein Blick in die tiefen Mördergruben der Gesellschaft

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Wenn der Vorhang, der die perversen Verhältnisse in einer Gesellschaft verdeckt, für einen Moment aufreißt und den Blick freigibt auf das, was eigentlich niemand sehen will, auf das, was eigentlich niemand wahr haben möchte, dann reagiert die Öffentlichkeit wie so oft: sie zeigt sich erschüttert und fassungslos. Das Raunen, das derzeit im Zuge des Kinderschänder-Skandals um BBC-Ikone Jimmy Savile durch die britische Gesellschaft und die Medien geht, ist laut (Systematischer Kindesmissbrauch). Hatte der ruhmreiche Moderator Kontakt zu einem Serienkiller? Haben sich hochrangige Persönlichkeiten aus der feinen britischen Gesellschaft an Kindern vergangen? Organisiert in einem Pädophilenring? Was ist Wahrheit? Was ist Fantasie? Erst nach Jahren des Missbrauchs werden plötzlich Fragen mit Nachdruck gestellt. Und so zeigt auch dieser Missbrauchsfall: Missbrauch, ob im Mikrokosmos Familie, ob innerhalb von Institutionen oder auf höchster Ebene, durch gesellschaftlich reputierte Persönlichkeiten, war schon immer auch eine Geschichte des Wegsehens, des Ausblendens, des Ignorierens. Ist Jimmy Savile überall?

Da saß er also am frühen Morgen in einer Fernsehsendung des britischen Privatsenders ITV und versuchte mit bemüht gefasster Miene die Öffentlichkeit zu beruhigen. Der Premierminister des Vereinigten Königreichs persönlich, David Cameron, intervenierte im Fernsehen im Missbrauchsskandal. Er redete davon, dass sein Land ein demokratisches, zivilisiertes sei, in dem das Gesetz vorherrsche. Mit Nachdruck sprach der Parteivorsitzende der Konservativen davon, dass jeder, der Informationen über Pädophile habe, doch bitte unabhängig davon, wie mächtig die Angeschuldigten auch sein mögen, zur Polizei gehen soll, um dort von seinem Wissen zu berichten. Er warnte vor einer Hexenjagd und beschwor das Rechtssystem des Landes.

Und noch während er sprach, übergab ihm der Moderator der Sendung eine Liste mit möglichen Pädophilen und fragte ihn, den Premier, ob er der Sache nachgehen werde.

Es ist eine Szene, ein Bild, das einen Moment des Innehaltens verlangt. Die Szene müsste man normalerweise zurückspulen und nochmal laufen lassen, zurückspulen und nochmal laufen lassen. Am besten in Zeitlupe. Der Regierungschef Britanniens erhält von einem TV-Moderator in einer Sendung eine Liste mit Namen von mutmaßlichen Pädophilen und wird so quasi live und in Farbe mit Polizeiarbeit betraut. Auch diese Erkenntnis muss man wiederholen: Ein empörter TV-Moderator beauftragt David Cameron mit einer Arbeit, die eigentlich die Strafverfolgungsbehörden leisten sollten.

Was muss alles falsch gelaufen sein, damit es überhaupt zu solch einer verstörenden Szene kommt? Wie viele Behörden, welche Institutionen, wie viele Menschen im Fall Savile haben versagt, waren inkompetent, haben weggeschaut, haben ignoriert, haben ausgeblendet oder hatten schlicht nicht den Mut, Rückgrat, Zivilcourage zu zeigen?

Offensichtlich zu viele.

Der Fall Jimmy Savile reiht sich in eine lange Serie von Missbrauchsfällen, die in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten in verschiedenen Ländern ans Licht kamen

Immer wieder gibt es Anzeichen, dass es Netzwerke perverser Kinderschänder gibt, in denen Reiche und Mächtige involviert sind, und das innerhalb von Institutionen, in denen ein unüberbrückbares Machtgefälle zwischen Kindern und Betreuern herrscht, mit Brutalität Machtpositionen zum schweren Nachteil der Schutzbefohlenen ausgeübt werden.

Die Washington Times machte am 29. Juni 1989 mit einem Artikel auf, der es in sich hatte: Angeblich existierte eine Prostituierten-Ring aus Homosexuellen, die regelmäßig ins Weiße Haus gebracht wurden, um besondere Dienste zu leisten. Die Anschuldigungen gingen weiter und schließlich stand der Verdacht im Raum, dass Kinder und Jugendliche, Jungen wie Mädchen, aus Heimen in Nebraska hochrangigen Persönlichkeiten des politischen Washingtons zugeführt worden sein sollen.

