Frankreich wird gemobbt

Nach der Abstufung durch Standard & Poor's (S&P) entzieht nun auch Moody's Frankreich die Bestnote

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Es war nicht anders zu erwarten, dass Frankreich nun tiefer in den Strudel der Abstufungen gerät. Ausgerechnet Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble hatte die Steilvorlage für Moody's geliefert. Denn Schäuble hackt längst auf Frankreich herum, weil Berlin ganz offensichtlich der Kurs der Sozialisten nicht gefällt. Dabei ist François Hollande sogar schon weitgehend auf den Berliner Sparkurs eingeschwenkt. Schäuble hat in einem unglaublichen Vorgang der Einmischung vom deutschen Sachverständigenrat ein Sondergutachten über den Nachbarn angefordert.

Es war kein Zufall, dass die Ratingagentur Standard & Poor's (S&P) Euro-Ländern wie Frankreich und Österreich im Januar die Bestnote aberkannte, wie schon zuvor angedroht worden war (Generalangriff auf den Euro?). Zu diesem Zeitpunkt hatte sich die Lage an der Zinsfront für Spanien und Italien gerade wieder einigermaßen entspannt und sie konnten zu gerade noch verkraftbaren Renditen Staatsanleihen versteigern. Ähnlich war die Lage jetzt, als Moody's nachsetzte. Die Agentur stufte die Kreditwürdigkeit von "AAA" um eine Stufe auf "AA1" herab.

Bundesfinanzminister Schäuble schien vor dem Sondergipfel zum umstrittenen EU-Haushalt darüber fast zu frohlocken. Er sprach am Dienstag davon, Frankreich habe "ein bisschen eine kleine mahnende Beurteilung" bekommen. Er fügte allerdings hinzu, dass das Rating von Frankreich weiterhin "sehr stabil" sei. Doch er konnte es sich nicht verkneifen, doch den Zeigefinger zu erheben: "Alle in Europa müssen ihrer Verantwortung gerecht werden." Er tat fast so, als gäbe es in Europa vor allem blühende Landschaften und wies darauf hin, dass sich die zweitgrößte Volkswirtschaft der Eurozone schwach entwickeln werde.

Da reibt man sich einigermaßen erstaunt die Augen. Denn anders als die übrigen großen Länder in der Eurozone hat Frankreich gerade im dritten Quartal ein leichtes Wachstum verzeichnet, nachdem die Wirtschaft im Vorquartal noch stagnierte. Damit ist die Tendenz positiv, während sie in Deutschland negativ ist. Von den relativ hohen Wachstumsraten ist nichts mehr zu spüren und auch Deutschland hat - wie Frankreich - nur noch ein Wachstum von 0,2% verzeichnet. Österreich, das von S&P nicht abgestuft wurde, ist dagegen mit einer um 0,1% schrumpfenden Wirtschaft im dritten Quartal gerade wieder auf dem Weg in die Rezession.

Bei Frankreich macht die US-Ratingagentur aber einen anhaltenden Verlust der Wettbewerbsfähigkeit aus, womit das Wirtschaftswachstum und auch der Staatshaushalt in Gefahr seien. Die Ratingagentur kritisiert einen starren Arbeitsmarkt. Die Probleme untergrüben nach und nach die exportorientierte Industrie des Landes, weshalb auch der Ausblick negativ sei. Frankreich sei anfällig für "Schocks" im Zuge der Eurokrise und die Verpflichtungen zu weiteren Hilfspaketen seien für Frankreich gestiegen. Warum das alles nicht zum Beispiel für das kleine und damit anfälliger Österreich gelten soll, bleibt ein Geheimnis der selbsternannten Bonitätswächter.

