Griechenland: Milliarden zur Rettung des Irrsinns

Nur ein Schnappschuss - Premier Antonis Samaras wollte Fuchtel nicht ohrfeigen. Bild: W. Aswestopoulos

Deutsche Staatssekretäre, griechische Bürokratie und Medien, die Politik machen

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Eine einfache Feststellung von Staatssekretär Hans-Joachim Fuchtel sorgte in der vergangenen Woche für einen Eklat in Griechenland. Der Sonderbeauftragte der Bundeskanzlerin hatte am vergangenen Mittwoch beiläufig erwähnt, dass in Deutschland 1000 kommunale Angestellte das Arbeitspensum von 3000 griechischen kommunalen Bediensteten erledigen würden: "Arbeit, die in deutschen Kommunen tausend Beschäftigte erledigen, braucht man 3000 Griechen." Die einheimischen Medien präsentierten dies als skandalösen Affront. Es kam am Donnerstag zu umfangreichen Ausschreitungen.

Ein kleines Beispiel der handfesten Völkerverständigung

Bei den Ausschreitungen in Thessaloniki kam es zu einer wahren Hetzjagd auf die Teilnehmer einer deutsch-griechischen Tagung. Dabei wurde der deutsche Konsul von Thessaloniki, Wolfgang Hoelscher Obermaier, mit Wasserflaschen aus Plastik und Kaffeebechern beworfen. Unter den Demonstranten befand sich die Bundestagsabgeordnete Annette Groth (Die Linke). Sie äußerte ebenso wie der Bürgermeister Thessalonikis, Ioannis Boutaris, Verständnis für die Demonstranten. Groth distanzierte sich zumindest von den Gewaltaktionen, während Boutaris meinte: "Dies war zu erwarten und ist auch gerechtfertigt."

Ausgerechnet jener Boutaris, der bisher von deutschen Nachrichtenmagazinen wie "Der Spiegel" als Musterbeispiel eines reformfreudigen griechischen Politikers präsentiert wurde. Boutaris weigert sich wie fast alle seiner Amtskollegen, Namenslisten mit "zur Entlassung freigegebenen" Angestellten an die Zentralregierung weiterzuleiten. Auf den ersten Blick erscheint dies als unreife Trotzreaktion. Tatsächlich jedoch treffen die neuen Maßnahmen wie so oft die Falschen. Wie auch die Demonstranten mit ihren Wurfgeschossen den Falschen trafen. Ziel war Hans Joachim Fuchtel, getroffen wurde der Konsul.

Ein weiteres Foulspiel lag bei einigen griechischen Medien vor, die munter gegen "die Deutschen" hetzten, dabei aber die Staatsangehörigkeit der solidarischen Abgeordneten Groth ebenso unterschlugen wie zahlreiche andere kritische Stimmen aus Deutschland. Die Feststellung, dass einige deutsche Medien in der Regel in die gleiche Kerbe hauen, würde nur zur berühmten Suche nach der Henne und dem Ei führen. Hetze ist Pop in Zeiten der Krise.

Zum gesamten Geschehen möchte sich das Konsulat nicht mehr äußern. "Wir haben eine Regelung getroffen, dass Auskünfte bezüglich solcher Vorgänge nur noch vom Presseamt des Außenministeriums erfolgen", antwortete der Botschaftsmitarbeiter Weber auf eine telefonische Anfrage. Das Konsulat war übrigens trotz der offiziell bis 16 Uhr Ortszeit garantierten telefonischen Erreichbarkeit (Montags bis Freitags) und der in der telefonischen Warteschleife vom Automaten versicherten Angaben nicht erreichbar, beantwortet wurden Fragen nur über das Notfalltelefon, eine Mobilfunknummer. Was beweist, dass auch die deutsche Bürokratie nicht immer reibungslos arbeitet.

Fuchtels Wahrheit

Für die Äußerungen Fuchtels gibt es zwei mögliche Interpretationen. Die böswillige, einfache Interpretation besagt, dass Merkels Staatssekretär schlicht 2000 von 3000 Angestellten für überflüssig hält.

Angesichts der Entlassungswelle, die zumindest nach offiziellen Angaben der griechischen Regierung von der Troika im öffentlichen Dienst verlangt wird, war es für die griechische Presse ein Einfaches, aus Fuchtels Äußerungen eine Beleidigung der griechischen Beamten zu konstruieren. Die alternative Lesart, dass nämlich Beamte in einem überbordenden Bürokratiechaos gar nicht in der Lage sind, effektiv zu arbeiten, kam zumindest in den Medienkommentaren niemandem in den Sinn.

Die alternative Interpretation hätte nämlich als Konsequenz die Frage aufgeworfen, wer für die Fehlbesetzung tausender Stellen und die bürokratischen Labyrinthe verantwortlich ist. Es ist im Großen und Ganzem ein "Verdienst" sämtlicher politischer Parteien des Landes. Bürger Griechenlands wundern sich bei Behördengängen immer wieder, wieso sie in einem Land, das unter Beamtenüberfluss leiden soll, Stunden, wenn nicht Tage benötigen, um ein einfaches Dokument zu erhalten.

Normalerweise sehr herzlich mit Griechen - Fuchtel und Tourismusministerin Olga Kefalogianni. Bild: W. Aswestopoulos

Zu den jüngsten, von der Troika abgesegneten Sparbeschlüssen gehört unter anderem, dass für die Meldung eines Todesfalls an die Sozialversicherungsträger, Finanzämter und sonstigen Dienststellen die Angehörigen bei einem niedergelassenen Notar jeweils eine passende und auf Basis des amtlichen Totenscheins beruhende notarielle Erklärung erstellen lassen müssen. Das gleiche gilt für Hochzeiten, Geburten und sämtliche weiteren Anlässe. Der Kostenpunkt pro Dokument beläuft sich auf mindestens 50 Euro. Dies wiederum stellt bei einer Arbeitslosenquote, die offiziell über 26, inoffiziell bereits über 36 Prozent liegt, und bei einem Arbeiterlohn von 450 Euro netto eine schier unüberwindliche finanzielle Belastung dar.

Den einfachen Weg, sämtliche staatliche Behörden per Computernetz und bei Fehlen der amtlichen Vernetzung auch per Email vom Standesamt aus zu informieren, hat der griechische Staat in einem Gesetz bereits im Sommer 2011 festgelegt. Unter anderen ist für die lange ausstehende Einführung eines so genannten e-Government ein weiterer Deutscher, der Task-Force-Chef Horst Reichenbach verantwortlich. Dieser bemüht sich offensichtlich redlich. Im Dickicht der griechischen Bürokratie gehen jedoch alle guten Ansätze schnell verloren.

Denn dummerweise vergaßen die beschließenden Minister und Politiker seinerzeit schlicht, eine passende Arbeitsanweisung an die Dienststellen zu senden. Die Standesbeamten haben somit keine Möglichkeit, das beschlossene und gültige Gesetz umzusetzen. Statt dies endlich zu korrigieren, ersann die Regierung Samaras nun den Umweg über die Notare.