Eine TV-Produktion mit dem bezeichnenden Namen "The Conspiracy of Silence", die den Skandal beleuchtete, sollte auf dem Discovery Channel gezeigt werden, doch kurz vor ihrer Ausstrahlung wurde sie, ähnlich wie im Fall Savile, gestoppt. Die Dokumentation findet sich hier. Der Fall wurde unter dem Namen "Franklin Cover Up" bekannt. Die erhobenen Anschuldigungen wurden vor Gericht nicht anerkannt.

Bezeichnend dafür, dass Kindesmissbrauch auch auf hoher Ebene in den USA passiert, sind auch die Aussagen von Hollywoodstar Corey Feldman. Auf der Webseite promiflash heißt es:

"Das Nummer-Eins-Problem in Hollywood war, ist und wird immer die Pädophilie sein. Es geschieht alles im Dunklen, es ist ein großes Geheimnis." Auch er selber habe Jahre später begriffen, dass er in seiner Jugend "buchstäblich umzingelt" war von Pädophilen. Er beschuldigt einen "Hollywood Mogul", dessen Namen er nicht nennen wolle, einen regelrechten Kinderschänder-Ring zu betreiben, zu dem auch Corey Haim gezählt hätte: "Es gab diesen Kreis von älteren Männern, die sich gerne mit jungen Kindern umgeben haben. Sie alle hatten entweder einen wichtigen Posten oder einflussreiche Verbindungen ins Showbusiness." Manche seien schon so lange damit durchgekommen, dass sie glauben, sie "stehen über dem Gesetz. Und das muss sich ändern, das muss aufhören", appelliert Feldman in der TV-Show.

Die Vorkommnisse um den Mörder und Kinderschänder Marc Dutroux aus dem Jahre 1996 ließen den Verdacht aufkommen, dass reputierte Personen aus der belgischen Gesellschaft bis hin ins Königshaus in Pädophilie verstrickt sein könnten. War Dutroux ein Zuträger für einen Kinderschänderring, der von höchster Stelle gedeckt wurde und dessen Handlungsradius möglicherweise bis nach Berlin reichte?

In einer außergewöhnlich kritischen Dokumentation, die das ZDF sendete, untersuchte der Filmemacher Piet Eekman den Dutroux-Komplex. Insgesamt 27 Zeugen, die im Zusammenhang mit Dutroux standen, sind laut der Dokumentation verstorben. Doch von einem Pädophilenring wollte das Gericht, das Dutroux, seine Frau Michelle Martin und seinen Komplizen Bernard Weinstein verurteilte, nichts erkannt haben.

Was selten in der Medienberichterstattung erwähnt wird, wenn überhaupt noch über den Fall Dutroux gesprochen wird, ist aber, dass das Gericht mit seiner Einschätzung keineswegs einheitlich war. Sieben der 12 Geschworenen waren überzeugt, dass auch der Mitangeklagte Geschäftsmann Michel Nihoul, der als Mittelsmann zwischen Dutroux und einem Kinderschändernetzwerk galt, ein Täter war. Wie Spiegel-Online berichtet, schlugen sich drei der Berufsrichter auf die Seite der anderen Geschworenen, die Nihoul von den Anschuldigungen frei sprechen wollten. Eine Verurteilung Nihouls als Mittäter im Fall Dutroux wäre ein eindeutiges Zeichen gewesen, dass es noch weitere Hintermänner aus entsprechenden Kreisen gegeben haben musste.

Im Kinderschänderskandal in Portugal, der sich über 6 Jahre hinzog und in dem unter anderem ein bekannter Fernsehmoderator, ein ehemaliger Botschafter und ein im ganzen Land bekannter Komiker sich vor Gericht verantworten mussten, kam es immerhin zu entsprechenden Verurteilungen. Über 30 Jahre wurden Kinder aus der staatlichen, man kann es fast nicht schreiben, "Fürsorgeeinrichtung" Casa Pia Kinder missbraucht, gequält und unter anderem für Orgien und perverse Filmaufnahmen "vermietet."