In Paris reagierte man verschnupft auf die Abstufung

Finanzminister Pierre Moscovici versuchte den Ball flach zu halten und sagte, auch Moody's stelle die wirtschaftlichen Fundamentaldaten des Landes nicht infrage. Moscovici zeigte sich erstaunt darüber, dass es ausgerechnet jetzt zur Abstufung kam, die ohnehin erwartet worden war. "Die jüngsten Zahlen im dritten Quartal sind besser als erwartet", sagte er. Er verwies auch darauf, dass man zur Stützung der Wettbewerbsfähigkeit die Lohnnebenkosten für Unternehmen senken werde, wie es im Bericht des Regierungsbeauftragten Louis Gallois gefordert worden war.

Es handelt sich dabei um eine Summe von 20 Milliarden Euro, um die Arbeitskosten um 6% zu senken. Dafür soll es nicht nur Kürzungen im Haushalt geben, sondern wie sonst auch üblich soll auch in Frankreich die Mehrwertsteuer erhöht werden. Damit werden auch hier nun vor allem die niedrigen Einkommen besonders zur Kasse gebeten. "Ich betrachte diese Entscheidung als Einladung an die Regierung, bei den begonnenen Reformen zügig weiterzuarbeiten und sie auch auszuweiten", sagte Moscovici mit Blick auf die Abstufung. Für sie sei letztlich die Politik der konservativen Vorgänger unter Nicolas Sarkozy verantwortlich.

Zunehmende Sorgen über den deutschen Nachbarn

Letztlich hat die Ratingagentur die Steilvorlage von Bundesfinanzminister Schäuble angenommen. Denn der Christdemokrat sorgt sich zunehmend öffentlich um die wirtschaftliche Stabilität beim Nachbarn. Nach einem Bericht von Reuters hatte er kürzlich die fünf Wirtschaftsweisen dazu aufgerufen, ein Sondergutachten über das Nachbarland anzufertigen.

Da Schäuble den Vorgang nicht dementiert, dürften die Angaben stimmen. Auch sein Ministerium erklärte nur: "Interne Gespräche des Ministers werden generell nicht kommentiert." Der Sachverständigenrat wies die Berichte zurück. "Zu solchen Gerüchten nehme ich grundsätzlich nicht Stellung", sagte das Mitglied Lars Feld. Doch der hatte bei der Vorstellung des Jahresgutachtens lauthals erklärt: "Frankreich ist das größte Problem in der Euro-Zone im Moment." Die Wirtschaftsdaten aus dem dritten Quartal zeigen aber in die gegenteilige Richtung und sie strafen auch die Prognosen lügen, wonach Frankreich im vierten Quartal in die Rezession abrutschen werde.

Feld hatte sogar in Frankreich ein größeres Problem als in "Griechenland, Spanien oder Italien" ausgemacht, "weil Frankreich im Hinblick auf die Herstellung seiner Wettbewerbsfähigkeit nichts unternommen hat und sogar in die Gegenrichtung geht." Dabei ist Frankreich mit seinen Prognosen deutlich näher an der Realität, als man aus den angeführten Ländern, die allesamt von Konservativen regiert werden, gewohnt ist. Damit ist auch wahrscheinlicher, dass Frankreich sein Defizitziel einhalten kann. Griechenland und Spanien, das ist sicher, werden es angesichts der tiefen Rezession nicht schaffen. Es ist unwahrscheinlich, dass sie es im kommenden Jahr schaffen werden.

Ins Horn der "zunehmenden Sorgen" über Frankreich hatte sogar Altbundeskanzler Gerhard Schröder gestoßen. Auch der Sozialdemokrat kritisierte die Wirtschaftspolitik des sozialistischen Staatspräsidenten. Hollande werde "schon bald einräumen müssen, dass er das nicht einhalten kann, was er im Wahlkampf versprochen hat". Man fragt sich, ob Schäuble, Schröder und die Ratingagenturen die Franzosen genau auf den Weg in die Rezession, in eine galoppierende Arbeitslosigkeit schicken wollen, auf dem praktisch kein Land die Defizitziele erfüllen kann, weil damit Steuern einbrechen und Sozialausgaben explodieren. Nach Spanien und Portugal wird nun auch Griechenland wohl einen zweijährigen Aufschub erhalten, weil man der Lösung der Probleme mit diesen Rezepten eben nicht näher gekommen ist.

