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Die Grünen im sozialen Kampfanzug

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Vorzügliche Noten gaben fast alle Medien dem Auftritt der grünen Partei bei ihrer Bundesdelegiertenkonferenz, ohne innerparteiliche Reibungsverluste sei es dort zugegangen und perfekt in der Darbietung für das Publikum, bei dem es Vertrauensgewinn und Zuwendung bei den kommenden Wahlen zu arrangieren gilt.

Ein wenig unsicher sind sich die Kommentatoren in der politgeographischen Deutung: Sind die Grünen nun wieder etwas mehr ins linke Terrain der Parteienlandschaft gerückt oder eher in die Gefilde, die gemeinhin als bürgerlich bezeichnet werden? Haben sie eine Doppelnatur, "links im Herzen, bürgerlich im Auftreten", wie es in der Süddeutschen heißt? Steckt gar List in der Konventionalisierung der Partei, so etwas wie Tarnung?

Der Hannoveraner Parteitag der Grünen hatte seine situativen Voraussetzungen: Spätestens seit dem Kretschmann-Erfolg in Baden-Württemberg gibt es in der veröffentlichten Meinung keinen Zweifel mehr daran, dass diese Partei ihre Entwicklungsphase als Enfant terrible hinter sich habe, also "erwachsen" geworden sei, ohne Einschränkung regierungsfähig im Sinne des herrschenden Politikmusters. Und dass die Grünen fest entschlossen sein wollen, keine Chance zum Regieren oder Mitregieren auszulassen, ist innerparteilich längst nicht mehr strittig. Auch ein Regierungsbündnis mit der CDU in der Bundespolitik wird nicht mehr als Sündenfall angesehen.

Damit war aber noch nicht geklärt, wie die grüne Partei sich beim Marketing für die nächste Bundestagswahl aufstellt; in dieser Hinsicht deutet der Auftritt in Hannover auf eine optimale Gestaltung des Geschäftsablaufs hin: Das Spitzenduo Trittin/Göring-Eckardt wurde ohne jeden Hauch von Kritik bestätigt, als personelle Kombination von männlicher Führungskraft und weiblichem Einfühlungsvermögen. Claudia Roth soll weiterhin dem Parteileben die Farbe der Emotionalität geben, manch andere Parteiprominente könnten sonst etwas grau wirken. Boris Palmer kam bei der Wahl des Parteirates nicht zum Zuge, er hat die Möglichkeit einer Koalition mit den Christdemokraten zu sehr hinausposaunt; damit ist jedoch ein späterer Aufstieg in noch höhere Ränge in der Partei für ihn keineswegs ausgeschlossen.

Taktisch klug wird eine Koalition mit der SPD nach der nächsten Bundestagswahl weiterhin als vorrangige Option herausgestellt, aber nicht wieder als "rot-grünes Projekt" angeboten. Das wäre auch töricht angesichts des Zustandes, in dem die Steinbrück-Wahlpartei sich befindet.

Betont wird, dass die grüne Partei sich inzwischen "auf Augenhöhe" mit der SPD befinde; so lässt sich vielleicht auch den Sozialdemokraten noch Wählerpotenzial entwinden. Gleichzeitig wird ganz intensiv die Deutung kommuniziert, daß die Grünen in der "Mitte angekommen" sind. So sind Wählerinnen und Wähler anzuziehen, die bisher der CDU zuneigten, aber mit dem unangenehmen Gefühl, dass diese Partei denn doch vom Altmodischen sich nicht so recht lösen könne.

In den Beschlüssen von Hannover klingt nichts mehr nach Krawallverhalten - bezeichnend dafür die brave Formulierung, mit der das Thema Gorleben bedacht wurde; einem Verfahren bei der Entscheidung über das Endlager für Atommüll wollen die Grünen "nicht zustimmen, wenn ungeeignete Standorte wie Gorleben nicht in Frage gestellt werden".

Die Grünen wissen, wo sie sozialstrukturell ihre Basis haben, dass sie eine Partei der "Besserverdienden" und der besser Qualifizierten sind, ein wahlpolitisches Zuhause für die groß gewordene neue Mittelschicht. Beerbt haben sie so auch die Funktion des ehemaligen sozialliberalen Flügels der FDP. Die grüne Partei hat erst gar nicht den Versuch gemacht, abgehängte Unterschichten anzusprechen und politisch einzubeziehen, sie zur Wahlbeteiligung zu animieren.

Aber im grünen Milieu käme pure und unverhohlene Klientelpolitik nicht an, soziale Empathie ist gefragt. Also erklärte die Partei in Hannover:"Wir kämpfen für soziale Gerechtigkeit" und beschloss eine ganze Reihe von meist ganz vernünftigen Detailvorschlägen sozialpolitischer Art. Von der Idee einer Auseinandersetzung der sozialen Klassen freilich halten diese sich konsequent fern, das Mittige darf auch bei Linksanwandlungen nicht gefährdet werden. Süffisant macht die FAZ auf einen Leitspruch im Beschlussvorrat der Grünen aufmerksam, in dem es heißt, eine "ausgewogene materielle Verteilung" könne "den Abstand zwischen den Stufen verringern, die man auf dem Weg nach oben erklimmen muss".

Also muß kein gutbürgerlicher Mensch um seinen sozialen Rang fürchten, die Abstände bleiben, die Stufen auch, ein bisschen weniger steil soll es auf der Treppe zugehen. Außerdem ist vor der Wahl nicht nach der Wahl, beim Regieren ist so mancher Beschluss zu den Parteiakten zu legen, da geht der Kampf nicht weiter.