Spiegel-Online schreibt in einem Artikel zum Prozessende:

In dem quälend langen Prozess berichteten sie [die Opfer], wie sie in dunklen Kellern vergewaltigt wurden, wie sie nachts zu abgelegenen Häusern gefahren wurden. Und wie sich die Mächtigen an ihnen, den Schwachen, vergingen. Die Angeklagten waren Teil der portugiesischen Elite, unter ihnen der einst beliebteste Fernseh-Showmaster Portugals, Carlos Cruz, außerdem ein prominenter Arzt, ein Unternehmer, ein hochdekorierter Diplomat und früherer Unesco-Botschafter. Den Angeklagten wurden insgesamt mehr als 800 Straftaten zur Last gelegt…Einzig der ehemalige Gärtner und Fahrer des Heimes, Carlos Silvino, genannt "Bibi", hat im Laufe des Verfahrens gestanden. Er wurde nun zu 18 Jahren Haft verurteilt. "Bibi" soll den Prominenten die Kinder zugeführt haben. Er sagte aus, dass Nacktfotos von den Minderjährigen gemacht worden seien, dass die "Kunden" ihm Briefumschläge mit Geld gegeben hätten. Einmal sei ein Amerikaner gekommen, um Kinder für einen Film in die USA zu bringen.

Und die Tageszeitung Die Welt schrieb im Juli 2003:

"Orgien" und "Soirees" sind überliefert wie etwa 1982 beim damaligen Chef des militärischen Aufklärungsdienstes (Siedm), Caimoto Duarte, im Villen-Vorort Estoril. Hier kam auch der Diplomat und UNESCO-Botschafter Jorge Ritto in Kontakt mit "Bibis" Dienstleistungen. Inzwischen sitzt er in Beugehaft, ebenso wie der beliebte TV-Moderator Carlos Cruz der Quiz-Sendung "Um, dois, tres", der ehemalige Sozialminister Paolo Pedroso, seinerzeit zuständig auch für die Casa-Pia-Heime und zuletzt Vize-Chef der Sozialistischen Partei (PS), oder der Kinderarzt João Ferreira Diniz, der die Opfer vor deren Missbrauch untersuchte, um deren "Gesundheit" zu attestieren.

"Wenn Minister Jungen vergewaltigen"

Auch Deutschland scheint von vergleichbaren Skandalen nicht weit entfernt. Im Leipziger Kinderbordell Jasmin wurden junge Mädchen im Teenageralter zwangsprostituiert und nach dem, was in den nachfolgenden Ermittlungen dann unter dem Begriff Sachsensumpf in den Medien bekannt wurde, sollen angesehene Herren aus der Mitte des gesellschaftlichen Lebens zu den Freiern gehört haben.

Die Geschichte der Zwangsprostituierten Mandy Kopp hat die Journalistin Jana Simon eindrucksvoll bei Zeit-Online- jüngst zusammengefasst. Doch auch in diesem Fall tut sich die Justiz erstaunlich schwer: Verschwundene Akten, ein politisches Gezerre und Prozesse, die aktuell geführt werden, klagen die Opfer und die Journalisten an, die mutig recherchiert haben . Glaubt man den institutionell Verantwortlichen in der Affäre, hat es den Sachsensumpf nie gegeben.

Nicht zu leugnen ist jedoch der massenhaften Missbrauch innerhalb der Kirchen und in deutschen Kinderheimen. Ganz zu schweigen von dem Skandal um die ehrenwerte Odenwaldschule.

Parallelität der Vorfälle

Betrachtet man all diese Fälle, die hier beispielhaft angeführt sind, alleine für sich, ist es leicht, von einem singulären Phänomen zu sprechen, über das sich mit etwas Entsetzen und Empörung auch wieder hinweg sehen lässt. Die Normalität, so der Trugschluss, sieht doch ganz anders aus.

Doch zusammen genommen offenbaren die angeführten Missbrauchsfälle einen tiefen Einblick in die dunklen Mördergruben der Gesellschaften. Sie zeigen uns, ob wir es wollen oder nicht, dass Jimmy Savile überall ist.