Mobbing und Provokation

Man fragt sich aber in Europa auch, was sich deutsche Politiker wie Schäuble herausnehmen, wenn sie sich derart in die inneren Angelegenheiten des Nachbarlandes einmischen. Sogar in der Financial Times Deutschland wurde schon von "Mobbing" gesprochen. Allerdings wird hier nur kritisiert, dass die "Besserwisserei zur französischen Krisenmalaise" nun ausgerechnet "in dem Augenblick" vorgetragen werde, in dem man sich in Paris "an die von Berlin erhofften Wirtschaftsreformen" herantaste. Das wird als "Provokation" und "grob kontraproduktiv" gebrandmarkt.

Dass hier aus Berlin wieder massiv europäisches Geschirr zerschlagen wird, ist auch anderen aufgegangen. Die Zeit fragt: "Wann hat es das schon einmal gegeben, dass eine Regierung ungefragt Pläne für die eines anderen Landes macht?" Doch auch hier bleibt man darin stecken, Schäubles Vorgehen "mehr als taktlos" zu bezeichnen. "Man stelle sich vor, Paris wolle uns vorschreiben, wie wir unsere Energiefrage zu lösen hätten." Doch auch bei der renommierten Zeitung kann man es nicht verkneifen, den Zeigefinger zu erheben. Man verweist auf den Währungskommissar Olli Rehn, der zuletzt gesagt hatte, Paris gehe von unrealistischen Wachstumsmaßnahmen aus.

Und? Die EU-Kommission geht sogar davon aus, dass die spanische Wirtschaft dreimal so stark schrumpft, wie der konservative Rajoy prognostiziert. Spanien sollte zudem schon 2011 sein Haushaltsdefizit auf 6% senken, doch als Belohnung, dagegen mit fast 9% massiv verstoßen zu haben, hat Brüssel den Konservativen dieses Ziel zweimal nach oben korrigiert. Madrid hat zudem ein Jahr mehr Zeit erhalten und soll erst 2014 wieder die Stabilitätsgrenze von 3% einhalten. Niemand geht bei dem Madrider Kurs aber davon aus, dass dies gelingt. Der IWF meint, frühestens 2017 werde das Stabilitätsziel erreicht.

Anders als Spanien wird Frankreich aber nicht mit bis zu 100 Milliarden Euro aus EU-Rettungsfonds und damit mit Geld der europäischen Steuerzahler gestützt, um seine Banken zu retten. Damit wäre eine Einmischung zur Kontrolle, was mit diesem Geld passiert, gerechtfertigt. Warum aber mischt man sich derart in Frankreich ein, das deutlich bessere Daten vorweisen kann. Oder wird nun nur nachgesetzt, weil Hollande schon von seinem angekündigten Kurs abgewichen war und Schwäche zeigte?

Schwenkt er ganz auf den Austeritätskurs ein, den Bundeskanzlerin Angela Merkel propagiert, dann muss man sich wirklich Sorgen machen. Während die Zeit mahnt, die Gefahr sei groß, "die aus der französischen Schwäche für ganz Europa erwächst", sollte sie sich vielleicht nebenbei auch einmal eine andere Frage stellen. Wie groß ist die Gefahr, wenn der Sparkurs die Länder nur noch tiefer in die Rezessionsspirale treibt und die Fliehkräfte den Euro und möglicherweise auch die EU zerstören? Drei Krisenjahre haben gezeigt, dass auf diesem Kurs nur immer neue und immer größere Rettungspakete notwendig wurden, ohne dass auch nur ein Licht am Ende des Tunnels sichtbar geworden wäre.