Er muss nicht immer, so wie der BBC-Moderator, ein exzentrisches Auftreten haben und sich in knallig bunten Kostümen durch die Welt bewegen. Es kann ein Zuhälter sein, der in seinen "Häusern" die besonders exklusiven Vorlieben seiner Gäste bedient und dabei natürlich selbst auch auf "seine Kosten" kommt, wie in Sachsen. Es kann ein Typ wie Dutroux sein, der sich auf den ersten Blick gar nicht so sehr unterscheidet von einem anderen, am unteren Ende der Verteilungskette stehenden Arbeitslosen und Gelegenheitsarbeiter. Es kann der doch eigentlich immer so freundliche Kinderarzt sein, genauso wie der prominente und doch so unterhaltsame Komiker, wie im Falle Casa Pia, genauso wie es der zugeknöpfte erscheinende Jurist oder Politiker sein kann, der seine sexuellen Vorlieben auf eine schwer kriminelle Weise zu leben pflegt.

Da sind die einfachen Pfarrer, genauso wie die Bischöfe, da sind die unscheinbar wirkenden älteren Herren, wie Fritzl, wie der Deutsche Detlef S. oder der Brite, der über 25 Jahre lang seine beiden Töchter vergewaltigte und neun Kinder mit ihnen zeugte. Man könnte auch noch das Paar anführen, das in Bosnien ein deutsches Mädchen jahrelang als Sklavin gehalten hat - unter den Augen eines ganzen Dorfes -, bis schließlich ein mutiger Dorfbewohner die Zustände fotografierte und die Polizei einschaltete.

Und warum ein in Frankreich entführtes Mädchen, mit reichlich Glück, von der Polizei in einem Kofferraum eines Autos in Offenburg (Baden-Württemberg) gefunden wurde, wie am letzten Freitag passiert, darüber kann man nur spekulieren. War der mutmaßliche Täter ein kranker Einzeltäter oder ging es um Menschenhandel, human trafficing? Die Ermittlungsbehörden werden es hoffentlich herausfinden.

Die meisten dieser Fälle, die doch so unterschiedlich sind, weisen in vielerlei Hinsicht eine erstaunliche Parallelität auf. Nahezu immer gab es Hinweise, es gab Mitwisser, es gab Menschen, es gab Institutionen, es gab Verantwortliche, die etwas wussten, oder sie waren mit einer Blindheit und Ignoranz geschlagen, die zum Himmel schreit.

Immer wieder, wenn einer dieser ganz großen Missbrauchsfälle durch eine kleine "Beschädigung" in den Drecksleitungen der gesellschaftlichen Kanalisation an die Oberfläche geschwemmt wird und er so zu stinken beginnt, dass er nicht mehr ignoriert werden kann, ist das Geschreie und die Aufregung groß. Doch die Wellen der Empörung sind oft nur von relativ kurzer Dauer. Am Ende zählt nur noch, dass der Gestank endlich verschwindet. Mit reichlich juristischem Tamtam wird der Dreck, den man nicht an der Oberfläche haben möchte, zurückgedrückt in die Kanalisation, die Oberfläche wird gereinigt, Häuser werden abgerissen, Grabsteine werden entfernt.

Das Sichtbare, die offensichtlichen, nicht zu übersehenden Bilder, die den Missbrauch unübersehbar machen, werden ausradiert. Was man nicht sehen kann, existiert auch nicht. Es ist eine naive Rechnung, doch sie geht auf. Das kollektive Gewissen einer Gesellschaft ist leicht zufrieden zu stellen. Unvergesslich bleibt, wie in Belgien, nachdem die Ausmaße im Fall Dutroux bekannt wurden, 300.000 Belgier beim Weißen Marsch in Brüssel gegen die Schande der Behörden demonstrierten. Als im Juni 2004 das Urteil gegen Dutroux verkündet wurde, war von den Menschenmassen nichts mehr zu sehen.

Kollektive Verdrängung

Die Jimmy Saviles dieser Welt haben einen großen Vorteil auf ihrer Seite. Sie bewegen sich unter dem Radar dessen, was eine Gesellschaft und ihre Institutionen sehen und wahrnehmen möchte. So wie niemand einen Nachbar haben möchte, der seine Kinder missbraucht, so möchte niemand, dass der Sympathieträger aus dem Fernsehen ein Kinderschänder ist. Was allzu oft als Reaktion auf all die Ahnungen und Vermutungen folgt, ist ein kollektives Ausblenden und Ignorieren, was schon immer ein wirksames Mittel war, um den Frieden in der eigenen kleinen Welt zu bewahren. Hingeguckt wird nur, wenn es sich nicht mehr vermeiden lässt.

Bisweilen nimmt diese Mentalität geradezu schizophrene Züge an. Wie perfekt geschult im Zwiedenken muss eine (Medien-) Gesellschaft eigentlich sein, wenn sie sich einerseits über aktuelle Missbrauchsfälle empört, die sexuelle Unversehrtheit von Kindern mit Nachdruck beschwört, sie gleichzeitig aber eine Persönlichkeit, die offen über Sex mit Kindern geschwärmt hat, hofiert?

Mein ständiger Flirt mit allen Kindern nahm bald erotische Züge an. Ich konnte richtig fühlen, wie die kleinen Mädchen von fünf Jahren schon gelernt hatten, mich anzumachen... Es ist mir mehrmals passiert, dass einige Kinder meinen Hosenlatz geöffnet und angefangen haben, mich zu streicheln. Ich habe je nach den Umständen unterschiedlich reagiert, aber ihr Wunsch stellte mich vor Probleme." Wenn die Kinder drauf bestanden…habe ich sie dennoch gestreichelt.

Die verstörende Passage stammt aus dem 1975 erschienen Band "Der große Basar", das von Europa-Politiker Daniel Cohn-Bendit verfasst wurde. Auf ähnliche Weise äußerte sich der Sympathieträger der Linken auch in einer Talkshow im französischen Fernsehen.

In der deutschen Medienlandschaft hat die Debatte um die Äußerungen Cohn-Bendits nie richtig an Fahrt gewonnen. Emma-Chefredakteurin Alice Schwarzer schließt schon im Vorfeld ihres teilweise kritischen Kommentars einen pädophilen Hintergrund von Cohn-Bendit aus:

Selbstverständlich ist Daniel Cohn-Bendit, 56, kein Pädophiler. Und höchstwahrscheinlich ist er auch keiner der vielen Väter, die sich an ihren Kindern vergreifen.

Und in einem Interview, das Zeit-Online mit Cohn-Bendit zum Thema führt, wird noch nicht mal ansatzweise kritisch, den Äußerungen Cohn-Bendits entsprechend, nachgehakt. Cohn-Bendits Äußerungen sind lange her. Heute sitzt der Revoluzzer neben dem Banker und Günter Jauch moderiert die Runde. Was einmal gesagt wurde, spielt keine Rolle mehr.

Und so schließt sich dann Kreis der Schande auf einen für ihn passende Art und Weise. Von kindervergewaltigenden britischen Fernsehmoderatoren zu abartigen pädophilen Netzwerken, die scheinbar in die ganz erlauchten Kreise führen, über Institutionen, in denen Grausames passiert, über perverse Einzeltäter, deren Taten "nur" innerhalb der Familie passieren, bis hin zu "schlechter Literatur", in der ein Autor meint, aus welchen Gründen auch immer und selbstverständlich nur unter dem Einfluss des damaligen "Zeitgeistes", er müsse von der Sexualität kleiner Kinder schwärmen.

Das Unfassbare zeigt sich in vielen Formen und Farben und doch ist es, was in seiner Natur liegt, nur schwer zu (be-) greifen. Manches, was an Vorwürfen im Zusammenhang mit Pädophilie erhoben wird, mag nicht der Wahrheit entsprechen. Der Vorwurf des Kindesmissbrauchs ist eine der härtesten Waffen und sie kann und wird sicherlich auch eingesetzt, um unliebsame Gegner zu vernichten. Doch, und das hat die Realität gezeigt, es gibt viele, viel zu viele tatsächliche Opfer. Und diese Opfer, das ist das wirklich Schlimme, werden nicht nur von den Tätern vergewaltigt. Ihre Seele wird häufig ein weiteres Mal vergewaltigt - von den Institutionen, von der Gesellschaft, die ihnen entweder nicht glauben oder ihr Durchlebtes nicht erkennen (wollen).

Eines der Casa-Pia-Opfer hat das Dilemma auf den Punkt gebracht:

"Als die Tatverdächtigen bekannt wurden, wurden aus den Opfern die Bösen", erinnert sich Namora. Aber es könne doch nicht sein, "dass jahrelang Kinder vergewaltigt werden, dass ihnen Dinge angetan werden, die Sie sich nicht vorstellen können, und dann gesagt wird, die Angeklagten sind angesehene Persönlichkeiten, wir lassen sie in Ruhe".